Lesben-Mobbing am Arbeitsplatz Elisabeth Keller im Gespräch mit Margaretha Main und Hans Georg van Herste
EK Ich freue mich, Sie beide begrüßen zu dürfen, um über ein gern totgeschwiegenes Thema zu sprechen.
Herr van Herste! Kommt es in unserer aufgeklärten Zeit immer noch vor, dass z. B. Lesben am Arbeitsplatz gemobht werden?
vH Natürlich kommt das vor und das gar nicht mal so selten.
EK Ist das in allen Betrieben so?
vH Nein. Nach meiner Erfahrung ist die Chance, aufgrund seiner angeborenen sexuellen Neigung diskriminiert zu werden, in Betrieben sehr viel größer, in denen die gemobbte Person die einzige ist, die sich geoutet hat. Gibt es mehrere bekannte Homosexuelle oder sind Chef oder Chefin homosexuell, kann von Mobbing selten die Rede sein. Und wenn, hat das mit der sexuellen Orientierung nichts zutun. Leider gibt es nicht viele Chefs oder Chefinnen, die sich outen.
EK Es ist seit Langem bekannt, dass – wie Sie bereits ausführten – Homosexualität angeboren ist, wie z. B. die Haarfarbe. Obendrein haben wir einige Prominente, die ihre Homosexualität offen leben. Ob Wowereit, Westerwelle, Anne Will oder Hape Kerkeling, alle machen keinen Hehl daraus. Wie kann in einem Land, in dem solche Menschen an Parteispitzen gewählt oder eigene Fan-Clubs haben, jemand wegen seiner sexuellen Neigungen diskriminiert werden?
vH Wie aus dem Tierreich bekannt, ist die Homosexualität eine von mehreren Populationsregulierungsstrategien der Natur. Homosexuelle bekommen keinen Nachwuchs, können sich aber um den Nachwuchs anderer kümmern. Das führt dazu, dass es nicht zu viele Geschöpfe einer Gattung gibt und dass der vorhandene Nachwuchs behüteter aufwächst.
Das gilt eigentlich auch für den Menschen. Leider entstanden vor vielen Jahrtausenden Gruppierungen, die Nachwuchs um jeden Preis haben wollten. Die Führer konnten so größere Völker knechten und man hatte obendrein mehr Soldaten zur Verfügung. Das größere Volk bekam dadurch die Möglichkeit, sich ein kleineres einzuverleiben.
Viele Religionsgemeinschaften lehnen die Homosexualität ab, weil mehr Schäfchen mehr Geld und Macht einbringen. Das ist in unserer christlich geprägten Abendlandkultur nicht anders. Obwohl Homosexualität vielen Menschen in die Wiege gelegt wurde – Kinsey spricht von immerhin 58% aller Frauen mit homoerotischen Neigungen –, wird diese Tatsache nicht zur Kenntnis genommen. Obwohl es innerhalb der Kirche sehr viele Homosexuelle gibt, wird so getan, als sei Homosexualität wider die Natur.
Die Krönung erlebte ich vor ein paar Jahren, als mir ein Priester aus Bayern erklärte, wenn es nach ihm ginge, würde er auch homosexuelle Tiere exkommunizieren, da sie wider die Natur lebten. Da frage ich mich natürlich: wie kann ein Tier wider die Natur leben?
Diese Einstellung wurde den Menschen – nicht nur in Europa – zweitausend Jahre lang eingebläut und ist mithin Bestandteil unseres Denkens und Handelns geworden. Da ist es schwer, den Menschen klarzumachen, dass sie zweitausend Jahre lang einer Lüge aufgesessen sind.
EK Ja, aber wir fahren doch auch nicht mehr mit der Postkutsche.
vH Das stimmt. Aber das haben wir bestimmt nicht den Kirchen zu verdanken. Es gab immer mutige Menschen, ob Galileo Galilei mit seinen Erkenntnissen über das Weltall, Gutenberg mit seiner Erfindung des Buchdrucks, Henlein mit seiner Taschenuhr oder Benz mit seinem Auto, alle mussten gegen die Rückständigkeit der Kirche ankämpfen und wurden, wie z. B. Galileo für ihre Erkenntnisse bestraft. Die Kirchenoberen hatten schon immer Angst davor, dass das Volk ihre Machenschaften durchschauen und sich gegen sie erheben könnte. Und ein dummes Volk ist ein gut lenkbares Volk. Wenn man es dann noch mit Drohungen, wie z. B. dem Fegefeuer, zusätzlich gefügig machen kann, können die Kirchenfürsten in Saus und Braus leben, ohne dass ihnen jemand etwas wegnehmen könnte.
