140 Jahre Engagement des Raphaelswerkes für die Auswanderer

Peter Paul Cahensly, der Gründer des Raphaelswerks
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1. St. Raphaels-Vereins in seiner Gründungsphase

Der St. Raphaels-Verein bzw. das Raphaelswerk musste in seiner hundertvierzigjährigen wechselvollen, aber eindrucksvollen Geschichte ständig neue Herausforderungen bewältigen. Nach dem Urteil des Generalsekretärs Pater Friedrich Fröhling in der unmittelbaren Nachkriegszeit ist „die Geschichte des St. Raphaelsvereins ein ununterbrochenes, zaehes Ringen um hehrste Aufgaben und Ziele. Neben Zeiten glänzender Erfolge stehen Perioden des Leidens und der Unterdrueckung. Er ist gewuerdigt worden, mit dem Siegesmale des Kreuzes gezeichnet zu werden.“ Diese Worte sind völlig unter dem Eindruck der Schrecken der nationalsozialistischen Zeit geschrieben. Sie kennzeichnen aber dennoch treffend die Höhen und Tiefen, die der St. Raphaels-Verein in diesen Perioden deutscher, europäischer und globaler Geschichte zu bewältigen hatte.

Etwa 4 Millionen Auswanderer und Auswanderungsinteressierte wurden in dieser Zeit vom Verein betreut, begleitet und beraten. Das Ausmaß der Hilfe bei so vielen Einzelschicksalen läßt sich kaum erahnen. Beratung heißt nicht allein, bei wirtschaftlicher Not einen Ausweg, sondern auch einen Sinn für ein neues Lebensziel zu finden.

Gegründet wurde der Verein in der Zeit der Massenauswanderung aus wirtschaftlicher Not. Der Limburger Kaufmann Peter Paul Cahensly hatte 1865 in der französischen Hafenstadt Le Havre das Elend der Zwischendeckspassagiere auf den Segelschiffen kennengelernt. Er wurde die treibende Kraft zur Gründung des Vereins, um der sozialen, aber auch der sittlichen und religiösen Not der Auswanderer tatkräftig begegnen zu können. Diese charismatische Persönlichkeit gab dem Verein Profil. Er wurde nicht von der Kirchenleitung organisiert, sondern ist aus Laieninitiative erwachsen.

Katholische Vereine erlebten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts insgesamt einen rasanten Aufschwung. Sie entsprangen dem katholischen Milieu, das sich infolge der Minderheitensituation im neugegründeten Deutschen Reich des Kulturkampfes enger zusammenschloss. Das gesamte katholische gesellschaftliche Leben sollte von den Vereinen gestaltet und durchformt werden. Sie entstanden mit verschiedenen Aufgaben und Zielsetzungen. Die sich schnell ausbreitenden Gesellen- und Arbeitervereine waren eine Antwort auf die im Industriezeitalter entstandene Soziale Frage und hatten die Förderung, Bildung und Geselligkeit der eigenen Mitglieder zum Ziel. Aber auch im Unterschied zu den Elisabeth- und Vinzenzvereinen, die sich der Fürsorge in der unmittelbaren Nachbarschaft widmeten, diente der St. Raphaels-Verein dem fernen Nächsten, der eine Hilfe im Auswanderungshafen, bei der Überfahrt und bei seiner Integration im Einwanderungsland benötigte. Die Mitglieder hatten keinen eigenen Gewinn durch ihr Engagement, sondern förderten ausschließlich den Anderen, der eine neue Existenzgrundlage und Heimat suchte. Der St. Raphaels-Verein wuchs über das deutsche katholische Milieu hinaus, insofern, als er eine internationale Perspektive wahrnahm. Diese Universalität kam zum Ausdruck durch ein weit gespanntes Netz von meist ehrenamtlichen Vertrauensleuten in europäischen Hafenstädten sowie in Übersee. Sie gewährten den Auswandernden in Europa Schutz vor Ausbeutung und Übervorteilung und halfen den Einwanderern in Nord- und Südamerika, aber auch Afrika und Australien bei der dortigen Einwanderung und Integration.

