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Vom einsamen Strandmädchen zur Hotelbaronin

Elisabeth Keller im Gespräch mit der Autorin Simone Petzold

EK Frau Petzold! Vor gar nicht langer Zeit saßen wir beide hier schon einmal beieinander. Schreiben Sie Bücher am Fließband?

SP Na ja, am Fließband trifft es nicht so ganz. „Mein weiter Blick aufs Meer“ ist gerade mal mein drittes Buch.

EK Immerhin. Die meisten Menschen kriegen noch nicht mal eines zustande.

SP Ich habe vor ein paar Jahren das Schreiben für mich entdeckt. Leider bin ich beruflich sehr eingebunden und so komme ich viel zu selten dazu.

EK Wie sind Sie denn auf die Idee mit der Hotelbetreiberin gekommen?

SP Vor ein paar Jahren ist mir eine Frau am Strand von Ostfriesland begegnet. Irgendetwas hatte die an sich und da ich recht kommunikativ bin, sprach ich sie an.

EK Sie gehen einfach so auf wildfremde Menschen zu?

SP Warum nicht? Wenn die nicht mit mir reden wollen, können sie es ja einfach sagen und schon bin ich wieder weg.

EK Und diese Frau hat Ihnen einfach so ihre Lebensgeschichte erzählt?

SP Nicht sofort, aber als sie bemerkte, dass ich kein Mensch für Schönwettergespräche bin, hat sie schon das eine oder andere ausgeplaudert.

EK Und wie ging es dann weiter?

SP Eigentlich wie bei meinen ersten beiden Büchern. Renata Komanetschy habe ich im Urlaub in der Schweiz kennen gelernt und Margot von Brodarius auf einer Hochzeitsfeier im Rheinland. Da wir einen Draht zueinander hatten, habe ich nicht lange nachfragen müssen.

EK Und diese Frauen haben keinen Stress damit, dass ihre Namen in einem Buch erscheinen?

SP Die Namen und auch einige Orte habe ich selbstverständlich verändert. Es ist doch völlig egal, ob die nun Margot oder Renata heißen. Es geht um die Geschichte einer starken Frau. Es geht mir darum, dass es Frauen gibt, die – vielleicht mit der einen oder anderen Startschwierigkeit, die in meinen Augen menschlich ist – irgendwann begreifen, welche Energie in ihnen schlummert und diese Erkenntnis nutzen, um ihr Leben nach ihren Wünschen zu gestalten und nicht, wie leider die meisten unserer Geschlechtsgenossinnen, angepasst und unglücklich ihr Leben verbringen – oder besser hinter sich bringen. Diese Art des Lebens ist in meinen Augen verschwendete Zeit.

EK Sind Sie der Ansicht, dass viel mehr Frauen selbst in der Lage wären, sich so zu verwirklichen, wie die Heldinnen in Ihren Büchern?

SP Ich denke, dass nicht nur, ich weiß das. Leider ist das althergebrachte Rollenverhältnis nach wie vor nicht auszurotten. Etliche Frauen haben mir in den letzten Jahren ihr Leid geklagt. Ach, der Ehemann ist ja so unhöflich. Ach, das Geld ist knapp und mein Mann rückt nichts raus. Ach, ich verdiene viel weniger, als die Männer in meiner Abteilung. Ach, ach, ach.
Klagen nützt nichts. Ich muss selbst aufstehen, muss mich fortbilden, muss mutig sein und den Chef um eine Gehaltserhöhung bitten. Von selbst wird der nicht kommen. Ich muss begreifen, welchen Wert meine Arbeit und ich haben. Ich muss aufhören, mich auf meinen Ernährer zu verlassen. Ich muss selbstständig werden – nicht nur im Beruf, sondern auch in meinem Kopf.
Ich habe schon früher in der Schule Mädchen erlebt, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lesbisch waren. Sie haben trotzdem einen Mann geheiratet – weil es sich so gehört, weil es der vermeintlich leichtere Weg war, weil sie ihre Verantwortung abgeben wollten.
Ich habe Mitschülerinnen erlebt, die das Zeug zu Abitur und Studium gehabt hätten. Sie haben abgebrochen, mit Chance eine Lehre gemacht, bald geheiratet und im Grunde genommen das Leben anderer gelebt. Sie haben sich zwischen Kindererziehung, Wäsche waschen und Hausputz selbst verloren. Unter den strengen Augen des Gatten, der Schwiegermutter, teilweise auch der eigenen Mutter sind sie verkümmert, haben sich gängeln lassen, nur um anderen Menschen ein bequemes Leben zu ermöglichen, um vermeintlich geliebt zu werden.
Und Sie sehen ja selbst: greift eine Frau nach den Sternen, hinterfragt sie ihr von anderen vorgegebenes Leben, wird sie nicht unterstützt, sondern niedergemacht – auch von Frauen. Das ist keine Liebe, was man ihr entgegenbringt. Das ist weiter nichts als eine Funktionsvorschrift, die mit einem Küsschen hier und einem kleinen Dankeschön dort belohnt wird.
Viele Frauen sind so erzogen worden, dass sie das Dienen als ganz normalen Daseinszustand der Frau verinnerlicht haben. Wünsche werden zurückgestellt und Träume nicht gelebt, um ja nicht anzuecken, als Rabenmutter dazustehen oder die Familienehre zu verletzen.