EK Hat denn die Kirche nicht in den letzten Jahrzehnten viel von ihrer Macht verloren?
vH Natürlich hat sie das. Aber das von ihr geprägte kranke Wertesystem befindet sich noch immer in den Köpfen der Menschen. Selbst Martin Luther, der durch das Lostreten des Protestantismus vielen Menschen eine Erleichterung vom Kirchenjoch gebracht hat, der die Bibel ins Deutsche übersetzte, um dem Volk endlich den wahren Inhalt näher zu bringen, hat gepredigt, man solle die von Gott gegebene Ordnung nicht niederreißen. Er hat sich also auf die Seite der unterdrückenden Großgrundbesitzer gestellt und nicht auf die Seite der rechtlosen und geknechteten Bauern.
EK Und das hat solche Nachwirkungen?
vH Offensichtlich. Wären im 18. und 19. Jahrhundert nicht die ersten mutigen Frauen auf die Straße gegangen, um für ihre Gleichberechtigung zu demonstrieren, sähe es heute bei uns noch schlechter aus. Selbst heute werden Frauen – ob homosexuell oder nicht – immer noch benachteiligt. Ein Mädchen ist immer noch weniger wert, als ein Junge. Eine Frau verdient bei gleicher Arbeit immer noch im Schnitt 30% Geld weniger als ein Mann.
Hätte es in den 1970er und 1980er Jahren nicht die ersten Homo-Demos gegeben, würden auch heute noch Betroffene offen diskriminiert. Ich konnte im Laufe der Jahre beobachten, wie der Zulauf z. B. zu den Christopher-Street-Day-Veranstaltungen immer größer wurde. In einigen Städten trafen sich zwanzig Leute. Heute sind es viele tausend, die erscheinen. Der Anteil der Homosexuellen in der Bevölkerung hat ja nicht zugenommen. Sie trauen sich heute einfach mehr zu. Sie wollen sich nicht mehr verstecken. Und ich finde 58% ist eine Zahl, die klar belegt, dass es sich nicht um eine Minderheit handelt.
EK Frau Main! Die Rolle von Herrn van Herste ist allgemein bekannt. Er setzt sich seit gut dreißig Jahren für die Gleichstellung von Homo- und Transsexuellen ein. Was sagen Sie zu dem Thema?
MM Auch ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der Homosexualität verpönt war. Männer wurden sogar noch strafrechtlich verfolgt und konnten dafür eingesperrt werden. Auch ich habe lange mit meinem Outing gewartet, da ich schlechte Erfahrungen machen musste. Ein paar davon habe ich in meinen Büchern verarbeitet. Wenn ich Herrn van Herste nicht getroffen hätte, der mir die Zusammenhänge erklärt und mein Selbstbewusstsein dadurch gestärkt hätte, würde ich wahrscheinlich heute noch damit hinter dem Berg halten.
EK Hatte dieses Outing Nachteile für Sie?
MM Einerseits ging mein Bücherverkauf zurück. Andererseits bekam ich viel Zuspruch von Lesben. Besonders ältere Männer erklärten mir, dass so was verboten gehört und man Leute wie mich früher in eine Anstalt gesperrt hätte. Solche mittelalterlichen Ansichten haben mich anfangs schockiert. Heute kann ich darüber nur noch lachen. Wer am lautesten kräht, hat bestimmt etwas zu verbergen und will nur von sich selbst ablenken. Im Laufe der Jahre musste ich leider mehrfach feststellen, dass lesbische Frauen, die sich nicht trauten, offen ihr Lesbischsein zu leben, teilweise schlimmer auf mir rumhackten, als andere.
EK Und das passiert Ihnen heute noch?
MM Vor nicht allzu langer Zeit ist mir das passiert. Um eine neue Herausforderung für mich zu finden und meiner liebsten Mila näher zu sein, nahm ich das Angebot einer großen Firma an. Die Leitung einer sehr großen Außenstelle machte mir viel Spaß. Da immer wieder Arbeit anlag, schaute ich auch nicht auf die Uhr. Allerdings ließ ich mich auch nicht ausnutzen.
Der Regionalleiter, der eigentlich dazu da ist, Leute wie mich zu unterstützen, baggerte mich mehrfach an. Da ich kein Interesse zeigte, stieg ich in seiner inneren Hierarchie ein paar Stufen nach unten. Als er erfuhr, dass ich dem eigenen Geschlecht zugeneigt bin, wurden plötzlich immer wieder Überprüfungen meiner Außenstelle vorgenommen, obwohl alles gut lief.
