Musical Company Gymnasium Donauwörth: "ST!RB, LIEBE"
Musical Company Gymnasium Donauwörth:
"Stirb, Liebe" - Zwei Liebestragödien in e i n e m Musical Drama
Eine gelungene Synkresis als musikalische Bühnenparabel
Zweifach hätte sich das bis zur letzten Aufführung des diesjährigen Musicals zahlreiche Publikum befremdet fühlen können: Zwei monumentale Liebestragödien der Weltliteratur, nämlich Shakespeares "Romeo und Julia", und "Aida", namentlich durch Guiseppe Verdis Oper weltberühmt, in einem Musical! Ist das nicht diesmal wirklich eine "Mission impossible" für die Company?
Und dann dieser kryptische Code als Titel: "ST!RB, LIEBE"? Der enorme Publikumserfolg an den zehn Abenden in der Aula des Gymnasiums zeigt auf, dass dieses auf den ersten Blick unmöglich zu realisieren scheinende Projekt getrost zu den großartigsten der letzten Jahre gezählt werden darf, vielleicht sogar an die Jubiläumsgala 2008 heranreicht.
Erster Akt - Aida
Was auch immer der Einzelne mit dem Titel assoziiert haben mag - seine Reflexionen wurden bald im ersten Akt des Musicals auf der Bühne wie ein roter Faden durch die Erzählerin (souverän gesungen durch Jana Mazurkiewicz) aufgegriffen: "Jede Geschichte erzählt von der Liebe", und Aidas Geschichte beginnt in der Fremde des alten Ägyptens, am Hofe des Pharao.
Ihre Identität muss sie verbergen, sie die Tochter des nubischen Königs Amonasro, denn sie ist wie viele ihres Volkes als Sklavin im feindlichen Pharaonenreich am Nil, entführt durch den Feldherrn Hauptmann Radames, der siegreich auszog, im Triumph zum sterbenden Pharao zurückkehrte.
Schon bald soll an der Seite der Prinzessin Amneris Radames nach aller Erwartungen und insbesondere dem Willen seines Vaters Zoser den ägyptischen Thron besteigen, der siegreiche Feldherr, der Krieger und Mächtige, bald schon höchste Macht, Reichtum, ja die unvergleichliche Zukunft eines Herrschers über ein blühendes Reich empfangen.
Ägyptens Ruhm, sagenhafte Monumente, Pyramiden, die Macht und Ansehen aller Welt verheißen, der Glanz eines Imperiums, eine Gesellschaft, unserer Zeit so fern, unserer Gegenwart doch auch irgendwie nahe: Amneris liebt Luxus, schöne Kleider, ihr verwöhntes Leben, umgeben von Hofdamen, umgeben im Musical von glanzvoll-modisch gekleideten Models - Lifestyle, exzessiv zelebriert, Lifestyle als Lebenskonzeption?
In krassem Kontrast zu diesem Glamour voll Luxus und Oberflächlichkeit die Welt der Sklaven, der Diener und Bauern, der Arbeiter und Untergebenen: "Durch das Dunkel der Welt", ein Duett, souverän und ausdrucksvoll gesungen von Radames - Thomas Kroczek und Aida - Alexandra Ernst.
Wie insbesondere die Hauptrollen sowohl nach Gesang wie Performance authentisch-ausdrucksstark einfach brillant gespielt sind, so erreicht das Bühnenstück, stilistisch als Musical Drama der Oper ebenso angenähert (durch die zwei Akte und durch die chronologischen Gesangsnummern, die aber dynamisch, nicht streng, sondern der exzellent spannenden Handlung folgend, ineinander übergehen), gerade dadurch ein kaum zu überbietendes, enthusiastisch getragenes, hohes Niveau, dass gleichermaßen die Gesamtleistung des Ensembles schlicht brillant von Anfang bis Ende bleibt.
Regie (Heidi Thum-Gabler), Choreographie, Musik und Text (Elton John, Gérard Presgurvic, arrangiert durch Wolfgang Gabler), Bühnenbild und Kostüme generieren aus den zwei überragenden Bühnenstücken ein dynamisch-stringentes, dramatisch durch alles Szenen hindurch en détail ausdrucksvolles Gesamtkunstwerk. Jene von der Konzeption her drohende Gefahr, durch das Arrangement zweier monumentaler Tragödien könne das Musical in eine Chronologie divergenter Szenen zerfallen, wurde durch diese Gesamtleistung brillant pariert.
Dualität, die sich konsequent als d i e dramatische Energie dieses Musicals darstellt, manifestiert sich nicht nur stilistisch, sondern substantiell-inhaltlich in beiden Akten: Der illusionäre Glamour des Hofes, vornehmlich durch Prinzessin Amneris (mit Bravour durch Maria Lechner gespielt und gesungen) und den von Ehrgeiz getriebenen, machthungrigen Zoser präsentiert (eine durch und durch authentische von Alptug Altunay realisierte Rolle) kontrastiert und wird konfrontiert durch die ganz andere, uns "realer" anmutende Welt der Unfreien, der Sklaven und Dienenden, der Gefangenen.
