Herbstfest in St. Johannes
Am vergangenen Wochenende wurde in St. Johannes Schweinspoint (Marxheim) das traditionelle Herbstfest begangen. Mehr als eines von vielen Herbst- und Marktfesten stellt dieses Ereignis nicht nur für die Ortsansässigen dar; viele, aus den Landkreisen Donau-Ries, Neuburg an der Donau, Ingolstadt und Dillingen kommen jedes Jahr nach Schweinspoint, denn das lange und sorgfältig vorbereitete Fest ist etwas Besonderes:
Ich traf viele junge Familien - und zwar nicht nur solcher Familien, die behinderte Angehörige in Schweinspoint besuchen - die darum wissen, wie liebevoll und mit besonderer Hingabe a l l e r dieses Fest begangen wird.
Und es ist ein Fest des Miteinanders, ein im besten und schönsten Sinn geselliges Fest und trotz des großen Andrangs auch ein Fest der Familien, der Freunde der Stiftung und der Menschen dort geworden. Kinder aller Altersgruppen spielten miteinander, ob im Spieleparcours, am Streichelzoo mit den kleinen Ziegen, kletterten emsig am extra vom Alpenverein Donauwörth aufgestellten Kletterfelsen, ob Kicker oder andere Geschicklichkeitsspiele, und promenierten durch die große, architektonisch bestechend schöne Anlage, schauten vielleicht auch in die Wohngebäude, und besuchten eine der zahlreichen Musikveranstaltung oder ließen es sich in dem idyllischen Biergarten gut gehen.
Wie selbstverständlich, als gäbe es nichts normaleres auf der Welt, vergnügten sich Besucher und Bewohner der Stiftung miteinander, spielten - vor allem am Samstag - im Fussballtournier, wetteiferten im selben Team, schossen Tore, verfolgten den Spielestand und freuten sich gemeinsam am Sport, an einem traumhaft schönen Herbsttag (Samstag war Herbstanfang).
Betrachtete und erlebte man aufmerksam diese Festtage, so mochte sich vielleicht mancher wundern, warum in der Politik noch über Integration (z. B. von Behinderten in der Gesellschaft so lebhaft diskutiert wird). Denn h i e r, in St. Johannes, scheint der große Wurf gelungen: Menschen leben Toleranz, achten aufeinander (weil sie um ihre eigenen und die Grenzen ihrer Mitmenschen wissen), sprechen mit-einander und weniger über-einander, empfinden notwendige Grenzen nicht als unüberwindliche Mauern - und brauchen auch weniger davon - apropos: die Anlage geht in den dörflichen Kern auch fließen - o h n e Mauern - über. Ja, selbst Zäune, andernorts als soooo notwendig erachtet, braucht mancher hier nicht, sondern schätzt das herzliche Miteinander: man kennt sich und respektiert sich.
Ich erzähle nicht von Arkadien, nicht von einer wunderschönen Vision oder gar Illusion: es ist ein realer Ort, ein Ort u n s e r e r Heimat, nicht weit von Donauwörth, und als Donauwörther zähle ich - seit ich dieses erste Herbstfest miterleben durfte - St. Johannes zu meiner Heimat, zu Donauwörth: denn ist nicht Heimat ein Ort, wo man sich wohl fühlt? Wo Menschlichkeit lebt? Selbstverständlich, alltäglich? Ein Ort des Vertrauten?
Ein junger Mann - um die 24 - erzählte mir offen und vertrauensvoll s e i n e Geschichte, und was ihn mit St. Johannes verbindet: Er wohnt hier, in einer Wohngruppe, geht täglich in die Arbeit in eine der Werkstätten, versorgt sich - wie auch seine Mitbewohner - selber. Ja, aber warum kam er hierher? Hat er keine Eltern mehr? Doch! Aber er wollte selbständig werden, seinen Eltern nicht nutzlos auf der Tasche liegen, wie er sagte; in seinen Worten klang an, dass er um seine eingeschränkte Lernfähigkeit wusste, und dennoch: er wagte, nachdem er durch ein Wochenende St. Johannes kennengelernt hatte, den großen Schritt ins eigene Leben.
Als ich ihm zuhörte - wir waren uns in der Stiftungskirche begegnet - wuchs mit jedem Wort, das er redete, meine Achtung und mein tiefster Respekt vor ihm:
nicht nur, dass er als Mensch mit zwar leichter, aber eben existenter Lernbehinderung (ich schätze den medizinisch üblichen Terminus "geistige Behinderung", die irreführend ist, nicht sehr) kommunikativ und eloquent, wie mancher sogenannter "Normale" es einem Fremden gegenüber oft nicht schafft, seine Geschichte in klaren einfachen Worten zu erzählen, einsichtsvoll und mit Ausführungen, die eine weltoffene, tolerante und bewegliche Gesinnung (wollte ich "geistiges Wesen" sagen? aber nein, er ist doch behindert - oder?) erahnen ließ.
"Ich wollte meinen Eltern nicht zur Last fallen, wollte selbständig werden und mein Leben selber anpacken. Darum bat ich meinen Vater, die notwendigen Schritte in die Wege zu leiten - und jetzt bin ich hier."
Spätestens jetzt begann ich, während meine kleine Führung durch den Leiter eines Stiftungsbereichs fortgesetzt wurde, zu erkennen und mich weiter zu fragen, in wievielerlei Hinsicht d i e s e Stiftung ein Segen und eine wirkliche Bereicherung darstellt - für die Menschen in ihr, in Marxheim und wohl auch weit darüber hinaus.
Nicht weggesperrt, isoliert von der Gesellschaft, dem sozialen und kulturellen Leben des Dorfes, sondern integriert darin, wie es nur möglich und wünschenswert ist, können Menschen mit Behinderung hier leben. Würde, menschliche Würde, wie sie gerade in unseren Tagen wieder in vielen Bereichen gefährdet und bedroht wird, ist durch die - wohl nicht immer einfache - Arbeit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Stiftung und auch der an sie angegliederten heilpädagogischen Ausbildungsstätte sukzessive erarbeitet worden und wird durch ihr Wirken fortlaufend erhalten.
Wenn eine Frucht beruflicher Arbeit darin besteht, dass zahlreiche Menschen in Würde leben und arbeiten können, ein nützlicher, sinnvoller und sinnstiftender Teil der Gesellschaft werden, dann mag man diesen Beruf als "wünschenswertesten Beruf" der Welt verstehen.
Noch einmal betone ich: was ich beschrieb, ist nicht ein Ideal oder ein nonexistentes Arkadien, vielmehr ein existenter Ort, ein Stück Realität, in der es zweifellos auch Probleme, Sorgen und Nöte gibt, z. B. wie die Stiftung die dringend durchzuführenden Sanierungsarbeiten finanziert.
Aber lassen sich nicht die allermeisten Probleme und Konflikte des Alltags und des Zeitenlaufs lösen, wenn Menschlichkeit, Fleiß, die Zuversicht, die sich aus gelebter Verantwortung für hohe Ziele speist, einen Kreis zusammen arbeitender Menschen verbindet?
Ich gestehe: kein schöneres Herbstfest als das in St. Johannes erlebte Wochenende habe ich in diesem Jahr begangen, unerwartet, voll konkreter schöner Erfahrungen, vor allem jener: wie alles, auch das kleinste, reich und bedeutend wird, wenn es im Licht der Menschlichkeit lebt.-
Bürgerreporter:in:Wolfgang Leitner aus Donauwörth |
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