Hamburg kann auch friedlich - Bilder, die noch keiner kennt ...
Es war der Tag nach den schweren Ausschreitungen in der "Schanze", als fast 70.000 Menschen wie zum Trotz ihren Protest ganz friedlich auf die Straßen trugen. Darunter auch viele junge Menschen - bunt - friedlich - sozial. In den Medien wurde darüber kaum berichtet - vielleicht auch weil es nicht so "spannend" ist, wie wenn die Schanze in Flammen steht oder die Läden dort geplündert werden. Gewalt wird gerne gezeigt, die friedlichen Bilder auch?
Eine Rückschau von Max Bryan
Gut 7 Monate ist der G20 nun schon vorbei und so manche Bilder gingen im Wust der Aufarbeitung und dem Dilemma um gegenseitigen Schuldzuweisung unter oder wurden nie gesehen. Ein Grund mehr dies nachzuholen, zeigen diese Bilder doch einen sehr wichtigen Moment - nämlich den der "Power of the people" - wie Chaplin das vor 70 Jahren schon zu sagen pflegte. In seiner legendären Rede von 1940 teilte er der Menschheit mit - Zitat: "And the power they took from the people will return to the people and so long as men die, liberty will never perish" (Charlie Chaplin) --> http://www.youtube.com/watch?v=5Of2hQvJKv4 ein schöner Einstieg um sich den friedlichen Bildern jener Tage zu widmen und die gab es reichlich.
8. Juli 2017 und ich stehe auf dem Dach eines Parkhauses in der Hamburger Innenstadt. Eine gute Position, um Bilder aus der Luft zu bekommen - in dem Fall von der wohl größten Demo jener Tage mit dem Titel: "Grenzenlose Solidarität statt G20".
Eigentlich für 14 Uhr anberaumt, sollte die Demo längst laufen, aber schon zu Beginn - keine 50 Meter weit war gelaufen - steht die Demo (wieder einmal) - und genau wie schon am 6. Juli und so ziemlich JEDER fragt sich, was das nun wieder soll?
Über den Twitter-Account des Veranstalters (Jan van Aken) wurde gemeldet, dass die Demo aufgestoppt wurde. Warum und wieso war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt.
Besonders auffällig die Hundertschaften der Polizei, die sich überall entlang der Strecke positionierten. Auch da muss die Frage erlaubt sein: WAS DAS SOLL??? Eine bunte, friedliche Demo derart massiv begleiten? Wozu?
Verbotene Fahnen
Wenig später stellt sich heraus, es waren unter anderem die Fahnen einer kurdischen Miliz (YPG), die in Syrien gegen den IS kämpft. Eine feine Sache, will man meinen und dennoch umstritten. Auf der einen Seite sind alle für die Zerschlagung des IS und auf der anderen Seite werden diejenigen, die ihn bekämpfen, dann selber noch bekämpft. Siehe Konfliktparteien ganz aktuell auch Türkei vs. YPG --> https://de.wikipedia.org/wiki/T%C3%BCrkische_Milit...
Nach ein paar kleineren Scharmützeln mit Anhängern entsprechender Gruppen lief die Demo dann weiter und sie tat es friedlich. Hier die schönsten Bilder aus luftiger Höhe vom Dach des Parkhauses Ecke Brandstwiete / Willy-Brandt-Straße --> http://goo.gl/t2fb2x
"Im Würgegriff des Kapitals"
"Fight G20" - "Im Würgegriff des Kapitals" - "Wir sind viele - Ihr seid 20" - steht auf einigen der Transparente geschrieben und die Zeit ist gekommen den Ort zu wechseln.
Obdachloser berichtet
Auf meinem Weg zur wohl bekanntesten Straße Hamburgs - der Reeperbahn - treffe ich Rudi. Rudi (53) ist obdachlos und sitzt auf einer Bank vor dem Caffee mit Herz, das heute geschlossen hat. Essen gibt es von dort heute nicht. "Die sollen das doch auf Sylt oder Helgoland machen, aber doch nicht hier", wettert der 53-jährige Obdachlose, der hier auch schon von Zivilpolizisten angesprochen worden sei. "Die meinten nur, ich lebe hier gefährlich - vertrieben haben sie mich aber nicht".
