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4. Fortsetzung "Abenteuer in Ladakh"

Die Schattenseiten des Lichtes

Ein Abenteuer wäre keines, wenn sich nicht schier unüberwindbare Hindernisse und Probleme mitten im Weg aufbauen würden. Ich war ziemlich überrascht, als die gute Motivation, mich aufopfernd für eine lohnende Sache einzusetzen, nicht ausreichte und viele wertvolle Aspekte meines Lebens verloren gingen.
Als wir 2003 von unserer ersten Reise nach Ladakh zurückkehrten, fielen wir in einen Strom turbulenter und arbeitsreicher Wochen, der uns nicht wieder frei gab. Da eine große Nachfrage nach unseren Bildern bestand, sortierten und ordneten wir ca. 1000 Dias. Wir entwarfen kleine Handzettel über den Zweck unseres Einsatzes und kopierten sie zum Auslegen. Entsprechende Musik zur Untermalung bei den Vorträgen musste ausgesucht werden. Ein Diaprojektor mit Überblendtechnik fehlte auch noch und wir liehen uns eine Leinwand für die größeren Vorträge vom Alpenverein, bei kleineren reichte eine weiße Wand. Ich entwarf Artikel für die Günzburger Zeitung, für die Zeitschrift für Physiotherapie (wir wollten ja Freiwillige rekrutieren, die für uns nach Ladakh gehen) und für die Fachzeitschrift für Orthopädietechnik. Außerdem erstellte ich meine erste PowerPointPräsentation für einen Vortrag in unserem Krankenhaus. Ich lernte, wie man Bilder bearbeitet und einfügt und eine solche Präsentation zusammen stellt. Meine ganze Freizeit wurde von dieser Arbeit verschlungen und ich spürte, dass ich oft sehr müde und niedergeschlagen war, ein Schatten ohne Namen kroch leise in mein Leben. Alle unsere Mühen wurden durch großen Anklang und Begeisterung gelohnt.
Wir hatten keine Pläne in Kürze nach Ladakh zurück zu fliegen und deswegen erwischte uns im Februar 2004 das berühmte E-Mail aus Ladakh völlig unvorbereitet. Es waren weitere behinderte Kinder gefunden worden, die unsere Hilfe brauchten. Es gab ja sonst niemanden, der so etwas machen würde. Unsere finanziellen Ressourcen waren aufgebraucht, aber das Feuer für die Kinder brannte hell. Ohne lange zu überlegen sagten wir zu, im Wissen, das „Etwas“ kommen und helfen würde, wenn es denn so sein sollte. Die Vorbereitungen für den Trip im Juni 2004 beschäftigten uns voll, als die Hilfe in Form eines Lottogewinns von 3700 Euro hereinschneite, der den größten Teil der Kosten deckte.

Die zweite Reise nach Ladakh gestaltete sich noch kompakter und voll gepfropft mit Arbeit und schweren Touren. Zum ersten Mal in unserem Leben standen wir staunend und stolz auf einem Pass über 5250 m und hingen zwei Tage später mit Todesangst an einem lebensgefährlichen Steilhang fest. Aber dieses Abenteuer werde ich zu einem anderen Zeitpunkt erzählen. Die Physiotherapeutin, die eine Woche vor uns als erste Freiwillige in Ladakh ankam und uns bei dieser Tour helfen sollte, entschloss sich spontan zu einer Treckingtour und lies sich dann drei Wochen nicht mehr sehen und ich blieb mit der Arbeit alleine, Jürgen natürlich wie immer hilfreich an meiner Seite. Cynthia Hunt begleitete uns, denn sie würde später wieder in die Dörfer zurückkehren und nach den Kindern schauen.

Wir landeten am Samstag Morgen in Leh, ruhten uns zwei Stunden aus und dann ging es los mit Treffen mit den Kooperationspartnern, mit dem Besorgen einer speziellen Erlaubnis für die Einreise in die verbotenen Zonen und dem Einkaufen der nötigen Lebensmittel und Ausrüstung. Am Sonntagmorgen fuhr der voll besetzte Bus im Schneckentempo die steilen Strassen in die „Da Hanu“ Gegend, um uns in die Arme wartender Eltern und ihren behinderten Kinder zu entlassen. Wir wohnten zwei Wochen auf 4100 m Höhe in unserem kleinen Zelt und verbrachten die Zeit in einem vom Westen völlig unberührten Dorf mit all den erwünschten und unangenehmen Begleiterscheinungen. Von morgens bis abends standen wir unter Beobachtung, vor allen Dingen von den Kindern. Privatsphäre wurde zum Fremdwort, bis Cynthia ein Machtwort sprach und den Kindern die neugierige Umlagerung unseres Zeltes untersagte. Es ereignete sich dann eine lustige Begebenheit, von der ich berichten will.