Cahensly und der St. Raphaels-Verein beließen es nicht bei der unmittelbaren Fürsorge an den Auswandernden, sondern ergriffen zu ihrem Schutz politische Initiativen. Schon 1865 hatte Cahensly sehr begründete und detaillierte Eingaben an mehrere Regierungen zugunsten der Zwischendeckspassagiere gerichtet. Jahrelang setzte sich der Verein unter seiner geistigen Führung für gesetzliche Initiativen zum gesundheitlichen und sittlichen Schutz der Einwanderer ein. Die lange intendierten Gesetze wurden zunächst in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg und schließlich 1897 auch im Reich verabschiedet. Der Reichstags- und preußische Landtagsabgeordnete Cahensly erhielt Einfluss im gesetzlich verankerten Auswanderer-Beirat.

Die Auswanderungsgesetzgebung hatte in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg bereits vor 1850 eingesetzt. Diese Gesetze und Verordnungen dienten vor allem den wirtschaftlichen Interessen der Reeder und der Kaufmannschaft und betrafen Versicherungen, Kautionen, Kontrollen und die Proviantierung der Auswanderungsschiffe. Soweit sie den Schutz der Auswanderer betrafen, galten sie vornehmlich der Gesundheitsfürsorge. Eine eigentliche Sozialgesetzgebung war nicht vorgesehen. Cahensly und der St. Raphaels-Verein sahen dagegen die Gesamtproblematik des auswandernden Menschen, seine soziale Notlage, das Risiko der Ausnutzung seiner Unwissenheit und der Übervorteilung bei der Anreise zu den Häfen und in den Logierhäusern, die sittlichen Gefährdungen in der Enge des Zwischendecks, seine seelsorglichen Bedürfnisse und die Schwierigkeiten bei der gesellschaftlichen und religiösen Integration in der neuen Heimat.

2. Europäische Raphaelsbewegung und Amerikanismus

Die deutsche Vereinsgründung im Dienst der Auswanderer wirkte ansteckend auf andere sozial gesinnte Persönlichkeiten in Europa, die ebenfalls Raphaelsvereine gründeten. Es entstand eine Raphaelsbewegung in Europa. Selbst ein amerikanischer Raphaelsverein wurde gegründet. Dieser Dienst am Auswanderer wurde von der obersten Kirchenleitung, den Päpsten Leo XIII. und Pius X. in mehreren Verlautbarungen gutgeheißen und legitimiert.

Die gesamte Raphaelsarbeit war sehr verheißungsvoll angelaufen. Um so bedrückender wurde der Rückschlag in den Vereinigten Staaten von Nordamerika erlebt, als amerikanische Politiker und auch Bischöfe, vornehmlich irischer Abstammung, Cahensly und dem Raphaels-Verein Einmischung in innere politische Angelegenheiten vorwarfen. Der tiefere Grund des Konflikts lag in zwei gegensätzlichen Integrationskonzepten. Die europäische Raphaelsbewegung befürwortete eine Integration unter Beibehaltung der heimischen Sprache vor allem als pastoraler Sprache, also ein pluralistisches Integrationskonzept, während die Mehrheit der englischsprachigen Bevölkerung wie auch der englisch-sprachigen Bischöfe ein schnelles Lernen der englischen Sprache für das Zusammenwachsen der amerikanischen Nation für dringend erforderlich erachtete. Letzteres Konzept hat sich in der Praxis der Vereinigten Staaten durchgesetzt; aber Cahenslys Gedanke vom pastoralen Wert der vertrauten Muttersprache für die Aufrechterhaltung des Glaubens hat in der universalen katholischen Kirche bleibende Aufmerksamkeit und Akzeptanz gefunden. In den Vereinigten Staaten hat dieses Konzept erheblich dazu beigetragen, dass zahlreiche Eingewanderte ihren Glauben in der Fremde nicht verloren haben.

