Gedanken zum Ausklang des Jahreslaufs

Wintermorgen
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Sich zu erleben und sich in der Welt zu erleben, zeigt sich anders, wenn die Natur sich in sich zurückzieht, wenn Manifestation einer Ruhe, der Latenz des Winters weicht, die - obgleich scheinbar "nichts" geschieht - voller Bedeutung ist - für Leben und Erleben.

Gerade dadurch, dass der Blick >nach außen< dort quasi >nach innen< reflektiert wird, zurückgeworfen wird, ohne mit sinnlich-visuellen Inhalten gesättigt worden zu sein, gerade das Abscheiden und das Zurückgezogensein der Natur in sich tragend, geschieht im wahrnehmenden, erlebenden und willenserfüllten Ich etwas Wichtiges: Das Ich, das auf sinnliche Inhalte aus der Wahrnehmung angewiesen ist, entbehrt diese, spürt, wie anders der Winter sich darstellt im Gegensatz zur Sommerfülle. Auf dieses Entbehren reagiert das Ich, von Mensch zu Mensch verschieden, aber es muss reagieren, da das Seelenleben die gewohnte Basis, die Sinnlichkeit des Erlebens, nicht mehr wie gewohnt erfährt. Auf dieses Entbehren, das ein Ich ganz natürlich als Mangel und Fehlen von etwas empfinden kann, reagieren wir oft mit einer eigentlich normalen Haltung: wir kennen sie als Depression. Depressiv muss sich das seelische Erleben gestalten, wenn an die Stelle des evidenten Mangels kein Ersatz tritt. Seelisches Leben ist wie alles Leben - Bewegung, genauer: ein "Stoffwechsel", ähnlich dem Stoffwechsel unseres Körpers; wie unser physischer Organismus braucht der psychische Organismus "Stoffe", Inhalte, die er aufnimmt und weiterentwickelt: es gibt keine absolute Ruhe, weder im Körper noch im seelischen Leben, denn darauf basiert das, was die Wissenschaften eher dunkel und vage als "Leben" erahnen. An den Umschwung vom Herbst zum Winter passen wir uns mehr oder minder adäquat an, je nach Individualität. Wir können - gerade in einer Mediengesellschaft - auch dem Winter-Erleben ausweichen, in das (dann als Placebo fungierende) >Fernsehen<, >Radiohören< etc. etc. flüchten. Einerseits ist es unsere Kultur, die unseren Horizont durch Religion, Wissenschaft und Kunst erweitern kann; aber es ist auch alles, was kulturelle Innovation gebracht hat, was Scheinwelten erzeugt, die uns dann als Ersatzwelten für verloren gegangenes Naturerleben herhalten muss. Ein Dokumentarfilm über das reiche Zusammenleben der Organismen in einem Wald z. B. kann unser seelisches Erleben erweitern: dann nämlich wenn er uns Facetten zeigt, die wir bislang noch nicht erlebt und bewusst wahrgenommen haben; reicher und vielgestaltiger kann unser Erleben werden, kraftvoller und einsichtiger, vielschichtiger kann unser Innenleben werden, wenn wir bewusster wahrnehmen und verstehen; verarmen muss unser Seelenleben, wenn wir durch das Fernsehen z. B. etwas erleben wollen, wozu wir in realiter nicht fähig sind: wenn das bunte Treiben eines Tropenwaldes uns freut, aber wir unfähig sind, uns an einem Waldspaziergang zu erfreuen, wenn wir nicht mehr wissen, zu welchem Baum diese komischen Nüsse gehören, wenn wir keine Eiche von einer Buche zu unterscheiden wissen, oder blamiert schweigen müssten, wenn Sohnemann mit acht Jahren an der Seite Papa fragt, wie der lustige Vogel heißen mag, der unermüdlich sein munteres ci-ci-be uns zuruft. Medienleben und Mediennutzung kann einen Keil tiefer in uns treiben, der den >Kulturmenschen in uns< von der >Natur in uns< wie auch der >Natur u m uns< in einen Gegensatz bringt, der in Wirklichkeit zwei Pole e i n e r Harmonie sein kann. Wenn wir die Natur u m uns, die Natur da draußen nicht mehr adäquat erleben können, als Menschen erleben können, werden wir die Natur i n uns nicht mehr verstehen und nicht mehr adäquat erleben können: dies aber bedeutet, zu erkranken.- Es ist e i n Zyklus: von draußen nach innen, von innen nach außen; wahrnehmend aufnehmen, verarbeiten, weiterentwickeln; wollend nach außen handelnd, das Außen gestaltend. Der Kosmos ist nicht Natur plus diese ewig störende Kultur des Menschen; nicht notwendig. Kosmos ist durch den Menschen eine Welt, in der der Mensch Natur über sich zu kulturellen Stufen führt, die nicht im Gegensatz zum Natürlichen stehen müssen. Alle Technologie, die in der Vergangenheit wohl doch vornehmlich eher störend und zerstörend in die Natur eingriff, kann auch dazu dienen, dass der Mensch jenen Platz in der Natur einnimmt, der n o c h nicht existiert, den die Menschheit erst allmählich schaffen kann, je mehr sie sich ihrer selbst in ihrer Humanität erkennt. Geschieht dies, so führt der Mensch als Natur- und Geistwesen die Natur über sich hinaus: dann ist der Mensch nicht mehr ein Stör- oder Zufallsfaktor der Evolution, sondern ein Glied derselben, den die Evolution an einem entscheidenden Punkt nicht entbehren kann: denn alle Natur in ihrer erhabensten Majestät ist zu einem nicht fähig - diese majestätische Schönheit zu erkennen, sich selbst zu erkennen und erkennend zu vollenden.-

Bürgerreporter:in:

Wolfgang Leitner aus Donauwörth

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