Eines Tages offenbarte er mir, dass er meine Stellvertreterin, die sehr gute Arbeit leistete und sich wirklich für den Betrieb aufrieb, mit sofortiger Wirkung kündigen wolle. Da ich keinen Kündigungsgrund ersehen konnte, fragte ich bei der Firmenleitung nach. Dort konnte ich einige Vorwürfe, die der Regionalleiter ins Feld geführt hatte, entkräften und die Mitarbeiterin blieb. Der Regionalleiter musste Zähne knirschend zuschauen, wie wir zwei Frauen den Laden nicht nur schmissen, sondern auch neue Kunden akquirierten. Diese Schmach ließ den guten Mann nicht ruhen. Als er dann auch noch erfuhr, dass ich nicht nur Bücher schreibe, sondern auch noch Buchpreise dafür bekommen hatte und obendrein ein großes Motorrad mein Eigen nenne, war der Ofen aus. Heimlich still und leise sägte er an meinem Stuhl. Das hätte er niemals offen gewagt, da er viel zu viel Angst vor mir hat.
Da sich angeblich Mitarbeiterinnen über meinen Führungsstil beschwert hätten, kam er viele Male in meine Zweigstelle, um Gespräche mit diesen Frauen zu führen. Anschließend erfuhr ich, dass der Einen oder Anderen eine Gehaltserhöhung zugesprochen worden war. Ich war doch einigermaßen erstaunt, da sonst – gerade was Gehälter angeht – immer sehr zurückhaltend agiert worden war.
Bei der nächsten Betriebsüberprüfung standen mir die Haare zu Berge. Die kleinsten Kleinigkeiten waren nicht in Ordnung. Was gestern noch gut war, war heute, vorsichtig ausgedrückt, äußerst desolat. Da war mir schnell klar, dass hier offensichtlich Sabotage verübt worden war. Plötzlich gingen mir Mitarbeiterinnen aus dem Weg, mit denen ich zwar auch vorher nicht unbedingt befreundet gewesen war, aber doch ein gutes Arbeitsverhältnis gepflegt hatte.
Eine meiner Abteilungsleiterinnen erklärte mir im Vorbeigehen, dass sie befürchten würde, jemand säge ganz gewaltig an meinem Stuhl. Ein paar Mitarbeiterinnen hätten ihr gesteckt, dass eine Führungsperson ein Mann zu sein hätte. Wenn es denn schon kein Mann wäre, dann hätten zumindest Hosen getragen werden müssen. Eine Führungsperson in Röcken oder Kleidern wäre für diese Frauen keine richtige Führungsperson. Obendrein würden richtige Führungspersonen weder Motorrad fahren noch unverständliche Bücher für Kleinkinder schreiben.
Das Ende vom Lied war, dass ich die Kündigung aufgrund mangelnder Leistungen erhielt. Daraus ist doch ganz klar ersichtlich, dass Lesben auch heute noch ausgegrenzt und gemobbt werden. Heute haben die dort einen „richtigen“ Chef und ein rauer Wind weht durch die Flure. Ob die Saboteurinnen nun glücklicher sind, als zu meiner Zeit, wage ich zu bezweifeln.
EK Das muss ja ein furchtbares Erlebnis für Sie gewesen sein. Sie strampeln sich ab und werden zum Dank von einem rachsüchtigen Mann rausgeschmissen.
MM Na ja, so schlimm ist das auch nicht. Ich habe ja noch meine Bücher und obendrein denke ich nicht, dass es in jedem Betrieb so läuft. Ich wurde nicht zum ersten Mal angefeindet oder benachteiligt. Frau gewöhnt sich daran. Das heißt natürlich nicht, dass ich das einfach so hinnehme. Ich muss mir morgens im Spiegel noch in die Augen schauen können. Und das heißt, dass ich nach wie vor zu meiner Neigung stehe. Ich habe mich viel zu lange verbogen, um nicht aufzufallen, um mit zu schwimmen. Das ist lange vorbei und wird auch nicht wiederkehren. Ich habe einen Freundeskreis, in dem sich einige Lesben und Transsexuelle aufhalten. Da wird weder gemobbt, noch ausgegrenzt.