Als die deutsche Auswanderung infolge von Wirtschaftskrise in den USA und dem gleichzeitigen Aufblühen der deutschen Industrie in der Wilhelminischen Ära nach 1893 zurückging, aber die Auswanderung aus den ärmeren ost- und südosteuropäischen Ländern anschwoll, hat der St. Raphaels-Verein sich auch diesen auswandernden Scharen angenommen und sie in den deutschen Auswandererhäfen Bremen und Hamburg betreut. Als neue Aufgaben hat er zusätzlich die Fürsorge für die zahlreichen Fremdarbeiter, besonders die italienischen übernommen. Ferner wurden der Mädchenschutz und der Kampf gegen den Mädchenhandel als internationale Verpflichtung erkannt und angegangen. Zudem nahm sich der Verein der pastoralen Betreuung der Seeleute an.

3. Einsatz für Juden

Einen herben Rückschlag erfuhr die internationale Zusammenarbeit am Dienst für den Menschen unterwegs durch den Ersten Weltkrieg. Auch danach konnte die internationale Raphaelsbewegung nicht mehr zu ihrer ursprünglichen Blüte zurückfinden. Zu groß war das Misstrauen bei den Völkern geworden. Die Leistung der deutschen Auswanderer in Übersee wurde auffallend stark hervorgehoben. Diese Orientierung entsprach dem Trend der Zeit nach dem verlorenen Krieg und dem belastenden und beschämenden Versailler Friedensvertrag. Auf nationaler Ebene konnte der Verein im Wohlfahrtsstaat der Weimarer Republik wieder erstarken, seine Organisation auf mehr als 70 Beratungsstellen in Deutschland und Österreich ausbauen, seine Anerkennung als gemeinnütziger Verein auf der politischen Ebene erreichen, gesellschaftliche Reputation bei den Reedern erlangen, die inzwischen Wert auf eine gute Zusammenarbeit mit den kirchlichen Auswandererorganisationen legten. Aber der Schwung internationaler Kooperation war in der Zeit der Weimarer Republik dahin.

Die eigentliche Herausforderung erfolgte 1933, als der nationalsozialistische Staat seinen Terror gegen die Juden begann und in den folgenden Jahren systematisch ausbaute. Der neue 1930 berufene Generalsekretär Pallottinerpater Max Größer setzte sich unermüdlich für auswanderungswillige nichtarische Katholiken ein. Ein Engagement für alle Juden war dem Verein von vornherein untersagt und hätte die sofortige Aufhebung des Vereins nach sich gezogen. Größer bereiste europäische Länder und die USA, um die Aufnahmebereitschaft für Juden zu wecken oder zu intensivieren. Einigen tausend Menschen konnte durch die Ausreise das Leben gerettet werden, aber die Nachfrage nach Auswanderung mit Hilfe des St. Raphaels-Vereins und des von ihm zusammen mit dem Deutschen Caritasverband gegründeten „Hilfsausschusses für nichtarische Katholiken“ war sehr viel größer. Das nationalsozialistische Regime war zunächst an der Auswanderung der Juden interessiert, schränkte aber gleichzeitig durch die Devisenbestimmungen, Berufsbeschränkungen und restriktive Finanzauflagen die Mobilität der jüdischen Bevölkerung ein. Der St. Raphaels-Verein war mehrmaligen Hausdurchsuchungen durch die Gestapo ausgesetzt, weil Devisenvergehen beargwöhnt wurden. Max Größer wurde zweimal inhaftiert. Er versuchte trotzdem durch Besuche im Vatikanstaat und Verhandlungen mit höchsten kirchlichen Stellen Einreisevisa für katholische Juden in Brasilien zu erreichen. Pius XII. setzte sich selbst beim brasilianischen Präsidenten Vargas zugunsten dieser Brasilvisa ein. Es wurden ihm 3000 Visa zugesagt, aber ihre Ausstellung wurde weithin durch die brasilianische Botschaft in Berlin verhindert. Nur 700 Visa, die über den Vatikanstaat ausgestellt werden konnten, führten zur Ausreise katholischer Juden. Über seinen Einsatz starb Max Größer am 19. März 1940 in Berlin. Ein Jahr später, am 25. Juni 1941 wurde das Hamburger Generalsekretariat des St. Raphaels-Vereins durch die Gestapo geschlossen und jede weitere Tätigkeit untersagt.

