Sexueller Missbrauch durch Kirchenmitarbeiter - Die unendliche Lügengeschichte

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Sexueller Missbrauch durch Kirchenmitarbeiter

Die unendliche Lügengeschichte

Elisabeth Keller im Gespräch mit dem Buchautor Hans Georg van Herste

EK Herr van Herste! Sie haben in ihrem Leben das eine oder andere mit den Kirchen erlebt. Was waren Ihre ersten Eindrücke?

vH Im Kindergottesdienst stellte ich fest, dass der Pastor jeden Sonntag halb- oder volltrunken vor uns stand. Oft war er schwer zu verstehen, da er unglaublich lallte.

EK Und das wurde ihm durchgehen lassen?

vH Ja, da sich niemand traute, einen Kirchenmann zu kritisieren. Selbst als er an einem Heiligabend fast von der Kanzel gefallen wäre, wurde zwar gelacht, aber niemand hätte ihn persönlich darauf angesprochen.
Auch Jahre später, als ich den Pfarrunterricht besuchte, hatte sich nichts geändert. Obendrein kam ich dahinter, dass ihm seine Schwester offensichtlich nicht nur den Haushalt führte. Sie sehen: Sünde über Sünde.
Zwei Mädchen aus meiner Grundschulklasse waren katholisch. Sie nahmen also nicht, wie wir alle, am Religionsunterricht teil. Ein bis zwei Mal in der Woche kam ein Pater in die Schule und unterrichtete die Mädchen. Mehrmals hörten wir Geschrei aus dem Klassenraum nebenan. Nicht nur dass er den Mädchen immer wieder lautstark vorwarf, zum bösen Geschlecht zu gehören, weil Eva dem Adam den Apfel der Erkenntnis gegeben hätte und damit die Menschheit aus dem Paradies vertrieben worden sei, nein, er ohrfeigte die beiden immer wieder. Unter Nächstenliebe stellte ich mir schon damals etwas anderes vor.

EK Wie kam es dann dazu, dass die Kirchen sich auf Sie einschossen?

vH 1978 wurde mir zugetragen, dass sich ein evangelischer Diakon, der ganz in unserer Nähe tätig war, an kleine Mädchen heranmachte. Ich konnte nicht anders, als darüber öffentlich zu sprechen.

EK Und was geschah dann?

vH Mir wurde vorgeworfen, ich wolle mich nur wichtigmachen und all meine Ausführungen seien völlig aus der Luft gegriffen. Der Diakon wurde dann aber trotzdem recht bald versetzt. Seitdem haben mich die Kirchen auf Sicht. Und, wenn sich sonst die Evangelen und Katholen nicht ausstehen können – in dem Falle funktioniert die Zusammenarbeit hervorragend.

EK Können Sie dieses „Auf-sicht-haben“ etwas näher erklären.

vH Z. B. wurde ich nach Hannover bestellt. Ich saß zwei Mitarbeitern der evangelischen Landeskirche gegenüber, die mir vorhielten, Verschwörungstheorien über die Kirche zu verbreiten. Ich solle doch bitte erklären, was das solle. Ich hatte nicht einmal zwei Sätze gesagt, als ich auch schon unterbrochen wurde und mir gebetsmühlenartig immer wieder Verschwörungstheorien vorgeworfen wurden. Ich folgerte daraus, dass diese Leute nichts von der Wahrheit hielten und nichts weiter im Sinn hatten, als mich einzuschüchtern, also mundtot zu machen.

EK Dann war Ruhe?

vH Nein. Ich flog ab Mitte der 1990er Jahre immer wieder nach Indien, um das Ayur Veda zu erlernen. Obendrein unterhielt ich dort ein privates Hilfsprojekt, um armen Menschen eine warme Mahlzeit zukommen zu lassen.

EK Und was hat das mit der Kirche zu tun?

vH Da ich einfach keine Ruhe geben wollte, wurde ein Gang hochgeschaltet. Man behauptete, ich würde gar keine Ausbildung in Indien machen, sondern, da es dort ja vor Gurus nur so wimmelt, das Sektenhandwerk erlernen, und in Deutschland eine Sekte gründen. Als dann auch noch die „Mutter-Teresa-Geschichte“ die Runde machte, wurden die Sektengerüchte verstärkt gestreut. Selbst der Pastor in unserer Nähe warnte vor mir in seiner Sonntagspredigt.

EK Was hat das mit der „Mutter-Teresa-Geschichte“ auf sich?

vH Ich traf diese Frau persönlich und musste vor Ort feststellen, dass um Teresa ein Mythos erschaffen wurde, der nur dazu diente, Geld in die Kasse der katholischen Kirche zu spülen. Es ging um Patienten, die in Wirklichkeit gar nicht existierten. Es ging um gespendete Medikamente, die auf dem Schwarzmarkt verkauft wurden, um die Urlaubsreisen der Nonnen zu finanzieren. Spendengelder wurden auch von Drogenbaronen angenommen und direkt nach Rom weitergeleitet. Es soll sogar dazu gekommen sein, dass man jungen Müttern vorgaukelte, ihre Kinder seien bei der Geburt gestorben. In Wahrheit sollen diese Kinder in alle Welt verkauft worden sein.
Leider sträubten sich die Medien, darüber zu berichten. Nur der STERN traute sich. Aber alle Aufklärung verhallte.

