Kindesmissbrauch - So erkennst du ihn und kannst Opfern helfen
Sexuelle Gewalt ist nicht die Ausnahme, sondern Alltag für tausende Kinder. Mehr als 13.000 Fälle von sexuellem Kindesmissbrauch werden pro Jahr in Deutschland angezeigt. Dazu kommen mehr als 12.000 Fälle von Kinderpornografie. Diese Zahlen gehen seit Jahren nicht zurück – und das sind nur die angezeigten Fälle. Die Dunkelziffer ist enorm. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht für Deutschland von einer Million Kinder und Jugendlicher aus, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind oder waren. Das sind ein bis zwei Schüler*innen pro Schulklasse.
Bei sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche handelt es sich also nicht um „Einzelfälle“. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass jede und jeder mindestens ein Kind kennt, das sexueller Gewalt ausgesetzt war oder ist – und das aus Scham oder Angst nicht darüber spricht.
Das kannst du tun
Diese Tipps und Strategien könnten helfen, wenn du dir Sorgen um ein Kind und seine Familie machst:
Aufmerksam sein
Halte Augen und Ohren offen, sprich mit anderen Nachbar*innen oder Menschen, die mit dem Kind, um das du dir Sorgen machst, zu tun haben.
Bleib ruhig
Denk zuallererst an das Kind und mach deinem Ärger nicht ungebremst Luft. Sprich die Person, von der du denkst, dass sie einem Kind (sexuelle) Gewalt antut nicht auf deinen Verdacht an. Das kann zu einer Eskalation zulasten des Kindes führen. Das Kind muss geschützt sein, bevor eine verdächtigte Person davon erfährt. Sonst besteht das hohe Risiko, dass er oder sie das Kind unter Druck setzt und damit verhindert, dass es mit jemandem spricht. Das gilt leider auch für Menschen aus der eigenen Familie.
Lass dich beraten
Wenn du unsicher bist, ruf eine Beratungsstelle an und lass dich darüber beraten, was du tun sollst – kostenfrei und auf Wunsch anonym. Eine solche Beratungsstelle ist das Hilfetelefon sexueller Missbrauch (0800 22 55 530), das Montags, Mittwochs und Freitags von 9 bis 14 Uhr und Dienstags und Donnerstags von 15 bis 20 Uhr erreichbar ist.
Jugendamt und Polizei
Nimm Kontakt zum örtlichen Jugendamt auf, wenn du befürchtest, dass ein Kind Opfer von (sexueller) Gewalt ist. Informationen zur Arbeit der Jugendämter findest du hier: unterstuetzung-die-ankommt.de Es gibt auch eine Suchfunktion, mit der du ein Jugendamt in Ihrer Nähe finden kannst.
Ruf die Polizei, wenn du glaubst, dass ein Kind in Lebensgefahr schwebt.
Versuche, Streit zu unterbrechen
Wenn du als Nachbar*in einen Streit nebenan mitbekommst oder Lärm hörst, der nach Gewalt klingt, könntest du versuchen, den Streit zu unterbrechen. Aber gefährde dich nicht selbst, indem du zu schlichten versuchst. Klingel an der Tür und bitte beispielsweise um etwas Salz oder Milch. Häufig reicht das schon. So wird klar, dass jemand die Situation bemerkt und dass noch soziale Kontrolle da ist.
Halte Kontakt
Wenn du von Freund*innen oder Bekannten weißt, dass es familiäre Probleme gibt, könntest du versuchen, den Kontakt zu halten, telefonisch, um rauszuhören, wie die Situation ist.