4. Weltoffenheit des Raphaelswerkes

Nach dem Zweiten Weltkrieg musste der St. Raphaels-Verein völlig neu beginnen. Seine Zentrale in Hamburg war durch Bomben zerstört. Unter den Millionen geflüchteten und vertriebenen Deutschen war der Auswanderungswunsch sehr lebendig, aber bis 1949 blieb ihnen die Auswanderung verwehrt. Danach stieg die Auswanderung sprunghaft an, und die Beratung durch den St. Raphaels-Verein war wieder sehr gefragt. Das Generalsekretariat arbeitete von Beginn an eng zusammen mit den internationalen Organisationen, der Weltflüchtlingsorganisation IRO, der 1950 gegründeten „Internationalen Karitas-Konferenz“ (ab 1954 Caritas Internationalis), und dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, einer Nachfolgeorganisation des 1927 gegründeten Völkerbundes, sowie der Internationalen Katholischen Kommission für Wanderungsfragen (ICMC). Der St. Raphaels-Verein wurde ein wichtiges Glied innerhalb eines internationalen Netzwerks von Nichtregierungsorganisationen für Migranten. Er arbeitete weltoffen und weltweit. Dies war auch erforderlich bei dem zunehmenden Weltflüchtlingsproblem infolge des West-Ost-Konflikts und der zahlreichen Kriege in Afrika und Asien. Die Gründe für die Flucht waren politischer, aber auch ethnischer und religiöser Natur. Dazu kamen die Armutsflüchtlinge, die oft verharmlosend „Wirtschaftsflüchtlinge“ genannt werden. Die Beratungsstellen des Raphaels-Werkes stellten sich auf immer neue Gruppen von Asylsuchenden und Weiterwanderern aus den verschiedensten Ländern einstellen. Etwa vier Jahrzehnte stand die Beratung von Ausländern im Vordergrund. Das änderte sich auch nicht mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Herrschaft. Vor allem die Unabhängigkeitskriege im auseinander brechenden Jugoslawien führten zu schnell anwachsenden Flüchtlingsströmen, zu deren Bewältigung internationale Programme ausgeschrieben wurden.

5. Säkularisierung und Professionalisierung

Die Beratungstätigkeit erforderte ein immer höheres Maß an Qualifizierung und Professionalisierung als in früheren Jahrzehnten. Es hatte zwar auch schon bei den Auswandererkonferenzen in der Ära von Peter Paul Cahensly Bestrebungen zu vertiefter Wissenschaftlichkeit gegeben, aber die Breitenarbeit war vorwiegend von religiösem und moralischem Idealismus getragen, weniger von reflektierter qualifizierter Sozialarbeit. Auch für den St. Raphaels-Verein wie für alle caritativen und diakonischen Organisationen stellt sich die Frage nach dem Zusammenhang von Säkularisierung und Professionalisierung. Die Nachfrage der Auswanderer und Auswanderungswilligen nach Gottesdiensten und Sakramenten, die vor dem Ersten Weltkrieg und auch in den zwanziger Jahren weithin noch selbstverständlich war, hat sich nahezu gegen Null reduziert, entsprechend auch das Angebot. Es gibt keine für die Auswanderer zuständigen Geistlichen mehr. Andererseits gibt es keine Hemmschwellen mehr in der Zusammenarbeit mit evangelischen und staatlichen Auswandererorganisationen. Bei der Beratung wird der Ratsuchende weiterhin in seiner Ganzheitlichkeit gesehen, die auch seine religiösen und seine Sinnfragen wahrnimmt und berücksichtigt und ihm so zu seiner personalen Entscheidungsfindung verhilft. Die Beratung ist situations- und personbezogen. Die Lebenswirklichkeit des Ratsuchenden wird sehr ernst genommen.

