Churfranken: Miltenberg, „die Perle des Mains“, ist 775 Jahre jung
Vier Fontänen sprudeln aus der Mitte des gepflasterten Engelplatzes zwischen Rathaus und ehemaligem Franziskanerkloster. Dann schnellen sie in die Erde zurück, um sanft über dem Boden zu plätschern und erneut hoch zu schießen. In das Rauschen mischen sich die Kirchenglocken. Die Stadtführung durch die Fachwerkstadt Miltenberg am Main, „die Perle des Mains“, kann beginnen. Nein, so schnell doch noch nicht.
„Zuerst wollen wir mal feststellen“, sagt Stadtführer Alexander energisch in pfälzisch-mainzerischem Dialekt, wobei Anklänge ans Hessische und Schwäbische herauszuhören sind: „Wir sind hier in Franken, nicht in Bayern. Darauf legen wir Wert, obwohl wir staatlich, politisch zu Bayern gehören. Wir müssen uns aber volksstammmäßig abgrenzen, ein himmelweiter Unterschied. Wir haben nie was mit Bayern am Hut gehabt.“ Allenfalls mit Baden-Württemberg und Hessen, wozu Franken in seiner Geschichte einmal gehörte.
Bis 1803 gehörte Miltenberg zu Kurmainz. Der Stadtgründer war der Erzbischof von Mainz. Im Zuge der Säkularisation wurde der Bischof enteignet und verlor seine Besitztümer. So kam Miltenberg im Jahre 1803 zum Fürstentum Leiningen, mit dem es 1806 dem Großherzogtum Baden einverleibt wurde. Nachdem die Stadt ab 1810 zum Großherzogtum Hessen-Darmstadt gehörte, wurde sie schließlich 1816 an Bayern verkauft. Für die Franken eine tragische Geschichte, zumal die Bayern Franken als Zonenrandgebiet sehen, als „das letzte Haar am Schwanz des bayrischen Löwen“.
Als Churfranken bezeichnet sich seit 2007 die westliche Region Frankens im Maintal zwischen Odenwald und Spessart, zu der sich 20 Mitgliedsgemeinden zählen: Amorbach, Bürgstadt, Collenberg, Eichenbühl, Elsenfeld, Erlenbach, Dorfprozelten, Großheubach, Großostheim, Großwallstadt, Kleinheubach, Kleinwallstadt, Klingenberg, Miltenberg, Niedernberg, Obernburg, Rüdenau, Stadtprozelten, Sulzbach und Wörth. Ihr Elixier der guten Laune ist der Wein. Er wächst auf den nur dort vorkommenden Buntsandsteinböden in Steillagen von Jahrhunderte lang gepflegten Weinterrassen über dem sonnenverwöhnten Mainviereck. Eine Szenerie aus traditionellen Weinbaudörfern, historischen Fachwerkstädtchen, Wander- und Treidelpfaden und ländlichen, aber hochklassigen gastronomischen Betrieben mit fränkischer Spezialitätenküche.
Miltenberg, 1237 erstmals urkundlich erwähnt, dürfte der bekannteste Ort in Churfranken sein, zumal er dieses Jahr 775-jähriges Jubiläum feiert und zum Feiern einlädt.
Die Altstadt, die sich zwischen Würzburger und Mainzer Tor auf weniger als zwei Kilometern erstreckt, zeigt sich in schönstem Fachwerk, gekrönt von der Mildenburg. Warum gab es überhaupt so viel Fachwerk? Weil es das billigste Material für den Hausbau war. Den Stein, den besonders harten Miltenberger Buntsandstein, den man hier abbaute, exportierte man lieber, etwa zur Errichtung der Frankfurter Paulskirche, ebenso wie Holz und Wein. Lediglich die Stadtmauer entstand aus Buntsandstein.
Je einfacher das Fachwerk, desto älter. Ein älteres erkennt man am vorkragenden Obergeschoss, womit man Grundsteuer sparen konnte.
In der Renaissance setzte man neben den Balken für die Statik Schmuckwerk ein. Bestes Beispiel ist das Haus von 1581. Es hat einen Erker, Schnitzereien und eine besondere Fachwerkkonstruktion, den „fränkischen Mann“. Der breite Balken in der Mitte fungiert als Körper, die ausgestellten Seitenteile sollen die Beine darstellen, und die nach oben ausgestreckten Holzteile sind die Arme.
An den Giebeln und auf den Dächern ist häufig Schiefer zu sehen. Da sich nur Wohlhabende ein Steinhaus leisten konnten, ersetzten viele den Stein durch Schiefer, Schiefer aus der Eifel. Im Nachhinein erwies sich dieser als guter Wetterschutz. Schön sieht das ebenfalls aus.
Wer am Weinplatz links die Treppe emporsteigt, kommt nicht nur zu den gut erhaltenen Resten der alten Stadtmauer und weiter oben der neuen, er erreicht auch den Alten jüdischen Friedhof aus dem 15. Jahrhundert, der bis 1904 benutzt wurde.
