Gedanken meinerseits
Offener Brief – unbeantwortete Fragen
Wir erleben in Deutschland einen historischen Anstieg von Kirchenaustritten. Austritten, welche sich vordergründig besonders auf die unsers Heimatlandes seit Jahrhunderten prägende „römisch-katholische Kirche“ als auch auf die große christliche Glaubensgemeinschaft der „Evangelischen Kirche“ beziehen. Der Umgang mit der Pandemie und die dadurch bedingten, oft verschlossenen Türen dieser Kirchen werden hierzu noch weiter beitragen.
Kirche wo bist du?
So bleiben für mich zum heutigen Zeitpunkt viele offene Fragen:
- Was passiert weiterhin mit der Seelsorge?
- Wie sieht das nächste Weihnachten in Präsenz aus?
- Muss das Weihnachtsoratorium wieder, wie schon im vergangenen Jahr, für viele in Einsamkeit gesungen oder gehört werden?
- Werden die Kirchenräume nach der Pandemie gefüllt werden können?
- Kerzenlicht, Orgelmusik, Weihrauch – das Gefühl der geistigen religiösen Heimat, kehrt es wieder zurück?
- Sind die Kirchen überhaupt noch von Relevanz innerhalb unserer säkularen Welt?
- Welche Lehren wurden und werden aus der Bürde der vergangenen Monate gezogen?
Seit März 2020 verharren wir offiziell in Deutschland in einer Pandemie. Vieles ist nicht mehr so wie es einmal war. Gemäß meiner Wahrnehmung befindet sich ein Großteil der Menschen in einer Art Schockstarre – die Angst hat die Herrschaft über weite Teile des Gemeinwohls übernommen. Das Leben erscheint offensichtlich nicht nur mir irrational und wird zunehmend von Misstrauen und Aggressivität geprägt. Natürlich gibt es auch Hoffnung, das ist schließlich unser Glauben. Die Nächstenliebe, zwar spärlich, hat alle Chancen eine Renaissance zu erleben.
Nach dieser langen Zeit ist klar, dass viele Veränderungen bleiben werden und nicht mehr zum alten Normal zurückkehren werden. Meines Erachtens sind hiervon die christlichen Kirchen stark betroffen. Die Formen unsres Glaubenslebens werden sich verändern müssen. Hierzu tragen die hierarchisch geprägten Kirchen ein Stück weit durch ihre Obrigkeitsorientiertheit bei. Selbst der dänische Philosoph Sören Kierkegaard sagte dies schon den Kirchen voraus („Die Christenheit hat, ohne es recht selber zu merken, das Christentum abgeschafft; daraus ergibt sich, dass, wenn etwas geschehen soll, versucht werden muss, das Christentum wieder in die Christenheit einzuführen.“ — Søren Kierkegaard).
Ich möchte an dieser Stelle eine negative Erfahrung reflektieren, die ich miterleben musste: Nicht alle Gemeinden bieten Voranmeldungen zum Gottesdienst an, sodass Gläubigen Türen vom Gotteshaus verschlossen bleiben. Wie fühlt man sich hierbei?
Ein weiteres, besonderes Augenmerk liegt meines Erachtens auf den Senioren- und Pflegeheimen. Pflegekräfte gehen an ihr Limit. Doch wo bleibt besonders in den nicht konfessionell gebundenen, kirchlichen Häusern die Seelsorge für diese Menschen? Wo bleibt der geistige Beistand? Es herrschten und herrschen Situationen, die bei allem Verständnis für technokratisches Herangehen an die Problematiken während Quarantänesituationen, an wochenlange „Einzelhaft“ der oftmals Hilflosen und Hochbetagten erinnert. Die vergangenen 1 ¾ Jahre sind eine Zeit der Isolation, Einsamkeit und Ausgrenzung von unseren Mitmenschen und Familienangehörigen. Natürlich werden wir in dieser Zeit tagtäglich mit Unsicherheiten konfrontiert. Was aber erleben wir statt Hoffnung und Gottvertrauen? - Wir erleben Angst, Angst, die viele Menschen in dieser Zeit beherrscht und somit Einfluss auf die Seelsorge nimmt. Durch diese Angst, die auch in den Kirchen herrscht, wird letztlich eine der wichtigsten Aufgaben der Kirchen, nämlich die Seelsorge, vernachlässig! Wir wissen alle: Angst ist kein guter Begleiter.
