Für ein wohnortnahes und menschenwürdiges Gesundheitswesen: Praxisnetz Donau-Ries im Dialog
Für eine am Patienten orientierte Zukunft medizinischer Versorgung im ländlichen Raum
Praxisnetz Donau-Ries diskutiert Gesundheitsfonds
Expertenforum im Parkhotel Donauwörth
In einem klaren Plädoyer g e g e n den geplanten Gesundheitsfonds und gegen die elektronische Gesundheitskarte als “bürokratisches und datenschutzrechtliches Monster” kulminierte die mehrstündige Diskussion des Expertenforums im Parkhotel, zu dem das Praxisnetz Donau-Ries e. V. unter dem Vorsitz von Dr. med. Mark Tanner eingeladen hatte. F ü r Maßnahmen zu einem wohnortnahen und menschenwürdigen Gesundheitswesen sprachen sich alle repräsentativen Teilnehmer des Diskussionsforums aus.
Während Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) in Anbetracht fortdauernder Kritik am für 2009 geplanten Gesundheitsfonds an ihm festhalten und diesen in den kommenden Wahlkämpfen zum Thema machen will, mehren sich Stimmen, die sich definitiv gegen ihn wenden, etwa Bert Rürup, Wirtschaftsweiser, der eine “Notoperation” fordert. Wie er inzwischen in der “Stuttgarter Zeitung” darlegte, löse der geplante Gesundheitsfonds substantiell keines der bestehenden Finanzierungsprobleme. Allerdings rechne er mit einer Realisierung des Gesundheitsfonds, denn: “diesem Kompromiss ist ein so Reputation schädigender Einigungsprozess vorausgegangen, dass ein Abrücken sehr unwahrscheinlich ist.”
Repräsentativ für die gesamte gegenwärtige Stimmung stellt sich die aktuelle Situation ebenso dar wie die im Expertenforum des Parkhotels Donauwörth vorgetragenen Argumentationen. Bereits jetzt zeichnet sich ein drastischer Nachwuchsmangel bei Ärzten im ländlichen Raum ab, insbesondere Hausärzten, aufgrund einer für den Freiberufler Arzt desaströsen Honorierung seiner Leistungen. Der Gesundheitsfonds (käme er denn 2009, wie viele befürchten) stürze ultimativ unzählige Hausärzte in ein finanzielles Desaster.
Paradox oder vielmehr charakteristisch ist, dass keiner aus der Diskussionsrunde des Expertenforums, moderiert durch Dr. Andreas Kroszek, sich f ü r den Gesundheitsfonds äußerte. Auch a l l e Repräsentanten der Landes- und Kommunalpolitik können die vorgebrachten Bedenken nachvollziehen: Landrat Stefan Rößle sieht sich als Ansprechpartner für die Ärzte, sei offen für Fragen, Anliegen und Nöte der Hausärzte im Landkreis.
Einbußen in Milliardenhöhe drohen den Ländern Bayern und Baden-Württemberg durch den Gesundheitsfonds und dem sog. “Morbi-RSA”. Viele sehen in diesem nur ein unzureichendes Instrument für einen finanziellen Ausgleich zwischen den genannten “reichen” und den “armen” Bundesländern im Osten. Eine Lösung des zweifellos bestehenden Dilemmas werde durch den Morbi-RSA nicht angebahnt.
Ärzte wie Patientenvertreter/-innen zeigten sich einig: Am Wohl des Patienten, an einer wohnortnahen Versorgung sei der Gesundheitsfonds nicht orientiert; unisono sehen beide Gruppen eine katastrophale Zukunft voraus, wenn der Gesundheitsfonds nicht gestoppt werden kann.
“Das individuelle Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ist weder durch ein Call-Center noch durch börsennotierte Klinikketten zu ersetzen.
[ ... ] Krankenhaus- und an Klinikketten gebundene MVZs (“Medizinische Versorgungszentren”) ... lehnen wir ab!” (Aus der Donauwörther Entschließung zur Gesundheitspolitik).
