2. Fortsetzung Abenteuer in Ladakh
Kurz vor meiner Abreise nach Ladakh erkrankte ich noch schwer und flog gegen den Rat der Ärzte in den Himalaya. Prompt verpasste ich wegen zwei Stunden Verspätung den Anschlussflieger von Delhi nach Leh. Als müdes Häufchen Elend fand ich mich morgens um 4:30 Uhr auf dem Domestic Airport wieder, völlig planlos. Eine kleine indische Hand zupfte an meinem Blusenärmel: „Mam, do you need a Taxi and a Hotel?“ Tränenverschleiert nickte ich und wurde von dem Jugendlichen in ein Taxi bugsiert. Seine Kollegen luden mein reichliches Gepäck ein. Zu meinen 30 kg Normalgepäck hatte ich in meinem Rucksack noch 15 kg Hilfsgüter und durch eine spezielle Genehmigung meiner Fluglinie 30 kg Extragepäck umsonst transportiert. In rasanter Fahrt durch die schreckliche Delhi-Hitze wurde ich in das Airport-Hotel gebracht und schlief mich gründlich aus.
Am nächsten Morgen erreichte ich erfrischt das winterlich kalte Leh und wurde prompt von unserer kompletten „Ladakh-Familie“ erwartet: Lama Sonam und Lama Padma, Rigzin, ihre Mutter, Oma, Schwester und Tante und der Horseman Tashi. Ich fühlte mich wie zuhause und lebte mich auch schnell ein.
Das Ziel dieser Reise war ein intensives „Residential Camp“, das von mehreren Kooperationspartnern organisiert wurde und zum ersten Mal mit behinderten Familien und den „Healthworkern“, dem medizinischen Fachpersonal der Indischen Regierung durchgeführt wurde. Alle sollten zusammen in einem großen Gebäude wohnen und unterrichtet werden, gemeinschaftlich Essen und die Abende mit Spiel und Kreativität verbringen.
Meine Aufgabe war die Gestaltung und Druchführung des Unterrichts in Bezug auf Physiotherapie und die Behandlung der Kinder. Mir zur Seite standen drei Physios aus Deutschland: Julia, Jana und Nicole. Jede der Fachkräfte erhielt eine andere Aufgabe: Jana übernahm die Morgengymnastik, Julia die Betreuung der Eigenübungen und Nicole lehrte „Kindliche Entwicklung“.
Eine weitere meiner Aufgaben war die bessere Organisation der Einsätze der Physios vor Ort: Die schlecht ausgestatteten Wohnungen benötigten einen Anstrich, uns stand kein Telefon zur Verfügung und die Transportmöglichkeiten vor Ort ließen tausend Wünsche offen.
Bericht von der AUSBILDUNG im April 2005:
Das zweite Physiocamp im April 2005 überraschte uns mit neuen durchgreifenden Erfolgserlebnissen. 10 Tage lang wurden 31 Azubis (Lehrer und Healthworkers) und fünf Eltern mit ihren behinderten Kindern auf das intensivste ausgebildet. Als "Residential" Camp lebten die Leute die ganzen Tage zusammen wie in einer Art Jugendherberge. Jeder brachte seinen Schlafsack und die Lager wurden in den verschiedenen Räumen aufgeschlagen, gegessen wurde immer zusammen.
Die drei Physiotherapeutinnen Julia Rentschler, Jana Eiben, Nicole van Gansewinkel und ich wohnten allerdings nur drei Tage dort; zu den anderen Zeiten wurden wir morgens gebracht und abends geholt. Wir lehrten ein intensives Programm „Grundlagen der Physiotherapie“ mit viel Praxis und instruierten über die verschiedenen Arten der Behinderungen. Dazu wurden einige behinderte Kinder aus der Umgebung Leh’s eingeladen, die von den Azubis dann unter unserer Aufsicht examiniert und behandelt wurden. Wir arbeiteten mit Bildpostern, Tafeln, Overheadprojektor und Videofilmen, angefertigt von unseren Volontärinnen. Die praktischen Übungen bereiteten den Teilnehmern am Anfang viele Schwierigkeiten, da die Aufgaben ungewohnt und kulturell eine Herausforderung waren. Aber nachdem der Nutzen des Praxis sehr schnell erkannt wurde, konnten wir uns vor der Wissbegier der eifrig und unter viel Gelächter Übenden nicht mehr retten.