Wenn die Ewiggestrigen meinen, sie müssten Menschen, wie uns, verspotten, dann sollen die das tun. Das wird mein Glück nicht schmälern. Und wenn ich bedenke, was in Bremervörde los war, als Mila und ich geheiratet haben, denke ich mir, muss es wohl die eine oder andere Leserin noch geben, die mit meiner Lebensweise kein Problem hat. Die Lokalzeitungen haben das Ereignis zwar totgeschwiegen, aber damit den Ansturm auf uns nicht wirklich geschmälert. Es war ein schönes Erlebnis.
EK Herr van Herste! Wie würden Sie die momentane Situation der Homosexuellen einschätzen?
vH Zwiegespalten. Einerseits haben Veranstaltungen, wie CSDs oder GayVention einen enormen Zulauf. Andererseits nimmt die Akzeptanz in vielen Bevölkerungsschichten langsam wieder ab. Bei einer Umfrage mit Kamera hatte kaum jemand der Befragten ein Problem mit Homo- oder Transsexuellen. In den Köpfen scheint es allerdings völlig anders auszusehen. Ich habe von mehreren Betroffenen gehört, dass sie selbst in Großstädten neuerdings wieder angepöbelt werden. Während harmlose Homo- oder Transsexuelle ihre Neigungen verstecken müssen, um nicht zur Zielscheibe für körperliche oder verbale Attacken zu werden, bringt man z. B. jugendlichen Intensivtätern, die geraubt, erpresst, geschlagen oder genötigt haben, oder Kinderschändern viel Verständnis entgegen.
Vor einiger Zeit wurde ich von mehreren Lehrerinnen in eine Schule eingeladen, um über Homo- und Transsexualität aufzuklären. „Schwule Sau“, „Blöde Transe“ oder „Blöde Lesbe“ sind immer noch die am meisten benutzten Schimpfwörter auf vielen Schulhöfen. Während ich viele Schüler von der Unrichtigkeit dieser Denkweise überzeugen konnte, reagierten einige Lehrer und Eltern etwas anders. Das Klassenfoto, auf dem ich gemeinsam mit Schülern zu sehen war, musste entfernt werden. Die Lehrerinnen, die mich eingeladen hatten, bekamen Ärger mit einigen Eltern. Ihnen wurde vorgehalten, sie würden das Schwulsein fördern und ihren Kindern neumodische Flöhe ins Ohr setzen. Das Homo- und Transsexualität angeboren sind, wollten sie nicht glauben. Als eines Tages in unserer Nähe ein Kind entführt worden war, beschuldigte man mich, das Kind umgebracht zu haben. Wer solche Vorträge vor Kindern in der Schule hält, ist auch fähig, Kinder zu entführen. Einige Eltern fielen aus allen Wolken, als der wahre Täter geschnappt worden war.
Ich habe Länder bereist, in denen Homo- und Transsexualität keinen Menschen aufregen. Dort musste ich erstaunt feststellen, dass viele Homo- und Transsexuelle ganz frei auf der Straße herumliefen. Den Menschen, die meinen, eine homosexuelle Weltrevolution würde die Menschheit ins Unglück stürzen, sollten mal ein paar Jahre in ihren Erinnerungen zurückgehen, um zu sehen, wohin solches Gedankengut führen kann. Früher waren es die Juden, die angeblich Brunnen vergifteten und Kinder aßen, heute tun das wohl die Homo- und Transsexuellen.
EK Können Sie anderen Betroffenen noch einen Tipp geben?
MM Lebt eure Neigung aus. Versteckt euch nicht. Ihr seid nicht krank. Die Gesellschaft, in der ihr lebt, ist es. Seid nicht neidisch. Haltet zusammen und kratzt euch nicht gegenseitig die Augen aus. Nur gemeinsam sind wir stark.
Obwohl es heute wieder Leute gibt, die auf der Straße Schwule jagen, obwohl „Schwule Sau“ oder „Blöde Lesbe“ immer noch die Schimpfwörter Nummer eins auf den Schulhöfen sind, gebe ich die Hoffnung nicht auf, dass irgendwann mal alle aufwachen und den Tatsachen ins Auge blicken.
vH Es sind nicht die Homo- und Transsexuellen, die unsere abendländische Leitkultur, falls es die denn überhaupt gibt, zerstören. Es sind die Vertreter dieser so genannten Leitkultur selbst, die unser Wertesystem kaputt machen. Pädophile Priester und ihre Gesinnungsgenossen aus anderen hoch angesiedelten Berufssparten zerstören weit mehr Menschen als alle Homo- und Transsexuellen zusammen.
EK Frau Main! Herr van Herste“ Vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch
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