Hellmuth Karasek im Gallussaal des Klosters Heilig Kreuz
Wieviele literaische >Helden< kennen Sie? Männer? Frauen? Ja? Auch Kinder? Ja? Aber wieviele Helden sind - sagen wir: im Rentenalter und eventuell mit alterstypischen Eigenschaften: etwa Vergesslichkeit, mit Arthritis oder mit sonst üblichen Beschwerden des Altseins behaftet? Nun, mir fallen eigentlich durchaus solche Protagonisten ein, etwa Fernseh-Helden wie "Der Alte" oder aktueller: Professor Capellari (alias Friedrich von Thum) - aber sind diese wirklich typisch ältere Menschen? Oder nicht vielmehr idealtypisch stilisierte Rollenfiguren, die spontan sympathisch sind - nicht nur, aber vielleicht auch deswegen, weil sie fit, gesund, klug und - ohne jene typischen (und "normalen") Beschwerden des Alters behaftet sind? Ein Hexenschuss in einer Filmszene kann lustig sein: aber die Wirklichkeit? Nun die Wirklichkeit ist sicher weit entfernt von j e n e n Helden: Denn wer will schon als älterer Mensch das im Buch oder im Fernsehfilm erleben, was er tagtäglich auch erlebt? Es gehört eben Mut dazu, Altsein und Alter - nicht als stilisierte und stereotyp idealisierte Rollenfiktion darzustellen, sondern aus der Grundhaltung einer wahrhaftigen Betrachtungsweise. Karasek nähert sich nun mit "Süßer Vogel Jugend" diesem Alltäglichen des älteren Mensch an, auf seine Weise, nicht analytisch-wissenschaftlich, sondern mit Mitteln fiktiver Literatur. Karasek war in Donauwörth, las vor einem applaudierenden Publikum, einem Publikum, dem er es zutraute, mit ihm in das beschwerliche Labyrinth des Alltags eines älteren Menschen hinabzusteigen. Hier ein kleines Streiflicht dieses Abends im Gallussaal.-
Hellmuth Karasek: „Süßer Vogel Jugend“
Lesung im Gallussaal des Klosters Heilig Kreuz
In dem unvergleichlichen künstlerisch-ästhetischen Gallussaal des Klosters Heilig Kreuz konnten Literaturbegeisterte und Leseratten den renommierten Hellmuth Karasek aus seinem neuen Buch (das sich auf der Spiegel-Bestsellerliste findet) „Süßer Vogel Jugend“ zuhören, nachdem der ursprünglich vorgesehene Termin während der Donauwörther Kulturtage wegen Krankheit verschoben werden musste.
Und ein ebenso zahlreiches wie illustres Publikum nutzte die seltene, aber inzwischen wiederholte Chance, Karasek als Autor, Literaturwissenschaftler und Mensch persönlich zu hören und zu erleben. Paradox mag es erscheinen, in zweifacher Hinsicht, welcher Thematik sich sein neues Werk widmet: erstens ist es ein Buch, das sich mit dem Altsein und -werden, mit all' jenen alltäglichen Tücken und Beschwernissen, die das fortgeschrittene Altern nunmal so mit sich bringt, beschäftigt: der süße Vogel mag als Metapher einer intimen Sehnsucht darstellen, die insbesondere dann sich geltend machen kann, wenn sein Lied von vergangenen und eben nicht mehr gegenwärtigen Tagen singt; zweitens ist dieses Buch, wenn man sich recht besinnt, durch seine Thematik, die belletristische Auseinandersetzung mit dem Alltagserleben älterer Menschen – nach wie vor – ein viel zu selten angepacktes Sujet der Literatur, die sich anscheinend auch eher davor drückt, was – wenn wir Glück haben – uns alle erwartet: das Altern, Verblühen, Welken, das Bewusstwerden, dass Kreise sich runden, reift, was gesät wurde, Bäume, in der Kindheit und Jugend gepflanzt, längst groß und beschirmend, aber vielleicht auch zuweilen „beschattend“ zum Himmel ragen, über und um uns, und der altwerdende, altgewordene Mensch sich fragt: was bleibt vom Tag?
Viel alltäglicher, viel trivialer und viel – peinlicher fängt die literaische Beschreibung aus Karaseks Lesung an: im Bett wälzend quält sich das Ich des Erzählers, der sich nicht scheut, durch Details klarzustellen: das bin schon ich, der Karasek! wie hieß doch gleich der ... der ... hm! Labyrinthartig grübelt er, sinniert nach, schimpft innerlich, flucht – und findet nicht den Namen, den Namen des berühmten ... Professor war er, ja Minister sogar ... aber wie heißt er!?
Karasek ist provokativ, aber auch sehr mutig: er identifiziert sich deutlich mit jenem senilen Ich, das sich (und zuweilen auch andere) abquält auf den beschwerlichen Alltagswegen im Alter; er ist mutig, da er ausspricht, was Millionen anderer älterer Menschen auch ähnlich oder genau so erleben, Tag für Tag, scheinbar endlos variierend – und frustrierend! Welche Purzelbäume muss das Ich schlagen! Welche Verrenkungen mentaler und psychischer Art vollführen, um endlich! Endlich! den Namen zu finden! Professor Stölzl! Jawohl! Gerettet, geschafft, uffz.
Schmunzeln, ja lachen lernte mancher wieder (oder erst an diesem Abend?) schmunzeln über die hinterlistigen, gemeinen und frustrierenden Hürden des alltäglichen Parcours durch das Altwerden: „Ihr Schnürsenkel, junger Mann ist auf! Sie werden fallen!“ belehrt freundlich die (tatsächlich) junge Verkäuferin in der Bäckerei. Heimtückisch! Denn wie soll ich mich nur bücken, ohne zu riskieren, dass mein Gesicht hochrot anläuft wie ein Feuermelder? Wo findet sich draussen ein geeigneter Treppenabsatz? Oder eine Parkbank? Oder die freundlich einladende Stoßstange eines geparkten Autos?
Dieses Buch lädt ein: sich mit dem Altsein, mit sich selbst auseinanderzusetzen,humorvoll, augenzwinkernd, jenes Tabu zu brechen, gesellschaftlich im Normenkanon der Öffentlichkeit verankert, das da lautet: es gibt kein Leid, keinen Schmerz, es gibt kein Gebrechen im Alter und keine Beschränkungen, die uns durch das Altern auferlegt werden: dynamisch, wohlhabend, fit bis ins hohe Alter und dank Hormonbehandlung, Anti-Aging, diversen Schönheitsoperationen und vielem mehr bist Du eigentlich – jung. Altwerden – kein Thema eben. Schmunzelnd überwindet Karasek all' jene Klüfte zwischen den Generationen, die Tag für Tag neu gegraben werden, da das Thema „Alter“ in allen seinen eventuell auch tatsächlich wenig reizvollen Aspekten verdrängt wird. Kurzum: dieses Buch ist lesenswert, da es zu jenen wenigen Büchern gehört, die nonchalant und ohne den allzu oft erhobenen Zeigefinger – gleichsam mit einem Lachen - zum Wesentlichen kommen.-
Bürgerreporter:in:Wolfgang Leitner aus Donauwörth |
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