Brief an meinen Tod
Mir wird kalt, obwohl die Temperaturen hoch sind. Du scheinst ums Haus zu schleichen. Warum sagst Du nicht: „Ich bin da, und ich warte noch so und so viel Zeit, um Dich meine Sichel spüren zu lassen.“ Das wäre ehrlich. Aber mal ehrlich, ist Ehrlichkeit wirklich Deine Sache?
Natürlich wird es Möglichkeiten geben, Dir von der Schippe zu springen. Jedenfalls höre ich das von den Ärzten immer wieder. Es ist ihr Medi-Shop. Doch Deiner ist es, am Ende doch zu gewinnen. Soll ich mich da wirklich wehren oder doch vielleicht lieber selber in den Sonnenuntergang paddeln? Irgendwo da hinter dem Horizont steige ich dann zu Dir um. Wäre das ein Deal? Warten wir es also ab. Kennst Du das vielleicht? Ich war schon einmal an einem solchen Punkt, wo ich Deine Nähe spürte.
Horizonte
Ich schau aufs Meer ins weite Rund
und fühl mich ganz verlassen.
Sie steht vor mir die letzte Stund,
ich spür’ sie nach mir fassen.
Lebensblumen blühten lange schon,
Herbstblätter sind verweht.
Zum fernen Horizont sind sie davon
wo nichts mehr weiter geht?
Die Möwe im Wind, sie schaut nach mir,
hat mich wohl längst erkannt.
Sie ruft mir zu: „Ich bleib’ bei dir!“
führt mich nun fort vom Land.
Ich schau aufs Meer ins weite Rund
und höre die Wellen rauschen.
Will ihrem Lied zur letzten Stund’
noch eine Weile lauschen.
Nur warten und aufs Meer schauen, ist natürlich auch nicht mein Ding. Dann nutze ich Deine Nähe doch lieber dazu, mal nachzuschauen, was Du so alles treibst auf dieser Welt. Ja, Du bekommst sie alle. Aber auf welchem Weg denn?
Muss das wirklich sein, dass sich die Menschen gegenseitig die Köpfe einschlagen, nur um für Dich die Arbeit zu tun? Wie hast Du das geschafft? Liegst faul in der Ecke und schaust Dir das Treiben vergnüglich an. Das ist unsozial! Ja, ja ich kenne Deine Meinung: Niemand sei so sozial wie Du, denn alle holst Du – ohne Ausnahme. Aber da machst Du es Dir zu einfach. Der Weg muss sozial sein, nicht das Ende!
Wie konntest Du es erreichen, dass eine ganze Industrie weltweit Deine Sense schärft? Sie rüsten und rüsten und wetzen und wetzen als trieben sie mit Entsetzen Scherz. Sie machen sich die Säcke voll und treiben die Regierungen vor sich her, damit sie den Weg frei machen für ihre Machenschaften. Ist das wirklich Dein Wille, lieber Tod?
Vielleicht aber bist Du doch unschuldig. Möglicherweise treibt die Menschen anderes an, als Dir die Arbeit wegzunehmen. Vielleicht ist es ihre Gier nach Macht, um sich vergessen zu machen, dass Du sie eigentlich besitzt: die Macht über den Tod.
Doch bevor Du, lieber Tod, bei mir Einzug hältst will ich doch meinen Weg selbst gestalten und an eine himmlische Gerechtigkeit glauben, die weiter geht als Dein Reich. Die mich in ein Universum jenseits aller Fantasie und allen Glaubens aufnimmt und vielleicht ein wenig darauf schaut, was meinen Weg ausmachte und wo ich auf Macht verzichtete, um die Menschen zu lieben.
So, mein Lieber, nun kaue mal daran und bedenke, dass wir Beide einen Zeitpunkt finden, der passt.
Mit stillem Gruße
Danke Gerhard für Dein Gespräch und Nachdenken mit dem Tod. Viel Tiefe und Einfühlsamkeit in Deinen Silben. danke dafür.
Gruß Fred