Vergesslichkeit im Alter ist nicht normal
Am Bezirkskrankenhaus Günzburg gibt es eine Spezialsprechstunde für Gedächtnisstörungen. Warum sich ein Besuch dort lohnt, wenn das Gedächtnis nachlässt.
Universitätsprofessor Matthias W. Riepe ist Chefarzt der Abteilung Akutgeriatrie und Gerontopsychiatrie am Bezirkskrankenhaus (BKH) Günzburg und leitet außerdem die Sektion Gerontopsychiatrie an der Universität Ulm. Der 52-jährige gebürtige Dortmunder wurde unlängst in Ulm für weitere zwei Jahre zum Präsidenten eines europäischen Vereins von Gedächtnissprechstunden wiedergewählt. Darüber sprachen wir mit ihm.
Herr Professor Riepe, was ist das für ein Verein, dem Sie vorstehen?
Riepe: Er nennt sich European Memory Clinics Association, hat seinen Sitz in Ulm und umfasst etwa 150 Mitglieder, die überwiegend aus Deutschland, Österreich und der Schweiz stammen. Memory Clinics ist der Fachbegriff für Gedächtnissprechstunden. Das sind Spezialsprechstunden, die besonders erfahren sind in der Diagnose und Behandlung von Gedächtnisstörungen und Demenzerkrankungen.
Gibt es eine solche Gedächtnissprechstunde auch in Günzburg?
Riepe: Ja, eine solche ambulante Spezialsprechstunde mit besonderer Expertise bei der Diagnose und Therapie von Gedächtnisstörungen und Demenzerkrankungen gibt es auch in der Klinik für Psychiatrie in Günzburg und – weil wir als Teil der Psychiatrie II auch zur Universität Ulm gehören – auch im Rahmen der gerontopsychatrischen Hochschulambulanz in Ulm. Beim telefonischen Kontakt reicht es, nach der „Gedächtnissprechstunde“ oder der „Demenzambulanz“ zu fragen.
Wer kann da hingehen?
Riepe: Jeder, der bei sich selber feststellt, dass die Gedächtnisleistung im Alter nachgelassen hat. Zum Beispiel ist eine Untersuchung sinnvoll, wenn man häufiger als zuvor Dinge verlegt, sich an Termine nicht mehr erinnert oder einfach Zahlen, Namen oder Fakten schneller vergisst. Auch mit zunehmendem Alter ist das nicht normal und muss untersucht werden. Selbstverständlich können auch niedergelassene Fach- und Hausärzte zur Abklärung von Gedächtnisstörungen oder bei Demenzverdacht in die Spezialsprechstunde einweisen.
Was erwartet die Patienten in der Gedächtnissprechstunde?
Riepe: Zunächst einmal eine ärztliche psychiatrische und neurologische Untersuchung. In aller Regel kommen Blutuntersuchungen und eine Computer- oder Kernspintomographie des Gehirns hinzu. Die weiteren Untersuchungen richten sich dann ganz nach den Symptomen. Da kann eine ausführliche neuropsychologische Untersuchung dazugehören oder eine Entnahme von Nervenwasser. Ganz wichtig: Die Untersuchungen finden in aller Regel ambulant statt – keiner muss eine stationäre Aufnahme befürchten.
Was sind denn häufige Ursachen von Gedächtnisstörungen?
Riepe: Die häufigste Ursache ist sicher die Alzheimer-Erkrankung. Wir können mit unseren Verfahren die Diagnose dieser Erkrankung stellen, selbst wenn noch keine Demenz, also keine schwerwiegende Beeinträchtigung im Alltag mit dem Nebeneinander einer Vielzahl von Störungen der geistigen Leistungsfähigkeit vorliegt. Gedächtnisstörungen im Lebensalter ab etwa Mitte 50 können aber auch bei Depressionen und Stoffwechselstörungen auftreten.
Sind denn Gedächtnisstörungen nicht ganz normal?
Riepe: Das wissen wir inzwischen besser. Gedächtnisstörungen mit zunehmendem Alter sind nicht normal – sie sind nur sehr häufig. Gedächtnisstörungen im Alter sind etwa so häufig wie ein erhöhter Blutdruck im Alter. Und beides sollte früh und konsequent behandelt werden.
Und was ist eine Demenz?
Riepe: Zunächst muss man ganz deutlich sagen: Demenz ist keine Erkrankung – aber viele Erkrankungen können zu einer Demenz führen. Eine Demenz ist ein gleichzeitiges Auftreten von mehreren Störungen der geistigen Leistungsfähigkeit mit Auswirkungen auf den Alltag. Hierfür kann es viele Ursachen geben: zum Beispiel die Alzheimer Erkrankung, depressive Erkrankungen, die Parkinson Erkrankung, sogenannte Frontotemporale Erkrankungen, ein Normaldruckhydrozephalus, Stoffwechselerkrankungen wie ein Vitamin-B12-Mangel und viele weitere mehr. Diese Ursachen können wir mit unseren Untersuchungen in der Gedächtnissprechstunde aufklären.
Es heißt immer, eine Demenz sei nicht behandelbar …
Riepe: Wenn die richtige Diagnose gestellt worden ist, dann kann auch eine richtige und wirksame Behandlung eingeleitet werden. Bei einem Teil der Erkrankungen können sogar nicht nur die Symptome behandelt werden, sondern die Ursache.
Zum Beispiel?
Riepe: Manche Gedächtnisstörungen lassen sich auf den Mangel von Vitamin B12 zurückzuführen. Dieses Vitamin ist für den Nervenstoffwechsel von Bedeutung. Und wenn zu wenig davon im Körper ist, kann das Gedächtnis nachlassen. Dieses Beispiel zeigt, dass manchmal auch die Ursache einer Demenz behandelt werden kann. Grundsätzlich gilt: Je früher man eine Gedächtnisstörung erkennt, desto größer ist der Nutzen durch eine Behandlung.
….und bei der Alzheimer-Erkrankung?
Riepe: Auch bei der Alzheimer-Erkrankung lässt sich eine wirksame Behandlung durchführen. Und ich bin davon überzeugt, dass auch diese Behandlung umso wirkungsvoller ist und dem Patienten umso mehr nützt, je früher sie begonnen wird.
Was zeichnet die Gedächtnissprechstunde noch aus?
Riepe: Der medizinische Fortschritt geht ja immer weiter. Das heißt auch, es werden neue Medikamente entwickelt. Lange bevor solche Medikamente in die Apotheke kommen, stehen sie unter bestimmten Bedingungen schon in solchen Spezialambulanzen zur Verfügung – auch in der Gedächtnissprechstunde in Günzburg.
Wie viele Patienten pro Jahr besuchen diese Sprechstunde?
Riepe: Etwa 250, und das konstant. Sie kommen von überall her. Das Angebot richtet sich vorwiegend an Menschen ab Mitte 50.
Seit wann gibt es dieses Angebot in Günzburg?
Riepe: Seit ich hier bin, also seit 2008.
Wo findet diese Gedächtnissprechstunde statt?
Riepe: In den Räumen der Psychiatrischen Klinik auf dem Gelände des Bezirkskrankenhauses. Die Anmeldung zur Abklärung von Gedächtnisstörungen kann telefonisch unter zwei Nummern erfolgen: 08221/96-28845 (Frau Keller) oder 08221/96-2355 (Frau Vrba).
Bürgerreporter:in:Georg Schalk aus Augsburg |
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