Ihrer Heimat beraubt, in der Fremde, ja in einem Leben, das keiner als das Seine versteht, unter dem Joch ausbeutender Machtgier, erlebt sich Aida, sie die nubische Prinzessin als Sklavin der ägyptischen Prinzessin, die ganz und gar ihre Macht, ihren Status und nicht zuletzt ihren verlobten Radames wahren und behalten will: diese beiden Wirklichkeiten und Seelengrundhaltungen der Individuen begegnen sich, und aus dieser Begegnung, die keine starre, sondern eine suchend sich entwickelnde ist, erwächst selbst eine unübertreffliche, dynamisch sich steigernde Dramatik.
Aidas Liebe zu Radames, der aus Liebe zu ihr alles aufgeben will, was so verführerisch ihm erscheinen müsste, der Thron Ägyptens an der Seite von Amneris, was so nachdrücklich gefordert, ja schließlich mit Gewalt erzwungen wird, und Aidas Liebe zu ihrer Heimat und ihrem Volk scheinen zwei unversöhnliche Kräfte in ihrem Innern, gespiegelt in der Seelenwelt ihres Geliebten, der auch wie sie im Konflikt mit seiner sozialen Umwelt und deren starren Erwartungen handelt und nach Lösungen ringt - schließlich die Liebe beider, die Freiheit jenseits des menschenfeindlichen Glamours am Hofe ersehnt: dieser Konflikt kulminiert letztlich in der Verurteilung "unter dem Sand Ägyptens".
Romeo und Julia
So übermächtig stellt sich - ja, was eigentlich? - Schicksal, Sterne, Wirklichkeit - das Leben dar in Aida ("Sind die Sterne gegen uns?"), lässt die Liebenden, die um die Wahrhaftigkeit ihrer Liebe wissen, zweifeln, sie fragen: Wie können die Götter einen solchen Wahnsinn menschlichen Hasses, solche Unmenschlichkeit zulassen?
In "Romeo und Julia", dem zweiten Akt des Musicals, sollte diese Frage erneut zentral auftauchen. Und so ehrlich, so emotional echt diese Frage nicht nur auf der Bühne gestellt wird, so unmittelbar überzeugend erweisen sich die beiden Geschichten quasi als Exemplifikation einer möglichen Antwort.
Denn im zweiten Akt manifestiert sich gleichfalls eine soziale Wirklichkeit, durchdrungen von egoistisch-narzisstischen Motiven der Agierenden am Hofe: Die beiden Adelsfamilien der Capulets und der Montagues sind durch ungezählte Intrigen verfeindet. Misstrauen und Hass dominieren, Ansehen und gesellschaftliche Anerkennung scheinen die einzigen Triebfedern des Handelns aller. Wie sie aus ihren einzelnen Motiven heraus i h r Leben gestalten, so wirken sie mit an dem, was man so schlechthin gesellschaftliches, soziales Leben nennt: Die Menschen selbst bauen aus ihren eigenen Interessen, Zielsetzungen, ihren Leidenschaften und Ambitionen auch das öffentliche, gesellschaftliche Leben auf, ihre "Umwelt", in der sie die Wirkungen ihrer Taten auch selbst erleben. Aber müssen nicht auch jene darunter leiden, die den aus Illusionen gesponnenen Egoismen nicht huldigen? Partizipieren denn wirklich Aida und Radames, Romeo und Julia nicht an diesem Wahnsinn durch eigenes Tun und Wirken?
Aber genau dort setzen die Geschichten (erster u n d zweiter Akt) ein, da jeweils die Zentralfiguren etwas erleben, das sie veranlasst, gegen diesen Wahnsinn, gegen die gesellschaftliche Ordnung zu rebellieren, sich nicht mehr im Einklang mit den auf sie wirkenden Erwartungen zu handeln und zu leben, sondern i h r e n eigenen Lebensweg zu suchen: sie fangen an, zu lieben.
In der Liebe - die sich für sie als entscheidende Peripetie ihres Lebensweges erweisen sollte - in jener Begegnung mit dem Anderen beginnen sie, sich selbst zu verstehen, ihr eigenen, wahren Lebensziele zu erahnen, und fangen an, sich f ü r ihre Interessen einzusetzen. Sind sie dann doch so wie jene, die im Grunde eine menschenverachtende soziale Umwelt geschaffen haben, die auch nur "ihre" Interessen verfolgen?