„Den größten Fehler, den man im Leben machen kann, ist, immer Angst zu haben, einen Fehler zu machen.“
— Dietrich Bonhoeffer
Für die Kirche von heute ist Seelsorge die originäre Bestimmung, und somit ein ganz wichtiger Teil der Kirche.
Kirche verstehe ich hierbei als Menschen die zusammen und mit Gott unterwegs sind. Bei diesem Unterwegssein tauchen immer wieder Fragen und Krisen auf. Kirche sind wir alle, deshalb sollten wir – besonders die Seelsorge – eine Anlaufstelle für Menschen sein. Ein Seelsorger muss so viel mehr leisten, als der Psychotherapeut vermag. Der Mensch ist nun mal nicht nur ein physisches Wesen … nein er hat eine beseelte Natur. Meiner Meinung nach tragen die großen etablierten Kirchen zur Abschaffung der abendländischen Kultur in Deutschland bei.
Anlass, meine Sichtweise in einem offenen Brief kundzutun ist in meiner Auffassung von persönlicher, moralischer Pflicht begründet, die den Umgang von uns Christen in Notzeiten, wie derzeit, miteinander prägt.
Der gelebte Glaube, mit dem ich aufgewachsen bin, ist meines Erachtens, langfristig so ohne Kirche nicht möglich.
Eine Corona-Aufarbeitung ist jetzt schon angezeigt. Es gilt eine breite Diskussion zu den Auswirkungen und „Kollateralschäden“ dieser Politik, die auch von den Kirchen mitgetragen wird, innerhalb der Kirchengemeinden zu diskutieren und Lösungsansätze aufzuzeigen, wie zum Beispiel die Seelsorge die oberste Priorität haben sollte, verstärkt manifestiert werden kann.
Meine öffentliche Wahrnehmung ist so, dass gelebte Gemeinde vielerorts so gut wie nicht vorhanden ist. Hier wird u. a. den hochbetagten Menschen das Gefühl übermittelt, sie seien überflüssig. Genauso wenig sind digitale Medien für sie eine Alternative. Nicht nur für unsere Senioren, nein für alle, sollten digitale Ersatzlösungen nicht zur Normalität werden.
Die Sehnsucht nach Gottes Nähe, Seelsorge, gelebter Gemeinde ist gegeben. Doch die Kirchen können hiervon nicht profitieren, da die Türen weiterhin oftmals geschlossen bleiben (auch sinnbildlich). Wir alle sind Kirche, doch wo sind wir in diesen Pandemiezeiten füreinander da?
Ich selber würde es für wünschenswert halten, dass nicht nur der Gesundheitsschutz im Vordergrund steht, sondern die Einsamen, Bedürftigen, verzweifelten Menschen, denn diese brauchen die geistliche und persönliche Unterstützung. Wenn wir die Heilige Elisabeth in unseren Reden (Bistumsheilige im Bistum Erfurt, 2. Bistumsheilige im Bistum Fulda) als Vorbild nennen, müssen wir sie nicht nur als Beispiel nennen, sondern es auch selber leben.
Das kritische Hinterfragen der Kirchen in der Pandemiezeit muss diskutiert werden. Die Kirchen müssen sich dieser Herausforderung stellen. Ich vermisse die Kirchen in ihrer Funktion als moralisches und ethisches Korrektiv.
Die Kirche mit ihrer auch im Bereich der Wissenschaften maßgebenden Rolle sollte den wissenschaftlichen Diskurs bezüglich der unser Leben bestimmenden Aspekte als Moderator gestalten. Das ganz besonders wegen deren Beteiligung an den Transformationsprozessen. Hierbei sticht für mich ganz klar der offensichtlich derzeitig eingeschlagene Weg der global vernetzten Politik hin in eine Epoche des Transhumanismus ins Auge.
Konrad Trageser (Predigt vom 26.07.1941), Dietrich Bonhoeffer, Franz Jägerstätter, Maximillian Kolbe, Friedrich Lorenz (OMI) und viele weitere Märtyrer könnte ich aufzählen, sie hatten Mut und haben gekämpft. Auch wir alle sollten sie nicht nur vorbildlich erwähnen und auf den Bistumsseiten aufzählen, sondern selber mutig handeln.
Ich hoffe, mit meinen Gedanken zur Diskussion beizutragen.
Bürgerreporter:in:Martina Giese-Rothe aus Friedrichroda |
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