EK Was schlagen Sie vor?

SP Aufstehen, erwachsenwerden, mutig sein Ding durchziehen, Träume leben, selbst Geld verdienen, unabhängig werden. Mir ist es z. B. in den Sinn gekommen, mit gut fünfzig Jahren den Motorradführerschein zu machen. War spannend und ich habe ein Freiheitsgefühl erlebt, von dem ich früher nur träumen konnte.
Wie ich schon sagte: jammern nützt nichts.

EK Aber es gibt doch genug Frauen, die nicht die Möglichkeit haben, sich zu verwirklichen, die Kinder großziehen müssen, einen Haushalt schmeißen.

SP Natürlich gibt es die. Eine Familie heißt aber ja nicht, dass man sich als Frau und Mutter selbst verlieren muss. Die Frau ist doch dabei, wenn ein Kind entsteht. Sie entscheidet, ob und wann sie ein Kind zur Welt bringen will. Wer könnte sie dazu zwingen? Wenn sie sich zwingen lässt, ist das doch ganz allein ihr Ding. Viele Frauen werden geschlagen oder anderweitig malträtiert. Sie allein können diesen Zustand verändern. Ich höre dann immer wieder: ach ja, wo soll ich denn hin, wovon soll ich denn leben?
Tja, die Entscheidung kann einem niemand abnehmen. Jeder muss selbst entscheiden, was er bereit ist, auf sich zu nehmen, um einem solchen Leben zu entrinnen. Wir leben in einem Rechtsstaat und das bedeutet, dass keine Frau es hinnehmen muss, verprügelt oder gedemütigt zu werden. Natürlich braucht es Mut, um auszubrechen, sich eine Arbeitsstelle zu suchen, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, aber es ist machbar.
Mir hat mal eine Frau erzählt, der ich viele Jahre zugeredet hatte, endlich selbstständig zu werden, dass sie nun viel weniger Geld zur Verfügung hätte, als zuvor, dass sie nun keinen großen Wagen mehr fahren würde, dass sie durch den Ausbruch viele Freunde verloren hätte, aber heute um Klassen glücklicher sei.
Es bringt nichts, neidisch auf andere zu schauen. Selbst ist die Frau. Und Glück ist mit nichts zu bezahlen.

EK Sie können einem ja richtig Mut machen.

SP Das ist mein Ziel. Ich weiß, dass die meisten Frauen in der Lage wären, glücklich zu werden. Sie müssen nur aufstehen und es anpacken. Renata, die von der Dorfnäherin zum gefeierten Revuestar aufsteigt, Margot, die mit allen Konventionen ihrer Zeit bricht und Katharina, die aus einem alten Armeezelt eine Luxushotelkette macht, beweisen es doch deutlich.

EK Frau Petzold, vielen Dank für das interessante Gespräch.

Buchtipp
Simone Petzold
Der weite Blick aufs Meer
aus der Reihe
Starke Frauen

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