"Du hast kein Recht, sie zu lieben!" skandiert der Chorus in Aida dem Radames entgegen, suggestiv gewaltig, manipulativ, ja fast hypnotisch eintrichternd. Jenes in keinem Gesetzbuch der Welt geschriebene Recht der Liebe, allgegenwärtig, ist zugleich das Recht der Individualität, des Einzelnen, der in der Einmaligkeit der Begegnung mit dieser Liebe a l l e s erkennt, was je wesentlich, wichtig bedeutsam war, ist und sein wird: Es ist in Aida wie auch in Romeo und Julia die stille, für die anderen nicht zu hörende Stimme im Innern, die stärker, da wahrhaftig rufend, die größer, da der Menschlichkeit und aller Wahrheit des Lebens verpflichtet, die die Liebenden sanft, aber ohne Alternative zu i h r e m Weg weist.
Warum muss eine solche Liebe scheitern? Muss? Oder ist es nur die poetische Willkür, die solches verlangt? Ein Kunstgriff, um Effekte zu haschen? Um anzukommen?
Radames entscheidet sich gegen seinen Vater, wie auch Aida, Romeo und Julia wenden sich ab von den Erwartungen ihrer Familien, wenden sich ab von ihrer Vergangenheit, suchen Zukunft, die ihrem Sehnen und ihrem Wesen gleicht. Es steckt in dieser Entscheidung auch die Liebe zur Freiheit, ihre Liebe zur Menschlichkeit, jener Menschlichkeit, die unter der illusionären Farce einer emphatisch geforderten Pflicht stets nur gelitten hat, gefoltert worden war.
Wollen sie ihrer Liebe eine Chance geben, wollen sie nicht sich selbst als Individualität, die gerade diese ist, hier und jetzt, jene, die dem Anderen wirklich begegnet ist, verleugnen und negieren, müssen sie gegen ihre gesellschaftliche Wirklichkeit kämpfen, für ihre Liebe kämpfen, und in beiden Geschichten können sie kein geringeres Gewicht in die Waagschale werfen, als ihr Leben, jenes Leben, das bis dahin geworden ist, das alte Leben.
Warum die Liebenden in beiden Geschichten ihr Leben geben? Vielleicht weil eine solche Liebe größer ist als das Leben, das als ein Gleichnis diese Liebe kaum aufzunehmen vermag, die Grenzen dieses irdischen Lebens zu sprengen, zu zerreißen droht, wenn der Mut, sie zu leben, die Liebenden erfüllt. Vielleicht stiegen deshalb diese großen Liebestragödien zu unvergleichlichem Weltruhm auf, da sie uns erinnern, dass da etwas ist, so wertvoll, so kostbar, dass es ein Leben voller Leid, ja das Leben selbst aufzuwiegen vermag.
Warum dieses besondere Projekt der Musical Company des Gymnasiums Donauwörth so überragenden Erfolg erntete, obgleich die Wahrscheinlichkeit gegen diesen sprach? Neben einem - auch nach ihrem großen Jubiläumsjahr 2008 ungebrochenen - ja eher noch weiter wachsenden Engagement des Ensembles, der Hauptakteuere auf und hinter der Bühne, dürfte es eben genau dieser Effekt sein, dass die zwei Tragödien, um eine große Pause in der Mitte angeordnet, wie zwei zueinander gewandte Spiegel, kunstvoll sich entwickelnd, die wesentliche Botschaft wie eine Essenz sublimierten. Nicht mehr die konkrete Stofflichkeit beider Tragödien blieb am Ende; g a n z auf das hin, was der Zuschauer und Zuhörer i n s i c h durch diese beiden Geschichten erlebte - und das konnte wahrhaft großartig sein - konzentrierte sich diese besondere Konzeption des Musicals "ST!RB, LIEBE".
Zugleich gelang, was jedes Drama, was jedes Musikdrama, als ein höchstes Ziel ansehen darf: durch seine Botschaft das Innerste des Einzelnen, der sich darauf einlässt, zu erreichen, Saiten zum Klingen und Schwingen zu bringen, die im Getöse des Alltags leider oft nicht gehört werden, doch niemals zum Verstummen kommen sollten, erinnern sie doch den Menschen an den Ursprung seiner Menschlichkeit.-
Foto A 049: Kongenial zu einem brillant-souveränen Schauspiel der Hauptdarsteller überzeugte das Ensemble durch eine emotional-authentische Darstellung. Sukzessive entwickelt sich auf der Bühne ein gewaltiges Seelenpanorama, in das der Zuschauer immer tiefer durch sein Erleben eintauchen konnte. Aida und Radames (Alexandra Ernst und Thomas Kroczek) begegnen sich in ihrer Liebe, die durch die tiefe Dunkelheit ihrer Zeit einen gemeinsamen Weg sucht.
Foto 013: Wer in dem diesjährigen Projekt der Musical Company ein gewagtes Experiment sah, erkannte bald, dass mit "Stirb, Liebe" ein überagender Erfolg erzielt worden ist. Enthusiastischer Applaus des zahlreichen Publikums dankte es ihr.
Bürgerreporter:in:Wolfgang Leitner aus Donauwörth |
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