Die Eltern und die behinderten Kinder saßen und lagen als erfrischender Faktor immer „mitten drin“, lernten und viel wurde von ihnen gelernt. Abends entspannten sich die Teilnehmer beim Basteln von therapeutisch wertvollen Spielsachen und sie fassten das Gelernte gleich im PC als Skript zusammen.
Zum feierlichen Abschluss des Camps war Dr. Dawa, der Chief Medical Officer von Ladakh (Er hat 1500 Leute unter sich, unter anderem auch 180 Healthworker in ganz Ladakh und ist ein hoher offizieller Regierungsbeamter) eingeladen. Ihm gefiel das, was wir gemacht haben, so gut, dass er uns in einer anschließenden Besprechung beauftragte BIS ZUM ENDE 2005 ALLE SEINE HEALTHWORKER in Ladakh in den Grundlagen der Physiotherapie auszubilden. Damit hatte ich natürlich nicht gerechnet!!!!
Das Ganze soll folgenderweise ablaufen: Ende Juli/Anfang August (die letzte Woche im Juli und die erste im August) gibt es ein spezielles Camp für 15 ausgesuchte Healthworker, die als „Mastertrainer“ von uns ausgebildet werden. Diese hoch motivierte und gut englisch sprechende Gruppe wird von Dr. Dawa selbst ausgesucht. Die sollen wir aufs intensivste in den Grundlagen der Physiotherapie ausbilden. Das Curriculum (Lehrplan) für diese Aufgabe haben wir eigentlich schon vom letzten Camp. Gemeinsam haben wir es jetzt in Deutschland verbessert und ergänzt. Unsere Kooperationspartner von NIRLAC werden auch einen Lehrplan über ihren Einsatz im Camp schriftlich fixieren und dann werden wir unsere beiden zusammenfügen. Dr. Dawa wird das Camp selbst organisieren und Räumlichkeiten auf seinem Grund (dem alten Krankenhaus in Leh) zur Verfügung stellen.
Dann geht es im Oktober, November und Dezember mit drei Folge-Camps weiter. Pro Camp kommen 60 der Healthworker, die eigentlich von den Mastertrainers ausgebildet werden sollen. Unsere Physios fungieren als Supervisoren und „Helfer“ der Mastertrainers. Auf diese Weise werden die 15 sehr gut in Grundlagen der Physiotherapie ausgebildet und demzufolge in Ladakh und bei Dr. Dawa eine besondere Stellung haben.
Soweit so gut…
Es lief auch alles nach Plan ab, natürlich wie immer in Ladakh mit viel Diskussion, Missverständnissen, Frust und Gelächter. Gegessen wurde oft mit den Fingern, weil einfach keine Löffel da waren. Für mich war das schönste Resultat dieses Camps die Kommentare einiger sehr engagierter Healthworker:
„Warum wissen wir alle nichts von Behinderungen? Warum lernen wir nichts darüber in der Ausbildung? Diese Kinder und ihre Familien brauchen offensichtlich Hilfe und wir wollen ihnen helfen.“
Die Begegnung von Gesund und Behindert auf eine solch intensive Weise hinterließ bei allen sehr tiefe Spuren. Vor allen Dingen die Mütter der Kinder profitierten von der Beachtung und Hilfe. Auch heute noch, während ich diesen Bericht schreibe, höre ich von „unseren“ Kindern, die jetzt in der Schule integriert sind und im Dorf regelmäßig besucht werden.
