Paradise Lost - Ausstellung im Kaisersaal Kaisheim der JVA
„Paradise Lost“: Ausstellung im Kaisersaal Kaisheim der JVA
Vernissage der dreiteiligen Kunstausstellung
Wenn eine Kunstausstellung eines so fulminanten und ästhetisch berauschenden Ambientes erfreuen kann, wie sie sich im barocken Kaisersaal zu Kaisheim darstellt, ist ein reger Zuspruch durch ein interessiertes Publikum eigentlich schon gewiss; wenn eine Ausstellung darüber hinaus thematisch und methodisch als ein vorbildliches Projekt erweist, das in den therapeutischen Kontext der JVA integriert ist, dann erfüllt dies höchste Ansprüche.
„Bentlakók“ (ungarisch: „Insassen“) nennt Miklos Teknös sein fotografisches Arrangement mit beeindruckenden Portraits und Motiven, aufgenommen in der JVA Vac, der ungarischen Partnereinrichtung der JVA Kaisheim, aus der Friedhelm Kirchhoff, Leitender Regierungsdirektor, Gäste zu seiner Vernissage am vergangenen Sonntag begrüßen durfte. Zu dem illustren Kreis prominenter Ehrengäste zählten neben Bürgermeister und stellvertretender Landrat Franz Oppel, Helmut Guckert MdL auch Michael Stempfle, Regierungsdirektor des bayerischen Justizministeriums, der in seiner Festansprache die wohlwollende Anerkennung Beate Merks, Justizministerin Bayerns, überbrachte und mit herzlichen Worten den progressiven, wegweisenden Charakter dieser von zahlreichen Mitwirkenden vorbereiteten und durchgeführten Ausstellung hervorhob.
Julia Wegat und Kaline Versmold haben in monatelanger, arbeitsintensiver Vorbereitung die zwei weiteren Bereiche der Ausstellung in Kooperation mit zahlreichen Insassen der JVA Kaisheim (9 Mitwirkende aus dem Strafvollzug haben mit ihnen die blanken Betonmauern eines Innenhofs aus dem Neubaubereich malerisch-bunt gestaltet): „Paradise Lost“. Ambivalent deutet dieser Titel wohl auch auf eine emotionale Grundstimmung der Insassen hin, die sich aufgrund einer Verurteilung in der JVA befinden, weitgehend isoliert, abgetrennt vom „normalen“ gesellschaftlichen Leben, ihrer gewohnten Privatsphäre und ihrer sozialen Umwelt.
„Das zeigt sich z. B. auch darin, dass manche der langjährig Verurteilten noch von D-Mark sprechen, im Gespräch Wissensdefizite hinsichtlich des aktuellen Geschehens spüren lassen,“ erläutert Kaline Versmold. Sie sind aus der Gesellschaft zunächst weit stärker isoliert, als wir dies meist erahnen, und bedürfen, wenn >Resozialisation<, >Rehabilitierung< und schließlich >Reintegration< mehr als tönende Phrasen sein sollen, greifender, effektiver Maßnahmen, die sie in ein sozial adäquates und menschenwürdiges Alltagsleben nach ihrer Entlassung wiedereinführen helfen. Dort setzt die Kunst ein: Kunst, insbesondere moderne Kunst soll den Menschen, der sich ihr zuwendet, substantiell, ja existentiell ansprechen, soll Optionen ausloten, wie die individuelle Gefühlswelt, Lebenseinstellung und Lebensträume, die meist im Alltagsgrau verschwinden und unbewusst zu bleiben drohen, sich im Gegenstand der Kunst spiegeln. Der Gegenstand der Kunst – das Gemälde, das Foto, die Skulptur etc. - muss eben so tief in das persönliche Wahrnehmen, Empfinden, Denken, in die individuelle Innenwelt hinein-scheinen können, dass der Betrachter sich veranlasst fühlt, sich mit dem auseinanderzusetzen, was ansonsten im Unterbewussten, abgetrennt vom Normal-Ich, zwar wirkt, aber nicht kreativ (sozial, ethisch, den individuellen Lebenszielen entsprechend) erschlossen ist. Wer die Kunstausstellung im Kaisersaal der JVA besucht, wird – auch als Laie – tief beeindruckt neue, fremde und nicht selten tief dramatisch-packende Erlebnisse gewinnen und mit diesen ungeachtet seiner sonstigen Lebensumstände bereichernd neue Horizonte menschlicher Lebenswirklichkeit erfahren. Dieses vorbildliche Gesamtprojekt, unterstützt vom Rotary Club, dessen Präsident Friedhelm Kirchhoff in diesem Jahr ist, vermag nicht zuletzt aufgrund der multimedialen Konzeption (eine Power-Point-Präsentation zeigt Aspekte des Projektverlaufs) anzusprechen, provoziert im künstlerischen Sinn den Besucher, seine Eigenwelt zu verlassen, um beispielsweise anhand der authentischen Collagen aus Gesprächen mit den Gefangenen andere Lebenswelten und -wirklichkeiten kennenzulernen. Eine detailliert durchdachte, konzeptionell bis ins kleinste Detail ausgereifte Ausstellung bringt diese fremden Lebenswelten insbesondere auch durch zwei Kuben, den Männer- und den Frauenraum, dem Besucher nahe: mannigfaltige, ausdrucksstarke Portraits scheinen dort zu schweben, wartend, in einer unerwartet „stillen“ Ausdruckshaltung (betont durch die je geschlossenen Augen der Portraitierten). Gerade die audio-visuelle Form innerhalb eines auch räumlich in seiner Anordnung zuweilen labyrinthartig wirkenden Rundgangs betritt der Besucher Lebenswelten, wie sie als Lebensschicksale in einer JVA vorkommen, dramatisch, manchmal in grotesken oder vehementen Gegensätzen zu anderen Ausdrucksformen. So bleibt nach einer so überragenden Vernissage nur zu wünschen, dass möglichst viele diese einmalige Chance nützen mögen: jeder, der sich für diese künstlerisch präsentierten Lebenswelten öffnet, wird neben beeindruckenden Kunstformen auch Horizonte menschlicher Lebensläufe entdecken können, die ihn vielfach bereichern können.
Bürgerreporter:in:Wolfgang Leitner aus Donauwörth |
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