Das Straßenmagazin Hinz & Kunzt hatte in den Tagen vor dem G20 eine große Welle gemacht, prangerte die fehlenden Ausweich-Möglichkeiten für Hamburger Obdachlose an. Ein "Gipfelnotprogramm" sei erforderlich. Die Stadt hatte das nicht interessiert. Man könne ja schnell mal "die Straßenseite wechseln", so die Sozialbehörde gegenüber Kritikern.
"Trump nicht gut"
Wie er Trump findet, will ich von Rudi schnell noch wissen und weder Merkel, noch Trump kann Rudi etwas abgewinnen. "Putin, Trump und Merkel - alle in einen Sack stecken - draufhauen - triffst immer den Richtigen", meint der 53-Jährige spöttisch und bemängelt, dass alle drei keine gute Politik machen. "Die Kleinen machen sie fertig, die Großen machen sie größer" - Ansichten eines Hamburger Obdachlosen zum G20.
Ich muss weiter, die Dollar-Krake wollte ich am Boden noch filmen, die Arbeit Derer, die sich damit so viel Mühe gemacht auch würdigen. So Bilder müssen ohnehin mehr gezeigt werden, damit mehr Menschen noch aufstehen und gegen das Unrecht dieser Welt Position beziehen.
Die Fahne vom Dach
Auf dem Dach neben der David-Wache steht ein Mann mit hochgerissenen Armen und die Menge am Boden jubel ihm zu: "HALLO STEPHAN DA OBEN - DANKE FÜRS AUFHÄNGEN" und schön, dass es auch andere Bilder von Akteuren auf Dächern gibt, als die vom Abend zuvor (7. Juli).
Hamburg kann auch friedlich
Die Gruppierungen derer, die am 8. Juli mitliefen, sind unterschiedlichst. Alle irgendwo "links" verwurzelt eint sie der Gedanke an eine bessere Welt, ohne Ausbeutung und Unterdrückung, ohne Kriege und Profit für die Reichen - ist es so leicht?
Solange das Kapital die Menschen regiert, wird um Selbiges auch gekämpft werden. Mit Waffen, mit Bomben und Flugzeugträgern auf der ganzen Welt verteilt. Bereit immer dann einzugreifen - wenn vor allem eigene Interessen zu schützen sind - wie die nach Rohstoffen - nichts passiert ohne Grund.
Die 20 mächtigsten Menschen dieser Welt sind keine Samariter, sie sind Marionetten im Theater der Profiteure, nur denen sind sie verpflichtet.
250 Millionen Jahre voraus
Auf einem der hochgehaltenen Protest-Schilder steht: "Die Saurier überlebten 250 Millionen Jahre. Wie stellen wir uns ein Wirtschaftswachstum über 250 Millionen Jahre vor?" Der Spruch ist von Max Frisch - 1987 und seit damals hat sich kaum was verändert. Immer noch kämpfen die Supermächte dieser Welt um mehr, als sie zum leben brauchen.
"Kapitalismus tötet"
Auch das ein Spruch begleitend zum Kostüm eines Toten und keine Ahnung, ob eine andere Gesellschaftsordnung die bessere Lösung wäre. Ich bin kein Politiker, aber ich beobachte und ich sehe das Feuer in den Augen vieler junger Menschen, die etwas anderes wollen, als das, was wir gerade haben und vielleicht wird es ja dazu kommen, wenn noch mehr Menschen genau dafür eintreten, für einen Richtungswechsel in der Weltpolitik.
"Miteinander, statt gegeneinander"
Angekommen am Heiligengeistfeld gibts erstmal Futter. "Ohne Mampf, kein Kampf" - steht auf einem sichtlich improvisierten Schild und ich komme nicht umhin zu schmunzeln. Diese Momente sind zuweilen so empathisch, dass man Jeden auf der Straße - der einen zufällig so begegnet - einfach nur umarmen möchte.
Zu Futtern gab´s Nudelauflauf mit Salat und das Essen war "for free". Die Menschen halten zusammen - sie sorgen füreinander. Wer kann, der gibt eine Spende und wer nicht kann, wird auch nicht vergessen. Auch das ist ein Entwurf.