Als man die Straße über den Friedhof baute, wurden die Gräber überwölbt und darüber die Straße gebaut, weil die Grabsteine nicht entfernt werden dürfen. Auch die Synagoge aus dem 13. Jahrhundert steht noch, die älteste in Europa, die, weil sie an ein Brauhaus verkauft, also profanisiert worden war, nicht zerstört wurde. Die neue Synagoge ist in der Hitlerzeit wegen der Fachwerkhäuser in der engen Gasse nicht in Brand gesteckt worden, jedoch innen zerstört.
Im Schwarzviertel, einer Straße ohne Sonne und oft überflutet, befand sich auch die „Judenstadt“, wo die jüdischen Bürger wohnten. „Kein Ghetto“, merkt Guide Alexander an.
Besichtigen bei einer Führung kann man noch das rituelle Judenbad, die Mikwe, ein dreizehn Stufen tiefer Schacht mit kaltem Quellwasser zum Untertauchen. Die Mikwe stammt aus dem 3. oder 4. Jahrhundert und wurde bis 1938, also bis zur Reichskristallnacht, benutzt. Wieder zugänglich gemacht Anfang 2000.
Außerdem findet man an einigen Hauseingängen eine Mesusa, eine schräge Einkerbung, die mit einem Röllchen und dem Namen Jahwe versehen war, die gläubige Juden berührten, bevor sie das Haus betraten. Zurückgeblieben ist die schräge Einkerbung. Daher komme der Spruch: „Der Haussegen hängt schief“, weiß der Guide.
Das größte Renaissance-Fachwerkhaus Miltenbergs ist das „Gasthaus zum Riesen“ von 1411. „Es bezeugt, dass der Drive-in von McDonald`s in Miltenberg erfunden wurde“, erlaubt sich der Guide einen Scherz. „Durch die große Toreinfahrt konnten die Gäste mit der Kutsche hineinfahren und durch die Ausfahrt wieder hinaus.“ Warum das so war, erklärt sich aus der Zeit und dem Schmutz der Straßen. Die Nachttöpfe wurden ja einfach aus dem Fenster auf die Straße entleert. In der Kutsche aber blieben die Gewänder sauber und trocken. Der Riesen soll zugleich die älteste „Fürstenherberge“ Deutschlands sein. Sogar ein Bordell wurde darin betrieben. Es war das beste Haus am Platz. Nur gut Betuchte konnten sich eine Einkehr leisten, also der Adel, die reiche Kaufmannschaft und die Geistlichkeit. Wer Rang und Namen hatte, kehrte hier ein, diverse Kaiser, etwa Kaiser Friedrich III., Königin Christine von Schweden... Am Platz davor war im 17. Jahrhundert der „Hot Spot“ der Hexenverfolgung, etwa 453 Miltenbergern wurde der Prozess gemacht, in 40 Jahren wurden 200 verbrannt.
Im 19. Jahrhundert hatte der Riesen auch ein Braurecht. Davon zeugt noch der Braustern am Wirtshausschild, ein Hexagramm, ähnlich dem Judenstern.
Heute bewirtschaftet die Privatbrauerei Faust das Anwesen und serviert spezielle Biere, etwa Faust-Kräusen, Faust-Schwarzviertler, Eisbock, Faust-Auswanderer Bier 1849. Für Biertrinker eine Fundgrube.
Die Zwillingstürme der Stadtpfarrkirche St. Jakobus weisen den Weg in Miltenbergs „gute Stube“, den Marktplatz am Schnatterloch. Damit ist die Pforte im Turm gemeint. Durchschreitet man diese, befindet man sich mitten im Wald. Unter dem Durchschlupf in der Stadtmauer dahinter befindet sich ein weiteres Loch, das eigentliche Schnatterloch. Hier fließt bei starkem Regen das Wasser durch die Stadtmauer und über eine Entwässerungsrinne bis zum Marktplatz. Der Name Schnatter leitet sich aus dem alten Begriff "Snade" ab, mit dem eine Grenze bezeichnet wurde, denn der Regenwassergraben war ursprünglich einmal die Stadtgrenze. Der Name hat also nichts mit frieren oder viel reden zu tun. Ein romantisches Ensemble von Marktbrunnen mit tanzenden Putten und Fachwerkhäusern, das mit Lilo Pulver und dem „Wirtshaus im Spessart“ in die Filmgeschichte einging. Vom Marktplatz erreicht man aber auch die Mildenburg hoch über der Stadt.
Den romantischsten Blick auf Miltenberg mit der Mildenburg hat man von der Brücke über den Main. Den genoss sicher auch Elly Heuss-Knapp, die Gattin des ehemaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss, die öfter in Miltenberg weilte. Sie schrieb in ihren Memoiren, dass Miltenberg das wahre Herz von Deutschland sei.
www.churfranken.de
Bürgerreporter:in:Elke Backert aus Hamburg |
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