“Primum nil nocere”
In der Medizin gilt der Grundsatz: “Zuerst einmal n i c h t schaden!” Daher müsse der Gesundheitsfonds gestoppt werden, denn “die sozialpolitischen Verwerfungen sind bei diesem Experiment auf Kosten der Bevölkerung für Bayern und Baden-Württemberg nicht absehbar.”
Gewiss: Im Gesundheitswesen f e h l t Geld, etwa die Milliarden, die aus der Tabaksteuer durchaus zweckgebunden in das Gesundheitswesen einfließen könnten. Vor allem aber sind die “krankenkassenfremden Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung” zu unterbinden. “Die aktuelle Unterdeckungssituation im öffentlichen Gesundheitswesen ist durch Verlagerung von Kosten überwiegend der Renten- und Arbeitslosenversicherungen i n d i e gesetzlichen Krankenversicherungen hinein entstanden.” Diese müssen wieder dort bezahlt werden, wo sie entstehen.
Und die elektronische Gesundheitskarte (eGK)?
Diese und der “gläserne Patient” müssten als “bürokratisches und datenschutzrechtliches Monster” verhindert werden. Der Arzt stehe unter seiner Schweigepflicht; solche sensiblen Daten auf Servern zu verwalten, bedeute, de facto diese Schweigepflicht des Arztes ad absurdum zu führen. Weiterhin lässt sich das Ausmaß an notwendiger finanzieller Investition in ein solches elektronisches System in keiner Weise abschätzen - kein geeignetes Mittel in Anbetracht ohnehin fehlender Finanzen im System.
Das deutsche Gesundheitswesen vor einer ultimativen Katastrophe? Während der Diskussion letzter Woche im Parkhotel äußerten sich eigentlich a l l e kontra, manche aber sahen im Gesundheitsfonds ein nicht mehr zu stoppendes Monster, ähnlich wie der Wirtschaftsweise Bert Rürup.
Inzwischen aber beginnt die Stimmung auf Bundesebene zu kippen: Sogar der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach wendet sich nun gegen den Gesundheitsfonds, da kein einziger Wissenschaftler f ü r ihn sei. Der wissenschaftliche Beirat beim Bundesversicherungsamt (BVA) ist indes zurückgetreten - mitten in der “heißen” Vorbereitungsphase des Fonds.
Noch lässt sich nicht absehen, ob die Skeptiker recht behalten, die ein Aufhalten des Gesundheitsfonds für unwahrscheinlich erachten, oder zuletzt doch die gewichtigen, zentralen Argumente gegen ein solches bürokratisches und finanzielles Monster entscheiden werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte auf dem Festakt zum 125-jährigen Jubiläum der Krankenversicherung: “Der Gesundheitsfonds kommt zum 1. Januar 2009.”
Mit Blick auf die nicht absehbaren, katastrophal eingeschätzten Konsequenzen bei einer Einführung des Gesundheitsfonds kann nur gehofft werden, dass die namhaften Entscheidungsträger ihre Meinung noch einmal revidieren. Sollte eine Mehrheit kompetenter Stimmen in dieser Diskussion nicht doch noch eine vernünftige Entscheidung herbeiführen können?
Den Ärzten und Ärztinnen des Landkreises Donau-Ries wie auch in der ganzen Bundesrepublik wie auch uns allen als Krankenkassenversicherten und Patienten wäre dies absolut zu wünschen.-
Foto 023: “Wir brauchen ein wohnortnahes, menschenwürdiges Gesundheitswesen! Der Gesundheitsfonds muss daher gestoppt werden.”
Dr. Mark Tanner (rechts), Vorsitzender des Praxisnetz Donau-Ries, konnte während der Diskussion wachsende Zustimmung und einmütige Solidarität nicht nur zwischen der Ärzte- und Patientenvereinigung beobachten, sondern ebenso Befürwortung vonseiten der Krankenkassen, Politik und Medien wahrnehmen.
Foto 001: Blick in das Expertenforum
Ein entsprechender Artikel erscheint in der nächsten Ausgabe der WochenZeitung (Mittwoch, 23. Juli 2008).-