Haare waschen in Kurambik
Für Jürgen war es kein Problem mit dem Oberkörper entblößt unter unserer Solardusche seine Haare zu waschen. Wir hatten die Dusche zu diesem Zweck an einer großen Holzgabel aufgehängt. Die Kinder beobachteten mit großer Neugier aus sicherer Distanz, was der weiße Mann da machte. Richtig interessant wurde es erst, als die weiße Frau ihr Haare waschen wollte, denn ich konnte nicht entblößtem Oberkörper da stehen und musste mich deswegen weit nach vorne beugen. Dazu mussten wir erst die passende Stelle suchen. Jürgen fand einen großen Felsen, auf den er stieg, dann hielt er die Latte mit der Solardusche so hoch, dass ich mich bequem beugen konnte und das Wasser über meinen Kopf laufen konnte. Man stelle sich nun dieses Bild vor: Jürgen mit einem langen Stecken hantierend in den Händen auf einem Felsen, und das oben auf dem Berg. Unter dem Sack dann die Frau, die sich seltsam bewegte. Aufgeregt und mit weit aufgerissenen Augen beobachteten die Kinder von der tiefer liegenden Dorfwiese aus neugierig unsere Aktionen, ohne genau zu erkennen, was da vor sich ging. Für diese nicht Fernsehverwöhnten Kleinen fand auf dem Berg ein spannender Krimi statt. Cynthia hielt sie mit aller Überredungskunst davon ab, zu uns hoch zu laufen und den Krimi aus der Nähe zu betrachten.
Aber man musste genau beobachtet haben, was wir anstellten, denn zwei, drei Tage hinterher hatte fast jede Frau im Dorf frisch gewaschene Haare.

Als wir nach diesem Einsatz wieder in Deutschland ankamen, ging es gleich weiter mit der Arbeit. Der erste Artikel erschien zwischenzeitlich in der Zeitschrift für Physiotherapie und es meldeten sich viele Freiwillige per E-Mail. Ich beantwortete jeden Brief individuell und auch alle Fragen. Ich half ihnen mit der Vorbereitung der Einsätze und sammelte immer mehr Informationen. Dieser Schreibaufwand verschlang viel zuviel Zeit und wir suchten nach anderen Lösungen. Eine Homepage war die neue Idee. Dort könnten die Freiwilligen und Interessierte alle Informationen über die Einätze und die Arbeit finden. Nach langer Suche fanden wir einen sehr guten und kreativen Webmaster, der mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen kostengünstig über einen Zeitraum von drei Monaten unsere derzeitige Website in engster Auseinandersetzung mit der Thematik erstellte. Ich saß stundenlang daneben, beobachtete, half, beriet und kochte Kaffee. Und ich wurde immer müder und kaputter, hatte dauernd Kopf- und Rückenschmerzen und mein Reizdarm plagte mich Tag und Nacht. Keine Zeit mehr zum Joggen, Spazieren gehen, Buch lesen. Nachts schlief ich immer schlechter, stand auf, beantwortete Mails und schrieb Artikel, ging den ganzen Tag zum Arbeiten, um abends wieder mit unserem Webmaster an der Homepage zu arbeiten. Der Schatten wurde dunkler und verschlang das Licht.