Berühmter Ökonom spricht
Auf der Bühne spielt Musik. Dann eine Rede. Der ägyptische Ökonom Samir Amin ist einer der bedeutendsten und einflussreichsten Intellektuellen der Dritten Welt und er kritisiert das Missverhältnis von Produktivitäts- und Reallohnentwicklung besonders in den Entwicklungsländern. Ursache sei die "exklavenhaft strukturierte Exportwirtschaft in den Entwicklungsländern dieser Welt" - daran müsse man arbeiten - an der Veränderung, so der Ökonom.
Auch Thomas Kachel - Sicherheitspolitischer Referent der Bundestagsfraktion der Linken - will mit einer Rede seine Verbundenheit mit der internationalistischen Bewegung ausdrücken und natürlich auch, um die Punkte zu erläutern, die Samir Amin zur Sprache brachte. Man müsse sich "mehr wieder auf eigene Stärken besinnen" und aufhören "faule Kompromisse" mit Leuten wie Trump und Erdogan einzugehen.
Kein Freibrief für Merkel
Sie sogenannte "liberale Wirtschaftsordnung" habe im letzten Jahrhundert und auch zu Beginn dieses Jahrhunderts "weiter zementiert", dass weltweit Grundlagen dafür geschaffen werden, die für Ungleichheit, Verwüstung und Zerstörung ökonomischer Grundlagen verantwortlich sind. Man dürfe Merkel und "anderen Hütern der sogenannten freien Welt" keinen weiteren Freibrief erteilen, so Kachel an diesem Tag, der noch einige Überraschungen zu bieten hatte.
Kleine Scharmützel
Zwischenzeitlich musste die Dame von der Moderation mehrfach die Hamburger Polizei ermahnen es zu unterlassen die Demo anzugreifen, die - wie jeder sehen konnte - absolut friedlich verlief.
Man solle sich doch zurückhalten und das Fest hier in aller Ruhe ausklingen lassen, so die Moderation in Richtung Wasserwerfer, der in Sichtweite der Bühne Position bezog. Warum weiß eigentlich keiner so recht! War irgendwas los?
Nun, am Rande einer so großen Demo kann es immer mal zu Rechtsverstößen kommen - sei es von der einen Seite - oder der Anderen - ich denke Jeder hat da gewisse Anteile zu verzeichnen. Fakt ist aber auch, dass die Polizei mit ihrer zum Teil martialisch ausfallenden Anwesenheit auf einer nun wirklich völlig friedlichen Demo ein gewisses Provokationspotential anbietet und wer dann dankend annimmt, ist eben schnell auch dabei sich seinen Unmut Luft zu verschaffen. Fliegt auch nur eine Flasche, holt Dudde direkt den Wasserwerfer. Jeder weiß das.
Am Ende wurde wohl eine Person in Gewahrsam genommen - kaum einer hat das bemerkt.
Friedensengel
Sebastian Gregor Erkmann (40) ist aus Paderborn angreist und findet versöhnliche Töne in Betrachtung der Polizeiarbeit vor Ort. "Die machen auch nur ihren Job" und einer habe ihn sogar umarmt und eine Dose Zwiebelwurst geschenkt. Das ist doch nett, oder?
"Wer alles gibt, braucht echte Stärkung", steht auf dem Dosendeckel. Wohl ein Proviant für unterwegs, der eigentlich für die Kollegen im Einsatz gedacht war. Hier fand die Dose aber auch dankbare Abnehmer in Reihen der Demonstranten und Gregor ist eher so für die sanften Töne. "Die haben gemerkt, dass ich deeskalieren will" und so kam es wohl auch zu diesem Geschenk, berichtet der 40-Jährige.
Geschenk eines Polizisten
Eine feine Sache - will man meinen und würden sich nur alle Polizisten so rührend um ihre Demonstranten kümmern, gäbe es wohl kaum so Bilder wie vom 6. Juli (Fischmarkt). Es ist eben auch eine Frage des Gegenüber und "wie es in den Wald hineinruft, so schallt es heraus" - sage ich mal.
