Surrealist zwischen Kriegserlebnis und Erotik - Helmut Braig (85) zeigt umfangreiche Werkschau in Birkenried

Vernissage des Künstlers Helmut Braig findet am 26. April, 19 Uhr in Birkenried statt
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Birkenried, April 2008, Vernissage des Künstlers Helmut Braig am 26. April, 19 Uhr. Mit der Ausstellungseröffnung in den Galerien und dem Skulpturenpark von Birkenried zeigt das Kulturgewächshaus Birkenried mit über 100 Zeichnungen, Bildern und Skulpturen eine der größten und umfassendsten Ausstellungen des Giengener Künstlers Helmut Braig der Jahre 1946 bis 2008. Im vergangenen Monat feierte das heute noch aktive Multitalent seinen 85. Geburtstag. Den Kopf noch voller Ziele philosophierte er dabei über seine Zukunft: "Weil das andere Ufer langsam näher rückt, habe ich mich entschlossen, etwas langsamer zu schwimmen, damit es nicht so schnell näher kommt."

Mit 12 Jahren hat der 1923 Geborene für sein Bild "Gang zur Christmette" den ersten Preis gewonnen. Malerfachschule, Designerlehre, staatl. Kunstgewerbeschule Stuttgart und staatl. Akademie der bildenden Künste Stuttgart bildeten die fundierte handwerkliche Basis seines Schaffens. Es ist nicht schwer zu erraten, was den jungen Braig nach diesen ersten Studienjahren prägte - der zweite Weltkrieg. Frankreich, Polen, Russland, Dänemark und zuletzt im berüchtigten Gefangenenlager Sinzig am Rhein: "Uns faulte die Uniform vom Leib, da wir bei Regen und Sonnenschein ohne jeglichen Schutz über Wochen zusammengepfercht waren und vor lauter Hunger Graswurzeln fraßen, um einfach zu überleben". Nach diesen Erlebnissen mag es nicht verwundern, dass der endlich Heimgekehrte zum Weihnachtsfest 1946 eine Grippe schnitzte, die als Leihgabe in Birkenried zu sehen ist.

Die breite Vielfalt von Braigs Werken ist nur dann zu verstehen, wenn einerseits die Kriegsjahre, die aus ihm einen bekennenden und streitbaren Pazifisten gemacht haben, und die Nachkriegsjahre mit dem sog. Wirtschaftswunder als Gegenpole der persönlichen Entwicklung zugrunde gelegt werden. Während er als Chefdesigner für den weltbekannten Plüschtierhersteller Steiff in Giengen Spiel-und Präsentationslandschaften weltweit bis hin zur Weltausstellung in Tokio für Furore sorgten, die Schleichs Schlümpfe von ihm das erfolgreiche Umfeld verpasst bekamen, lebte er in seinem Giengener Atelier seine persönlichen Empfindungen, Erfahrungen und Traumata aus. Der Krieg endete bei ihm in dem Puppenfilm "Ameisenkrieg" (1963), der als erster Puppenfilm in realer Bewegung und nicht in Stop-Motion gedreht wurde. Weltweite Preise (Tokio, Johannesburg, Schweiz und Frankreich) sowie der Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde waren erste internationale Anerkennungen für den ambivalenten Menschen Braig, der sein Leben ernst nahm, zu genießen verstand und mit seiner Meinung nicht geizte. Mit der "Romanze in Müll" nahm er bereits 1965 ein Thema auf, das die Gesellschaft noch heute beschäftigt. Beide Filme sind anlässlich der Vernissage in Birkenried zu sehen.

Einen großen Teil der Werke nehmen surrealistische erotische Szenen ein, die in der Birkenrieder Ausstellung immer wieder gegen die Braigschen Kriegsbilder gesetzt sind. "Bei erotischen Darstellungen verschlägt es den Politikern immer wieder die Sprache, wobei sie bei der Genehmigung von Wehretats skrupellos die Hände hochhalten. Dabei ist die Erotik der Ursprung des Lebens, der Krieg dessen Ende", sinniert der 85-Jährige. "Die verbrannte Erde, welche von der deutschen Wehrmacht beim Rückzug zurückgelassen wurde, wo ich selbst Augenzeuge war, lässt mich nicht ruhen und immer wieder Bilder von diesen unmenschlichen Ereignissen malen." Vieles kommt surrealistisch daher, gelebte Wirklichkeiten in unwirklich wirkende Bildszenen umgesetzt, dadaistische Anspielungen, Grosz'sche Aphorismen, Dalis Verzerrungen von Raum und Zeit: Braig lebt mit beiden Füßen auf dem Boden der zweiten Hälfte des 20 Jahrhunderts mit seiner ungezügelten Vielfalt des Kunstausdrucks – besser gesagt: Er schwelgt in seiner unendlichen Ausdrucksfähigkeit. Egal ob mit Bildern, Zeichnungen, in Beton gegossenen Skulpturen oder surrealistischen Installationen. Wälder von Stelen überraschen in seinem Garten und stellen den Besucher vor das Rätsel, ob die Wurzeln eher bei den Azteken oder den birmanischen Tempelstatuen zu suchen sind. Braigs Fantasie kennt keine Grenzen und vermittelt neben all den ernsten Themen eine gute Portion von Schalk, wenn sich in den runden und viereckigen Köpfen und Symbolen einbetonierte Benzinkanister, Milchflaschen und ausrangierte Pestizidtonnen verbergen.

Mit seiner "Waldhaust", mit "Braighausen" und dem Skulpturenpark an der Giengener Stadtmauer hat er opulente Gesamtwerke geschaffen, die ihm allerdings auch Sorgen bereiten: "Wer hält das später mal instand – das wird sicher irgendwann aus Geldmangel und mangelnder Sachkenntnis verfallen".

Eingebettet in das verträumte Ambiente des Kulturgewächshaus' Birkenried entführt die Ausstellung Besucher wie Kunstsammler in eine Welt jenseits des aktuellen Kunstbetriebs. Braig passt in keine Schublade, er arbeitete immer aus seinen tiefen Emotionen heraus. Was zu sehen ist, berührt einen ebenso tief.

Ausstellungseröffnung am 26. April, 19 Uhr. Helmut Braig ist persönlich anwesend. Galerien und Skulpturenpark können Dienstag bis Sonntag von 14 bis 19 Uhr besichtigt werden. An Konzertabenden, meist Samstag Abend ist die gesamte Szenerie illuminiert. Letzter Ausstellungstag: 31. August. Weitere Informationen über www.birkenried.de oder info@birkenried.de. Das Kulturgewächshaus Birkenried liegt an der B16 zwischen Günzburg und Gundelfingen bei der 5-köpfigen Giraffe Monika

Bürgerreporter:in:

Bernhard Eber aus Günzburg

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