Mehrere Besuche beim König von Ladakh erwiesen sich nicht als sonderlich fruchtbar. Er ist zwar unser Kooperations-Partner, verfolgt aber mehr seine eigene Interessen. Auch er hat von der indischen regierung ein Stück Land geschenkt bekommen für seine Non-Profit Organisation NIRLAC oder Namgyal-Institut und möchte darauf ein Heim für Behinderte bauen. Jetzt wirbt er um unsere Hilfe, den ohne die "Professionals" kann er so ein Heim gar nicht führen.
Aber auch die Moravian Mission mit Mr. Gergan hat schon so ein Heim gebaut, weil er Land von der indischen Regierung für seine "gute" soziale Arbeit gechenkt bekommen hat. Auch mit diesem Heim passiert nichts, obwohl wir ihm geholfen haben und immer wieder darauf drängen, endlich ganze Sache zu machen. Es steht leer und verfällt schon wieder.
Die schwer behinderte Tochter des Königs wird von uns regelmäßig therapiert. Als nominaler König ohne Staatsgewalt hat er jedoch im Volk einen großen Einfluß und ist sehr respektiert Er lebt in einem wunderschönen Palast mit einer grandiosen Aussicht auf den Stok Kangri, ein spektakulärer Sechstausender, dessen Besteigung immer noch der unerfüllte Traum meines Mannes Jürgen ist.
Die Begegenung mit den VIPs von Ladakh erfordert viel Feingefühl. Respekt, Formalitäten und Ettikette. Man bringt immer Geschenke und bietet die besten Plätze an. Auch meine Kleidung als "Director of Ladkah-Hilfe" war sehr wichtig. Als verheiratete Frau mit Kindern darf ich die einheimische Tracht tragen. Diese Geste wurde mit Rührung und Respekt honoriert. Die wichtigen Männer Lehs liesen es sich nicht nehmen, bei der Abschlußfeier des Camps dabei zusein. Ich war bei meiner Ansprache vor all den Leuten zeimlich aufgeregt und gab einem Schuldirektor promt den falschen Namen...
Die restliche Zeit verbrachte ich mit Besuchen bei der Indischen Armee im Versuch, Transportmöglichkeiten für unsere Physios zu organisieren.
Die indische Arme macht sehr viel für die Bevölkerung Ladakhs und transportierte auch eine ganze Reihe unserer Kinder während dem Camp zu ihren Zahnärzten, um die eiternden Zähne ziehen zu lassen. Ein weiteres Mädchen wurde später von der Armee nach Srinagar geflogen, um sie psychiatrisch untersuchen zu lassen, da sie sehr verhaltensauffällig war. Ihr agressives Verhalten während dem Camp verursachte machen blauen Fleck.
Die indische Armee bekundete mehr als nur fachliches Interesse. Ein hübscher Major der Ladakhi "Pathfinder" fand Gefallen an unserer Jana und tauchte immer wieder in der Wohnung auf, um mit uns zu kochen, ratschen und Jana auszufragen. Das war aber nicht alles: Sogar ein Mönch wollte sein "heiliges" Dasein aufgeben und die blonde Julia ehelichen!!! Bei so viel Angeboten ist natürlich sehr viel Standfestigkeit unserer deutschen Therapeuten gefragt!!
Wir ließen ein Telefon in der Wohnung installieren und kauften über einen Einheimischen ein Handy und den Anschluss dafür. Die Wohnung wurde mit Teppichen, Matratzen und besserem Kochgeschirr ausgestattet. Zwischendurch blieb noch etwas Zeit, um das eine oder andere Kloster zu besuchen und mit unseren einheimische Familien in ihren Häusern zu speisen.
Eine ganz wunderbare Sache entwickelte sich währenddessen unter meinen Augen, aber ohne von mir bemerkt zu werden, zwischen einer Physiotherapeutin und einem Einheimischen. Was daraus wurde und noch werden könnte, folgt in der 3. Fortsetzung.