Vor 50 Jahren - als die Sturmflut nach Hamburg kam

Gestern Abend - am 16. Februar 2012 - läuteten im Hamburger Michel und in vielen Kirchen der Stadt um 18.00 Uhr die Glocken zum Gedenken an die Große Flut und ihre Opfer.

Wenn ich mich an das Geschehen vor 50 Jahren erinnere, denke ich zunächst an ein besonderes Ereignis im Leben einer 15 1/2-jährigen Schülerin. In jener Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 hatte unser Tanzkurs der 10. Klasse der Schule Furtweg "Abtanzball" in der Elbschloss-Brauerei an der Elbchaussee. Es war unser erster Ball, und auf den freute ich mich sehr. Gewiss, es war stürmisch, regnerisch, kalt und es hatte auch Schneeschauer gegeben am Tage und Abend des 16. Februar. Ich erinnere mich noch an Wetterberichte aus dem Radio, die Windstärke 9 und in Böen bis zu Windstärke 12 (Orkanstärke) verkündeten - doch was das für die Küsten in Norddeutschland und Hamburg bedeuten würde - davon war meine Vorstellung weit entfernt. Von "Land unter" auf den Halligen - von den dort lebenden Menschen, die sich bei Sturm vor dem Wasser der Nordsee in ihren Häusern auf Warften in Sicherheit bringen - ja davon haben wir im Erdkunde-Unterricht gehört und Bilder gesehen. Wir haben sogar einmal die Hallig Hooge während einer Klassenreise im 8. Schuljahr nach Amrum besucht und einen Eindruck vom Leben auf einer Hallig bekommen.

Ohne auch nur im Geringsten davon zu ahnen, welche Gefahr in dieser Nacht von der Elbe her auf die Stadt zukam und ohne zu wissen, wie dicht wir alle am Geschehen waren, tanzten wir jungen Damen in unseren ersten Ballkleidern und hochhackigen Schuhen mit den jungen Herren in ihren ersten Anzügen - möglichst tanzschulgerecht Foxtrott, Walzer, Marsch und Rumba. Ich war überrascht, als meine Eltern plötzlich mit mir nach Hause wollten - was meiner ausgelassenen Tanzstimmung gar nicht entsprach und entgegenkam. Hatte die tanzende Gesellschaft von der drohenden Sturmflutgefahr etwas mitbekommen? Hatte es Warnungen gegeben?

Vorgestern traf ich mich mit meinen Schulfreundinnen aus dieser Zeit - mit Brigitte, Inge und Marlit. Wir kamen auf die Sturmflutnacht und unseren ersten Ball zu sprechen. Brigitte meint, unsere Tanzlehrerin hätte von der Bühne aus über ein Mikrophon die Empfehlung an alle Teilnehmenden gegeben, den Ball zu beenden und nach Hause zu fahren. Ich kann mich nicht an eine solche Durchsage erinnern. Vielleicht habe ich das auch gar nicht mitbekommen - weil ich gerade da mal bei "Damen" war? Bei Inge und Marlit ist der Eindruck geblieben, der Ball sei vorzeitig abgebrochen worden - und das entspricht im Nachhinein auch meinem Empfinden.

Als meine Eltern und ich aus dem Festsaal der Elbschloss-Brauerei rauskamen und in der Dunkelheit zum Parkplatz zu unserem VW Käfer gingen, sahen wir, wie das Wasser der Elbe sturmgepeitscht und wellenbewegt mit Schaumkronen bei auflaufender Flut sehr viel höher stand als sonst. Die Elbchaussee hatte die Flut zu diesem Zeitpunkt noch nicht erreicht. Im Laufe des nächsten Tages drangen nach und nach die ersten Berichte über eine Flutkatastrophe von bis dahin nicht gekanntem und unvorstellbarem Ausmaße durch.

Die Bilanz : 1/6 des Hamburger Staatsgebiet stand unter Wasser - am schlimmsten waren Wilhelmsburg, Waltershof, Billbrook, Neuenfelde, Moorburg und Gebiete der Süderelbe betroffen - 315 Tote wurden in Hamburg beklagt - 340 Tote im gesamten Flutgebiet - zigtausende Menschen wurden obdachlos. Helmut Schmidt als damaliger Innensenator leitete den Krisenstab. Für den beherzten Umgang mit der Lage gebührt Helmut Schmidt allerhöchster Respekt.

"Einen anfänglichen Überblick über das Ausmaß der Katastrophe bekamen die Zuständigen erst in den Vormittagsstunden des 17. Februars. Nach den bis dahin eingegangenen Meldungen war zu befürchten, dass die Sturmflut allein in Hamburg mehrere tausend Tote gefordert habe bzw. fordern würde, wenn nicht schnellstmöglich auch militärische Hilfe in Anspruch genommen werde. Da Helmut Schmidt zuvor als Abgeordneter des Bundestages mit Verteidigungsangelegenheiten befasst war und die meisten Kommandierenden der NATO persönlich kannte, konnte er noch am Morgen des 17. Februar, obwohl verfassungsrechtlich nicht dazu befugt, NATO-Streitkräfte und hier insbesondere Pioniertruppen mit Sturmbooten sowie 100 Hubschrauber der Bundeswehr und der Royal Air Force anfordern, welche die ca. 25.000 zivilen Helfer u.a. des Deutschen Roten Kreuzes, des Technischen Hilfswerkes und der schon seit Beginn der Katastrophe im Dauereinsatz befindlichen Feuerwehren unterstützten."

"Auch die Warnung der Bevölkerung durch das Deutsche Hydrographische Institut über Rundfunk und Fernsehen erwies sich aus organisatorischen Gründen als unzureichend: eine Unterbrechung der bei der Bevölkerung damals sehr beliebten Fernsehserie "Familie Hesselbach" war nicht möglich, so dass die Warnung erst im Anschluss ausgestrahlt werden konnte, als die in den gefährdeten Gebieten wohnenden Menschen längst im Bett waren."
Wikipedia: Sturmflut 1962

Um 20.33 Uhr am 16.02.1962 sendete der NDR-Hörfunk die ersten Warnungen vor einer großen Flut. Es sollte die größte Sturmflut der Geschichte seit 1825 werden. Nach der stürmischen Flutnacht setzte eine Frostperiode ein - die überfluteten Gebiete wurden von einer Decke aus Eis überzogen. Am 26. Februar 1962 kamen 150.000 Menschen zur Trauerfeier auf den Rathausmarkt.

Gestern Abend gab es für mehr als 600 Zeitzeugen einen Empfang im Hamburger Rathaus. Ich habe mir zuhause die bewegenden TV-Sendungen zur Flutgeschichte angeschaut. Es ist auch heute kaum zu fassen, was damals vor 50 Jahren in Hamburg, in den Gebieten der Unterelbe und an der Nordseeküste geschah .....

Kirsten Mauss

Hier noch ein Link zu einem Bericht des Zeitzeugen Ewald Eden über sein Erleben der Sturmflutnacht auf der ostfriesischen Insel Norderney:
http://www.myheimat.de/wilhelmshaven/natur/die-flu...

Bürgerreporter:in:

Kirsten Mauss aus Hamburg

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