Der Winter kam und meine Nerven gingen. Die Verantwortung und Arbeit in meinen Beruf wurde mehr und im Februar war ich das erste Mal krank. Aber es musste weiter gehen, denn im April 2005 wollte ich nach Ladakh, um bei einem großen Camp zur Ausbildung der Einheimischen zu helfen. Die Freiwilligen vor Ort leisteten bewundernswerte Arbeit, aber der ständige Wechsel der Einsatzkräfte und die örtlichen Gegebenheiten warfen neue Probleme auf, die in meiner Verantwortung lagen. Einen Tag vor meinem Abflug ging ich mit starken Ohrenschmerzen und Hörproblemen zum Facharzt, der einen Hörsturz feststellte. Jetzt war mir klar, dass mit meiner Gesundheit etwas wirklich schief lief, aber ich hielt mich immer noch für unüberwindbar. Ich flog trotzdem nach Ladakh, ich wurde erwartet und gebraucht und ich liebte diese Arbeit. Ich unterrichtete zwei Wochen und organisierte zusammen mit unseren drei Freiwilligen die Einsätze, die Wohnung, den Transport in die Dörfer, ein Telefon in der Wohnung und Schnittstellenprobleme.
Wieder in Deutschland hielt ich den Stress des Berufsalltags nur eine Woche aus. Meine Batterien waren leer und ich hatte das rote Licht ignoriert. Ich war gewarnt worden, aber trotzdem in die Falle gelaufen. Ein völliger“ Burn Out“ zwang mich in die Knie und somit 6 Monate in den Krankenstand. Meine Kapazitäten waren überschritten und ich hatte meine Kräfte überschätzt. Jetzt half mir auch mein Idealismus nicht mehr und ich sah die Dinge so wie sie waren und dachte viel über Entwicklungshilfe nach. Ich wollte nichts mehr hören und sehen, nur noch schlafen. Trotzdem brannte das Feuer für Ladakh weiterhin in meinem Inneren und gab mir die Kraft und den Mut, einen Neuanfang zu wagen. Nachdem ich mich erholt hatte, suchte ich nach Wegen, dieses Leben und die Arbeit von Ladakh-Hilfe weiter zu führen, ohne mich zu verheizen. So gerne ich es wollte, aber die Einnahmen von Ladakh-Hilfe in Form von Spenden reichten nie und nimmer für eine Vollzeitarbeit für den Verein, obwohl es fast ein Vollzeitjob ist. Ich musste also weiterhin dem Broterwerb nachgehen und meinen Lebensunterhalt anderweitig verdienen. Ich bin immer noch dabei, dieses Wissen zu jonglieren, aber es gelingt bis jetzt besser. Meinen Beruf übe ich weiterhin aus, aber nicht mehr Vollzeit. Mit der gut arrangierten ¾ Stelle bleibt mir Raum, mich nachmittags um die Arbeit von Ladakh-Hilfe zu kümmern und auch noch freie Zeit zur Entspannung und zum Sport in den geliebten Donauauen. Die Verantwortung und Führung des Vereins macht mir sehr großen Spaß und schenkt mir neue Kraft und Freude. Ein Stamm von ehemaligen begeisterten Freiwilligen um mich herum berät mich und hilft mir mit selbstlosen Einsätzen in Ladakh über viele Monate hinweg. Wir bleiben in ständigem Kontakt per E-Mail und Telefon.

Diesen Sommer erlebten wir die überstürzte Abreise aus Ladakh von zwei hoch qualifizierten Kindertherapeutinnen, die sich mit dem Staub und Schmutz, den Lebensbedingungen und den anderen Kolleginnen nicht arrangieren konnten. Eine andere Freiwillige konnte ihren lang geplanten Einsatz nicht antreten, weil sie schwanger wurde. Eine weitere kam völlig ausgelaugt an und wollte sich erst mal erholen, bevor sie mit der Arbeit begann. Sie brauchte dazu vier Wochen und reiste dann unverrichteter Dinge wieder ab. Diese Ausfälle erhöhen den Stress bei den restlichen Freiwilligen, da sie die Arbeit und die Einsätze mit tragen müssen. Und ich versuche von Günzburg aus Ersatz zu suchen, Streit zu schlichten, Anweisungen zu geben – und es macht Spaß!

Ich fürchte den Schatten nicht mehr, er gehört zum Licht. Es läuft nicht alles perfekt und manchmal scheinen die Wochen im Chaos zu versinken. Wir lassen es zu und bewundern dann den Phönix, der aus der Asche in den blauen Himalaya-Himmel steigt. Die Tragweite unserer Arbeit überrascht uns selbst, denn ich hätte nie damit gerechnet, dass wir in so kurzer Zeit so viel erreichen und das ganze Land und die indische Regierung mit uns am gleichen Strang ziehen.

Aber es gibt noch Gebiete im Zanskar, die wir noch nicht erreicht haben und von denen wir wissen, dass dort behinderte Kinder ohne Chance sind. Das Abenteuer wartet.

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