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Florian Schroeder: Alle Möglichkeiten, aber keine Wahl?

Gut gefüllt war der kleinere Hörsaal im Essener Haus der Technik zum Vortrag von Florian Schroeder im Rahmen der Vortragsreihe WAZ.Wissen. Dabei standen Entscheidungsfallen und der Umgang mit der „Jein-Falle“ im Mittelpunkt der Ausführungen des Kabarettisten und Philosophen. Der versuchte sich an einer ungewöhnlichen Mischung aus schneller Sprachakrobatik, teils hintergründigem Humor und Klamauk. Der Denker und Speaker stieß mit seinem Vortrag auf geteilte Resonanz. Während die einen sich köstlich amüsierten, bemängelten andere den für sie nicht überzeugenden Spagat zwischen Humor und Wissensvermittlung.

Entscheidungen sind immer wieder zu treffen. Das stellte Florian Schroeder nicht nur mit Blick auf das mit zahlreichen Knöpfen gespickte Rednerpult fest. Doch Entscheidungen fallen vielen Menschen nicht leicht. Daher ist die eindeutige Diagnose des Redners: „Wir leben in einer Zeit des Jeins.“ Mit spitzer Zunge machte Schroeder sich über vermiedene und unklare Entscheidungen lustig. Er grinste über Aperol-Spritz als inkonsequente Mischung aus Alkohol und Wasser und nannte das In-Getränk Hugo einen neuen Höhepunkt des „Schwachmaten-Erfindertums“. Auch in Richtung Politik teilte Schroeder humorvoll aus. Die schwarz-grüne Koalition in seinem Heimatbundesland Baden-Württemberg sei ebenso ein Auswuchs des „Jeins“. Doch damit sei Ministerpräsident Winfried Kretschmann in guter Gesellschaft. Selbst die Bundeskanzlerin vermeide eigene Entscheidungen. Durch Abwarten und Rauszögern gelänge es ihr am Ende nur noch den Konsens zu verkünden. Um das deutlich zu machen versuchte Schroeder sich an einer originellen Merkel-Stimmimitation. Germanist Schroeder fragte auch sein Publikum nach dessen Entscheidungsfähigkeit und bekam für Führungskräfte erstaunlich viel Zustimmung auf die Frage, ob es häufig schwer falle sich zu entscheiden zwischen ja und nein.

Dass immer mehr Entscheidungen verlangt werden und es vielen daher selbst bei Kleinigkeiten schwer fällt, sich zu entscheiden, verdeutlichte Schroeder an mehreren Praxisbeispielen. Wenn beim Kaffeekauf die Auswahl zwischen „Tall“ (groß), „Grande“ (groß) und „Venti“ (20) zu treffen sei, fiele diese nicht leicht. Auch bei mehreren tausend Studiengängen sei es schwierig den Überblick zu behalten. Generell sei der Bachelor die Fortsetzung der Realschule in noch schlechteren Räumen, frotzelte Schroeder, der gleich darauf anhand eines Flugzeugunglücks belegte, dass es wichtig ist, sich über die höchsten Ziele Gedanken zu machen und die Entscheidungen an diesen auszurichten. Entscheiden musste sich auch der Vortragende, der zwischendurch lässig über die Bühne schlenderte und die Hände in die Hosentaschen steckte. Frei reden oder am Pult stehen und ablesen? Besonders wirkungsvoll waren aus Sicht des Publikums die ohne Pultkontakt vorgetragenen Teile des Vortrags. „Täglich treffen wir unbewusst rund 100.000 Entscheidungen“, berichtete Schroeder und erläuterte wie routinisierte, stereotype, reflektierte und konstruktive Entscheidungen ablaufen. Generell gelte es, sich die verschiedenen Optionen, ihre Konsequenzen, die Ziele, Gründe und Rahmenbedingungen bewusst zu machen. Dann gelte es schlichtweg zu entscheiden, statt sich durch Verzögerung davor zu drücken.

Erschwert würden Entscheidungen durch den „Terror des Optimalen“. Große Erwartungen und große Enttäuschungen lägen als Nachbarn direkt nebeneinander. Denn mit dem Wunsch nach Optimierung wachse auch die Angst zu scheitern. Dies sei ein Teufelskreis aus dem es gelte auszubrechen. Dann folgten Beispiele aus dem Leben wie der Kauf eines von 122 Notebooks in einem Elektromarkt. „Das Individuum hat volle Souveränität und ist die letzte Instanz“, erläuterte der Redner die Philosophie unserer Gesellschaft und verriet dann einige Geheimnisse der Einkaufspsychologie. So würden Kunden, die gegen den Uhrzeigersinn durch einen Supermarkt gehen müssen, rund zehn Prozent mehr Umsatz machen. Auch seien auf Augenhöhe in der Regel nur Produkte dekoriert, die „nerven und keiner braucht“, während die wirklich wichtigen Produkte ganz oben oder ganz unten stehen. Deutschlich machte Schroeder das auch durch das ironische Imitieren von Liedern aus der Werbung. Als Lösungsidee berichtete Schroeder über die Unterschiede zwischen rastlosen Optimierern und deutlich zufriedeneren Gelassenen. Generell seien Lebewesen risikoscheu. Das führe auch dazu, dass man das Risiko eines Verlustes nur eingeht, wenn der vielleicht mögliche Gewinn nahezu doppelt so hoch ist wie der mögliche Verlust. Das gelte nicht nur für Glücksspiel, sondern auch für Gehaltsverhandlungen im Berufsleben. Florian Schroeder berichtete, dass generell zufriedene Menschen sich an einem eigenen Zugewinn freuen können, während generell Unzufriedene nur relativ darauf achten, wie sie zu Dritten stehen. Das sei die Hölle der Vergleiche, die für manche Menschen zerstörerisch wirke. Besser sei es, „der große Fisch im eigenen Teich zu sein.“

Schroeder führte anhand von Beispielen aus, wie sich Marktnormen und soziale Normen verstricken. So sei eher jemand für ein reines Ehrenamt zu gewinnen als für eine Bezahlung unter dem gefühlten Wert. Um selbst erfolgreich zu sein, gelte es zum Beispiel bei Gehaltsverhandlungen die erste Zahl in den Raum zu stellen, um einen Rahmen zu setzen. Schlecht seien hingegen Drohungen und auch Vergleiche. Zum Abschluss nannte Schroeder zur Absicherung eingekaufte Unternehmensberater „Agenten der Angst“ und empfahl Unternehmen gute Leute einzustellen und diese ihre Arbeit tun zu lassen. Bei der Auswahl solle man nach der 10-10-10-Regel verfahren und sich vorstellen, wie man sich mit der Entscheidung für einen Bewerber in zehn Tagen, zehn Wochen und zehn Jahren fühlen wird. Dann gelte es mit Hilfe der Intuition zu entscheiden. Generell, so Schroeder, seien Geschichten besser als Zahlen. Daher berichtete er nicht nur aus dem eigenen Leben, sondern auch aus dem Berufsleben von Freunden. Das kann überzeugen, doch nicht, wenn es wirkt als ob er abliest, wenn er vermeintlich locker aus dem Leben plaudert. Schroeder beendete seinen Vortrag mit dem Appell, auch mal etwas zu riskieren, antizyklisch zu denken und Mut zu unkonventionellen Entscheidungen zu haben. Bleibt die Frage, ob der Abend sich gelohnt hat. Die Antwort, das ist keine Überraschung, ist ein klares Jein.

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