Bei der Beurteilung des Rückgangs seelsorglicher Angebote sind die strukturellen Aspekte der Auswanderung zu berücksichtigen. Auswanderung ist kein kollektives Geschehen mehr, sondern individualisiert. Seit Mitte der 1960er Jahre ist die Auswanderung mit Auswanderungsschiffen der individuellen, allenfalls familiären Auswanderung mittels Flugzeug gewichen.

6. Profilierung für die Zukunft

Professionalisierung und Säkularisierung haben auch Auswirkung auf den Rückgang der Ehrenamtlichkeit. Jahrzehnte haben die aus politischen und gesellschaftlichen Honoratioren gebildeten Vorstände des St. Raphaels-Vereins und weithin auch die Vertrauensleute in Übersee, von denen viele Ordensangehörige waren, ihre Aufgaben ehrenamtlich mit beeindruckendem Engagement wahrgenommen. Allenfalls erhielten letztere eine Aufwandsentschädigung. Heute sind Mitarbeiter des Generalsekretariats des Raphaelswerks und der Beratungsstellen bei den Diözesan-Caritasverbänden qualifizierte und tarifmäßig bezahlte Arbeitskräfte. Das Raphaels-Heim wird längst nicht mehr von Ordensschwestern geführt, sondern ist an einen Unternehmer verpachtet und führt den Namen „Raphaels-Hotel“.

Der St. Raphaels-Verein, der sich konsequent aus den Professionalisierungstendenzen als Dienstleistungsunternehmen in „Raphaels-Werk - Dienst am Menschen unterwegs e.V.“ (ab 2013 Raphaelswerk) umbenannt hat, ist eingebunden in die Programme des Sozialstaates und der internationalen Organisationen. Diese legen Wert auf sachgerechte Kompetenz und nicht auf das Motiv der Glaubensorientierung. Das Raphaelswerk muss sich in Konkurrenz mit anderen Auswanderungsberatungsorganisationen, auch ausschließlich wirtschaftlichen, bewähren und sein Überleben sichern, sieht sich zugleich herausgefordert, als kirchliche Institution sein eigenes katholisches Profil jeweils neu zu bestimmen. Diese Profilierung erweist sich aufgrund fortschreitender Säkularisierungsprozesse und damit einhergehender Orientierungsnot und eines ganzheitlichen Beratungsbedürfnisses als dringend notwendig. Der frühere Generalsekretär Victor Mohr hat im Blick auf die Impulse des II. Vatikanischen Konzils diesen Beratungsauftrag in den weiten Horizont vom „Volk Gottes unterwegs“ gestellt und so ein eigenständiges und gleichzeitig modernes Profil des katholischen Vereins für Auswandererberatung in einer mobilen Gesellschaft zu verankern versucht. Die Migration wird als Pilgerweg begriffen, wie sie in dem Motto von Karl Rahner zum Ausdruck kommt, das seit 1990 den jeweiligen Jahresberichten vorangestellt wird: „Auf dem Wege zu Gott kann man einem anderen nur helfen, wenn man ihm auf den Straßen der Welt hilft; denn auf diesen geht der Weg ins ewige Leben.“

Das Raphaelswerk ist seit vielen Jahrzehnten ein Fachverband des Deutschen Caritasverbandes, aber er hat seine eigenständige Aufgabe der Auswanderungsberatung und -begleitung. Der Dienst am Menschen unterwegs ist nicht im engeren Sinne Sozialhilfe oder wirtschaftliche Hilfe, die auch in der Zeit der Massenauswanderung des 19. Jahrhunderts nur sehr begrenzt geleistet werden konnte. Insofern unterscheiden sich Zielsetzung und Aufgabenstellung von der des Deutschen Caritasverbandes, der viel stärker auf Nothilfe hin angelegt ist. Im weiteren Sinne ist aber dieser besondere Dienst an Auswanderern, Weiter- und Rückwanderern und Flüchtlingen eine caritative Arbeit, die auch einer besonderen religiösen und ethischen Motivation bedarf.