EK Wie ging es weiter?

vH Die nächste Stufe wurde gezündet. Ein katholischer Priester und eine ganz wichtige Frau, die sich auf das Jagen von Sekten spezialisiert hatte, taten sich zusammen und produzierten eine so genannte Dokumentation über mich. Darin wurde behauptet, ich würde meine Hilfe für Opfer nur vortäuschen. In Wirklichkeit würde ich nur arme Frauen in meine Sekte locken und finanziell und sexuell ausbeuten.
Es wurde also das übliche Chema gefahren, dass dazu benutzt wird, einen Menschen hinzurichten. Es handelt sich um die moderne Form des Scheiterhaufens.
Allerdings hielt sich der Schaden durch die Ausstrahlung im Privat-TV in Grenzen, da es um die Glaubwürdigkeit des Priesters und der selbst ernannten Sektenjägerin, die übrigens auch hin und wieder, wie in meinem Fall, eine Sekte erfand, um im Gespräch zu bleiben, nicht sehr weit bestellt war.

EK Wie haben Sie sich dagegen gewehrt?

vH Der Priester hatte eine Ausbildung in einem bestimmten Priesterseminar gemacht und war dort hin und wieder sehr unangenehm aufgefallen. Einige seiner Mitschüler sagten mir Unterstützung zu, sollten die Kirchen keine Ruhe geben. Diese Aussagen veröffentlichte ich und seitdem üben sich einige Leute in vornehmer Zurückhaltung.
Wer an den Einzelheiten der Verleumdungskampagne interessiert ist, dem empfehle ich mein Buch „Und täglich lügt die Monika“.

EK Obwohl der sexuelle Missbrauch innerhalb der Kirchenmauern stets geleugnet wurde, flog den Kirchen 2010 so einiges um die Ohren.

vH Ja, endlich kam auf den Tisch, was den meisten Menschen sowieso klar war. Und seitdem mauern die Kirchen, dass es eine wahre Freude ist. Während wir Opfer selten die Möglichkeit bekamen, uns öffentlich, also in den Medien, zu äußern, durften Kirchenleute, wie z. B. Bischof Ackermann, stundenlang mit weinerlicher Stimme um Vergebung bitten und lückenlose Aufklärung anpreisen.
Mir wurde mehrfach mitgeteilt, wir Opfer seien psychisch nicht in der Lage, öffentlich aufzutreten und über den sexuellen Missbrauch zu reden. Das ist natürlich völliger Quatsch. Priester und Pastoren sind nur zu feige, sich mit uns an einen Tisch zu setzen. Mir wurde mehrfach mitgeteilt, dass ich die angekündigte Talk-Show aus meinem Terminkalender streichen könne, da man keinen Kirchenmann gefunden hätte, der mit mir im TV auftreten wolle. Und da hätte man natürlich einen Kirchenmann genommen und nicht mich.
Einmal kam ein Radiointerview mit mir nicht zustande, weil der Redakteur meinte, ich würde zu hart mit den Tätern ins Gericht gehen und obendrein sei das Thema inzwischen abgedroschen. Er würde Fußball viel interessanter finden.

EK Was ist seitdem passiert?

vH Sie sehen es ja selbst: Pseudosalat. Studien wurden in Auftrag gegeben, die aber zu keiner echten Aussage kommen konnten, da man den Forschenden keinen direkten Zugang zu den Akten ermöglichte. Alles wurde von den Kirchen selbst im Vorfeld durchforstet und nur das eine oder andere herausgerückt. Es wird nach wie vor gemauert, taktiert und gelogen. Es wird auf Zeit gespielt, um die Täter zu schützen.
Ende offen.

EK Sie haben mehrere Bücher zu dem Thema veröffentlicht. Wie läuft der Verkauf?

vH Da sich kein Verlag die Finger an meinen „Schmuddelthemen“ schmutzig machen wollte und will, habe ich viele Bücher selbst herausgebracht. Die Bücher über sexuellen Missbrauch verkaufen sich unglaublich gut. Das heißt für mich: ich bin auf dem richtigen Weg und habe viele Menschen damit angesprochen.
„Papa kommt fast täglich“ hält sich seit Jahren unter den Top 20 bei Amazon. Auch „Die Goldesel-Töchter“, „Mein Vater, der Diakon“ oder „Die Stille eines Lebens“ verkaufen sich in unglaublichen Mengen.

EK Was tun Sie im Moment?

vH Was ich seit Jahrzehnten tue. Ich arbeite in der Praxis, kläre auf, halte Vorträge. Ich kann nicht anders.

EK Haben Sie sich durch die Steine, die man Ihnen in den Weg gelegt hat, von Ihrer Aufklärungsarbeit abbringen lassen?

vH Ich muss zugeben, dass ich misstrauischer geworden bin, da mich sogar einstige Weggefährten für ein paar Silberlinge verraten haben. Aber im Grunde genommen mache ich so weiter, wie bisher. Wie könnte ich, als ehemaliges Opfer von sexueller Gewalt, wegsehen? Das überlasse ich den Feiglingen, den Mittätern, den Blendern.

EK Herr van Herste! Vielen Dank für das Gespräch.

Buchtipps:

Hans Georg van Herste
Papa kommt fast täglich
Und täglich lügt die Monika

Viktoria Grantz
Mein Vater, der Diakon

Heide Marie Zimmer
Die Goldesel-Töchter

Yvonne Zündlier
Die Stille eines Lebens

Bürgerreporter:in:

Elisabeth Keller aus Gnarrenburg

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