Vielleicht muss auch die Hamburger Polizei mal damit anfangen umzudenken. Immer nur die harte Linie zu fahren bringt nur Ärger und Verluste auch in den eigenen Reihen. Niemanden ist damit geholfen. Insofern kann man nur hoffen, dass ein paar dieser friedlichen Bilder auch im Kopfe eines Hartmut Dudde´s (Hamburgs Gesamteinsatzleiter der G20-Tage) auch ankommen und er sich eines Besseren besinnt.
Umdenken beginnen
Eine Demo aufzustoppen wegen Nichtigkeiten, wegen noch so kleinen Verstößen, schürt nur den Unmut Derer, die ohnehin nicht daran glauben, dass die Polizei ein "Freund und Helfer" sei. Das gießt nur Öl ins Feuer und am Ende brennen wieder Straßen.
Niemand will das, nur alles hat auch Ursachen. Nichts geschieht ohne Grund. Auch nicht in Hamburg.
\\\ LIEBE SIEGT ///
Unter dem Beifall der umher stehenden Versammlungsteilnehmer zog der Wasserwerfer sich dann zurück und rückblickend betrachtet, sehe ich auch viel Gutes.
Inspirierend zu sehen war die Entschlossenheit der Demonstranten an der Hamburger Schwanenwikbrücke, wo ein paar Dutzend Menschen friedlich und nur durch passives Verhalten in einer Straßenblockade mehr als 2 Stunden lang die Stellung hielten. Ein beeindruckendes Beispiel friedlichen Widerstands, wie er so auch möglich ist, OHNE dass auch nur ein einziger Stein dabei fliegt!
Gänsehaut-Effekt
Ich bekam Gänsehaut - jedes mal wenn der Wasser absetzte um eine Pause zu machen, gab es Beifall aus den Reihen derer, die da ausharrten und einander nicht von der Seite wichen. Selten habe ich so ein "Wir"-Gefühl erlebt. Es brach aus den Menschen heraus - mit jedem neuen Anlauf - der Staatsgewalt zum Trotze.
"Wir gehen hier nicht weg" und "Wir sind friedlich - was seid Ihr"? - sangen die Protestler während ihrer Sitzblockade.
Erst als nichts mehr ging, ließen sie sich weggetragen. Platzverweis und bei Zuwiderhandlung in Gewahrsamnahme.
Presse sei Dank
Wären nicht 8 Kameras vor Ort gewesen, wäre die Blockade sicherlich schon viel früher aufgelöst worden, so wie das vergleichsweise anderen Orts auch geschah. Christiane Schneider war zeitgleich (7 Uhr morgens) an den Landungsbrücken mit dabei - und dort waren KEINE KAMERAS und direkt wurde geknüppelt und Pfefferspray eingesetzt - gegen Leute von denen NULL GEWALT ausging. Das meine Damen und Herren ist auch eine Wahrheit die leider nur selten erzählt wird.
Was ich mir wünsche
... ist eine lückenlose Aufklärung der Geschehnisse vom 6. und 7. Juli diesen Jahres. Bislang waren vor allem Ausreden und Beschönigungen zu hören. Das muss sich ändern. Es kann nicht sein, dass Staatsgäste wichtiger sind als das eigene Volk und leichte Aufgaben, wie die vom 6. Juli knüppelnder Weise wahrgenommen werden, während die Schanze am 7. Juli - da wo die wirklich harten Jungs unterwegs waren - sich selbst überlassen wird. Allein das zeigt doch das ganze Unvermögen dieses Staatsapparates.
Max Bryan
30.1.2018
www.maxbryan.de
Nächste Sitzung des G20-Sonderausschusses am 8. Februar um 16 Uhr im großen Festsaal - Rathausmarkt 1.
Ein friedlicher Protest ist für mich zurzeit das Gleiche wie ein Kühlschrank mit Grillautomatik.
Es mag ja sein, dass am Anfang einer Protestdemonstration 98 Prozent der Teilnehmer friedlich demonstrieren wollen.
Aber die restlichen zwei Prozent besitzen auch die Fähigkeit andere Menschen aufzuwiegeln.
Diese Gruppendynamik, die zur Entgleisung fast jeder Demonstration führt, ist soziologisch zu erklären, aber trotzdem nach deutschem Recht eine Straftat.