Als Dienstleistungsunternehmen ist das Raphaelswerk weiterhin stark gefragt. Es findet seinen fest verankerten Platz in der vielgestaltigen Beratungslandschaft für „Menschen unterwegs“. Seit mehr als einem Jahrzehnt steht die Beratung von Deutschen wieder im Vordergrund. Diese Klientel unterscheidet sich in ihrer Sozialstruktur deutlich von den Auswanderern des 19. Jahrhunderts und weithin auch des 20. Jahrhunderts wie auch von den Flüchtlingen der vorausgegangenen Epochen. Die heutigen Arbeitsmigranten wie auch die Altersmigranten haben überwiegend eine mittlere bis hohe Qualifikation, so dass es berechtigt ist, von ihnen für die Dienstleistung der Beratung ein gewisses Entgelt zu verlangen. Diese Forderung steht im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip, das Hilfe zur Selbsthilfe bedeutet und die Eigeninitiative der Ratsuchenden fördern und nicht lähmen will. Es stand die Überlegung an, ob die Beratung armer Migranten, für die die Institution des gemeinnützigen Vereins weiter hilfreich und empfehlenswert ist, nicht auch organisatorisch und finanziell von der Beratung kleiner und mittlerer Unternehmen, die Mitarbeiter ins Ausland entsenden, und Selbstständigen getrennt werden sollte, für die eher ein Beratungsunternehmen in Frage kommt. Für diesen Kundenkreis wurde die Raphael-Service GmbH gegründet. Diese könnte dann auch ein angemessenes Entgelt für die Beratungstätigkeit nehmen, das die Existenz des Raphaelswerkes finanziell für die Zukunft sichert.

Solche Fragen betreffen aber fundamental das Selbstverständnis eines Werks, das zur Behebung massenhafter Not entstanden ist. Bei dem raschen Wandel der heutigen Welt ist jedoch nicht mit Sicherheit abzuschätzen, ob diese in der Weltgeschichte einmalig günstige Wirtschaftslage in Mitteleuropa so bleibt und nicht in eine wachsende Verarmung umschlägt. Finanz- und Wirtschaftskrise können eine Vorahnung bedeuten von dem, was auf einen seit Jahrzehnten prosperierenden Erdteil zurollen kann. Wie schnell wird dann die Notlage der Migranten wieder zunehmen? International sind die Migrationsströme auf zehn Millionen angeschwollen, wovon ein immer größerer Teil Europa und Deutschland erreicht. Die politischen Umwälzungen im Nahen Osten ließen seit einigen Jahren einen weiteren Flüchtlingsstrom erwarten, der 2015 über Europa hereinbricht. Es bedarf immenser Anstrengungen in Europa zur Aufnahme und Integration von Flüchtlingen, wenn es nicht selbst unter der Last zusammenbricht. Diese neue Weltsituation verlangt, dass wieder wie in der Gründungszeit vorausschauende Frauen und Männer dieses Flüchtlingsproblem ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken und sich aus Solidarität ehrenamtlich zusätzlich zu den Hauptamtlichen in den weltweiten Dienst der Menschen unterwegs stellen.

Wer mehr über das Raphaelswerk erfahren möchte, sei auf das Buch "Weltweiter Dienst am Menschen unterwegs. Auswandererberatung und Auswandererfürsorge durch das Raphaels-Werk 1^871 - 2011" von Manfred Hermanns verwiesen, das 2011 beim Pallotti Verlag in Friedberg (Bayern), ISBN 978-3-87614-079-7 erschienen ist.

Bürgerreporter:in:

Manfred Hermanns aus Hamburg

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