Pfründe retten – Aufschrei der Entrüstung – Verlage gegen Amazon
Elisabeth Keller im Gespräch mit dem Autor und Herausgeber Hans Georg van Herste
EK „Guten Morgen, Herr van Herste! Es freut mich, dass Sie Zeit für mich gefunden haben. Sitzen Sie gern am Wurmbergsee und genießen die Aussicht?
vH Ich bin gern hier oben. Mehrmals im Jahr versuche ich, mir ein paar Minuten der Stille rauszuschlagen und den wunderbaren Blick zu genießen. Leider ist es selten still auf der Welt.
EK Verlage und Autoren haben sich zusammengeschlossen, um gegen Amazon vorzugehen. Sie sagen, Amazon strebt ein Monopol an und macht die Buchpreise kaputt.
vH Wer mag es schon gern, wenn er vom Thron gestoßen wird.
EK Wie meinen Sie das?
vH Jahrhundertelang hatten die Verlage das Monopol. Sie allein bestimmten, wer z. B. ein Buch veröffentlichen durfte. Weder die Interessen der Autoren, noch die Interessen der Leser spielten eine Rolle. Es ging ausschließlich um die Frage, kann ich mit einem Buch Geld verdienen oder nicht. Mit dieser Masche sind ein paar wenige reich geworden. Das Buch war meistens ausschließlich Ware.
EK Sie haben selbst in der Hinsicht Ihre Erfahrungen sammeln müssen.
vH Wir haben damals in der Schule mal ein Experiment gemacht. Ein Aufsatz wurde nacheinander von mehreren Lehrern bewertet. Dabei kam heraus, dass Lehrer Nr. 1 den Aufsatz für schlecht hielt und eine Vierminus gab. Lehrer Nr. 2 gab eine Drei und Lehrer Nr. 3 eine Zwei.
Ähnlich machen es Verlage. Es geht nicht wirklich um den Inhalt eines Buches. Willkürlich und überheblich wird der Daumen nach oben gestreckt oder gesenkt. Meistens zeigt er nach unten. Eifersüchtig wird darauf geachtet, dass nicht zu viele Autoren nach oben kommen. Am liebsten greift man auf Autoren zurück, die bereits bekannt oder anderweitig berühmt geworden sind. Wenn z. B. ein bekannter Fernsehmoderator ein Buch schreibt, wird er von den Verlagen umworben. Ist er nicht in der Lage, selbst ein paar fehlerlose Zeilen zustande zu bringen, wird ihm sogar ein Ghostwriter zur Seite gestellt.
Ein relativ unbekannter Autor, wie ich damals war, wird teilweise mit übelsten Abspeisungen versorgt.
EK Können Sie Beispiele nennen?
vH Ein Verlag schickte mir mein Manuskript ungelesen zurück und erklärte, mein Buch würde inhaltlich nicht ins Programm passen. Ein zweiter Verlag schrieb, mein Schreibstil sei extrem verbesserungswürdig. Ein dritter Verlag schrieb, ich solle erst einmal schreiben lernen. Obwohl ich vorher mit den Verlagen telefoniert hatte und mir nahegelegt worden war, mein Manuskript, später meine fertigen Bücher, einzureichen, wurde jede Bitte, um Aufnahme abgeschmettert.
Die Antworten, die ich bekam, strotzten teilweise vor Borniertheit und Überheblichkeit. Und das ist nicht nur mir so passiert. Etliche, heute erfolgreiche Selbstverlegerinnen und –Verleger erzählten mir ähnliche Geschichten.
Man wusste, man sitzt am längeren Hebel. Die Verlage, die sofort bereit waren, mein Buch zu veröffentlichen, wollten im Vorfeld Geld sehen. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass diese Leute gar nicht daran interessiert waren, ein Buch auf den Markt zu bringen, eine Botschaft zu transportieren. Sie wollten einfach nur Geld verdienen und die Autoren abzocken.
EK Was hat sich nun geändert?
vH Seit es die Möglichkeit des Selbstverlages gibt, die anfangs von den Verlagen belächelt wurde, hat sich einiges geändert. Heute entscheiden nicht mehr nur ein paar wenige gottgleiche Herren und Damen darüber, wer was veröffentlichen darf. Heute entscheidet der Autor selbst, ob und was er unters Volk bringen möchte. Und das Volk entscheidet allein, ob ein Buch in den Top 100 nach oben steigt oder schnell wieder von der Bildfläche verschwindet.
Und Amazon gibt uns die Möglichkeit, genau das zu tun. Renommierte Autoren werden von ein paar wenigen, teils abgehobenen, teils bezahlten, Kritikern bewertet, wir von den Lesern direkt. Und das ist gut so. Spinner gibt es immer, die aus welchem Grund auch immer, ein Buch zerreißen. Aber im Endeffekt kommt es auf die Gesamtheit der Leser an. So etwas nenne ich Demokratie.
Dass die renommierten Verlage und Autoren dagegen vorgehen, ist nachvollziehbar. Wer möchte schon gern seine Pfründe verlieren?
EK Es stand in der Zeitung, dass kein anspruchsvoller Kritiker über ein selbstverlegtes Buch schreiben würde. Das sei unter seiner Würde.
vH Was habe ich von einem Menschen, der mich, trotz schlechtem Inhalt, in den Himmel hebt, oder mich, trotz guten Inhalts, zerreißt? Im Endeffekt wird der Leser betrogen. Ihm wird durch die Werbung, durch die Kritik ein Buch empfohlen, das in Wahrheit nicht seinen Vorstellungen entspricht. Er wird entmündigt. Ihm wird immer wieder vorgekaut, welches Buch, welches Genre ihm zu gefallen, welches Buch er zu kaufen hat, um „in“ zu sein.
Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie viele „Bestseller“ im Bücherschrank meiner Eltern ungelesen verstaubten, weil der Inhalt arg zu wünschen übrig ließ. Aber wen interessierte das wirklich? Der Verlag hatte sein Geld verdient und die Autoren ebenfalls. Schade um die vielen Bäume, die man deswegen gefällt hat. Schade um das viele Papier.
EK Die Verlage sind davon überzeugt, dass mit der Möglichkeit des Selbstverlages die Kultur auf der Strecke bleibt, das Niveau sinkt.
vH Diese Aussagen stellen in meinen Augen klar heraus, dass man das lesende Volk für dumm hält. Muss man wirklich einen Verlag, einen Lektor vorschalten, um dem Volk hochwertige Literatur nahezubringen? Was heute von renommierten Verlagen teilweise auf den Markt geworfen und mit Millionenaufwand beworben wird, hat mit Kultur und Niveau wenig zu tun. Hauptsache die Kasse klingelt. Und da stören die Selbstverleger natürlich sehr – besonders die erfolgreichen.
EK Sie haben es geschafft.
vH Nach Jahren des Wanderns durch verschiedene Verlage, nach Jahren des Abgezocktwerdens, nach Jahren des Investierens sind wir heute zufrieden. Diese Möglichkeit der Veröffentlichung hätte ich viel früher in Betracht ziehen sollen. Ich hätte viel Zeit und Geld sparen können.
EK Inzwischen sind Sie bei Amazon gut aufgestellt.
vH Ich habe als Autor und Herausgeber über siebzig Titel bei Amazon laufen. Die Reihe „Starke Frauen“ hat sich gut etabliert. Viele der Bücher sind auch nach über einem Jahr noch unter den Top 100 in ihrem Genre zu finden. Die Leser haben unsere Bücher bewertet und offenbar für gut befunden. Und genau das zählt für mich. Verlage haben mich bisher nur viel Zeit, Nerven und Geld gekostet. Ich kann nur jedem Autor raten, den direkten Weg zur Leserin, zum Leser zu gehen. Es ist der Weg des Autors, der frei über sein Werk bestimmen und verfügen kann. Es ist der direkte Weg zur Leserin, zum Leser und es ist ein guter Weg.
EK Ich habe erst vor kurzem gelesen, dass die Verlage der Ansicht sind, selbstverlegte Bücher würden sich auf Dauer nicht durchsetzen. Obendrein wären die Preise z. B. für E-Books viel zu niedrig. Einige Verlage wollen Amazon sogar boykottieren.
vH Wenn ich mir den US-Markt anschaue, weiß ich, dass das nicht passieren wird. Der E-Book-Markt ist dort im Laufe der Jahre explodiert. Durch das Selbstverlegen wird die Verlagswelt umgangen. Dadurch kann viel Geld gespart werden. Warum also sollte die Leserin, der Leser Verlage reichmachen, wenn es auch anders geht, wenn man für wenig Geld gute Bücher kaufen kann?
EK Ich kenne Sie schon seit vielen Jahren und musste mehrfach mitansehen, dass man Ihnen hin und wieder übel mitspielte, weil sie den Anbetern der Pfründe die Petersilie verhagelt haben.
vH Natürlich mochten es viele Ärzte nicht, dass sie von einem kleinen, dummen Masseur vorgeführt wurden, dass der plötzlich Schmerzzustände lindern konnte, an denen sie viele Jahre lang gut verdient hatten. Natürlich mögen es Kinderschänder und feige Wegschauer nicht, wenn ihnen jemand auf die Schliche kommt, wenn jemand Dinge an die Öffentlichkeit bringt, die ihnen den Spaß verderben. Natürlich mag es die Kirche nicht, wenn jemand offen über deren Machenschaften berichtet und dem Leser klar vor Augen führt, dass die meisten Kirchenleute alles andere, als heilig sind. Wie oft ich angegriffen, verleumdet oder verklagt wurde, kann ich nicht mehr zählen. Aber ein sexueller Missbrauch, von einem Priester begangen, bleibt ein sexueller Missbrauch. Gewaschenes Mafiageld bleibt gewaschenes Mafiageld. Eine ärztliche Fehldiagnose bleibt eine Fehldiagnose. Egal, von welcher Seite man eine Lüge betrachtet, egal, wie oft man diese Lüge zur Wahrheit erklärt, sie bleibt eine Lüge.
EK Vielen Dank für das Gespräch. Bleiben Sie ruhig sitzen. Genießen Sie noch ein paar Minuten der Stille, bevor der Alltag wieder über Sie hereinbricht.
Buchtipp
Hans Georg van Herste
Am Fluss meines Lebens – die Biographie eines unerschrockenen M
Interessant, danke.
Kann die Aussagen nachvollziehen.
Man muss zwar aufpassen, dass Konzerne nicht Monopole missbrauchen, aber das Gejammer der Verlage hat damit ja nichts zu tun...
Letztendlich könnten sie ja selbst eine ähnliche Plattform für ihre tollen Bücher im Netz aufbauen und müssen Amazon nicht nutzen...