Mach auch andere auf Hilfsangebote aufmerksam
Drucke Flyer oder Plakate aus und hänge sie im Hausflur auf. Oder in deiner Praxis, im Supermarkt, in der Drogerie oder Apotheke. Du kannst auch Nachbar*innen, bei denen du die Vermutung hast, dass es dort familiäre Probleme gibt, einen Flyer in die Hand drücken, mit der Ausrede: „Ich habe von denen heute so viele bekommen. Ich gebe dir auch mal einen.“
So kannst du mögliche Anzeichen von (sexuellen) Gewalterfahrungen bei Kindern und Jugendlichen erkennen:
Signale, die zweifelsfrei auf (sexuelle) Gewalt hindeuten, gibt es nicht. Betroffene reagieren sehr unterschiedlich auf so eine belastende Erfahrung. Es gibt betroffene Kinder, die sich aus der realen Welt weitgehend verabschieden und kaum mehr zugänglich sind. Dann gibt es Kinder, die austeilen und anderen wehtun, um ihre Ohnmachtserfahrung auszugleichen. Manche lassen in ihren Leistungen nach, andere steigern sie auffällig, weil sie wenigstens einen Lebensbereich ohne Probleme haben wollen.
Worauf soll ich achten?
Wenn Kinder sich plötzlich oder auch über einen gewissen Zeitraum hinweg verändern und sich völlig anders verhalten als sonst, solltest du darüber nicht einfach hinwegsehen.
Oder wenn du beispielsweise neuerdings Aggressionen beobachtest, oder Müdigkeit bis hin zu Schlafstörungen. Falls du bemerkst, dass Kinder sich selbst verletzen, plötzlich zunehmen oder abmagern. Wenn Kinder über Bauch- oder Kopfschmerzen klagen, für die es keine medizinische Erklärung gibt. Wenn Kinder über ein altersuntypisches Wissen über Sexualpraktiken verfügen oder du beobachtest, dass sie sich sexuell übergriffig gegenüber Gleichaltrigen verhalten, dann ist es wichtig, dass du das Kind darauf ansprichst, dass du die Veränderung bemerkt hast und dir Sorgen machst.
Mutmaßen hilft keinem – Nachfragen schon!
Alle diese Anzeichen können selbstverständlich auch andere Ursachen haben. Wichtig ist, dass (sexuelle) Gewalt überhaupt als Ursache in Betracht gezogen wird, damit Kinder eine Chance haben, wahrgenommen zu werden und Hilfe zu erhalten.
Gibt es Kinder, die besonders in Gefahr sind?
Jungen bekommen leider weniger schnell Hilfe, wenn sie auffällig werden. Aggressionen und ähnliche Verhaltensauffälligkeiten werden häufiger damit begründet, dass „Jungen nun mal so seien“.
Ähnlich verhält es sich bei Kindern mit Behinderungen. Auch hier dauert es oft länger, bis (sexuelle) Gewalterfahrungen als Ursache in Betracht gezogen werden – obwohl diese Kinder leider häufiger betroffen sind als Kinder ohne Behinderung.
Hinterfrage extreme Veränderungen bei allen Kindern.
Haben Kinder, die sexueller Gewalt ausgesetzt sind, erkennbare Verletzungen?
Es gibt leider keine Symptome, die eindeutig auf sexuellen Missbrauch hinweisen. Auch körperliche Verletzungen sind in den meisten Fällen nicht vorhanden oder nicht eindeutig auf sexuellen Missbrauch zurückzuführen. Nur in sehr schweren Fällen entstehen Verletzungen im Genital- oder Analbereich. Falls du solche bei deinem oder einem anderen Kind bemerkst, wende dich umgehend an eine Fachberatungsstelle (bspw. das Hilfetelefon Sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530).
So kannst du es schaffen, dass ein Kind dir erzählt, was passiert ist
Nur wenige betroffene Kinder schaffen es aus eigener Initiative, jemandem von den Missbrauchserfahrungen zu berichten. Meist werden sie von Täter*innen stark unter Druck gesetzt, sie schämen sich oder geben sich selbst eine (Mit-)Schuld. Erschwerend kommt hinzu, dass Täter und Täterinnen in der Mehrheit aus dem sozialen Umfeld des Kindes kommen, die Kinder ihnen also vertrauen und sie vielleicht sogar mögen. Verlasse dich also nicht darauf, dass betroffene Kinder sich dir einfach so anvertrauen werden.
Wichtig ist: Du musst öfter mit dem Kind sprechen.
Glaube nicht, dass du einmal sagst: „Ich mach mir Sorgen um dich.“ und dann erzählt das Kind. So ist es nicht.
Nimm Andeutungen und Erzählungen ernst!
Selbst wenn diese nur sehr vage ausfallen. Viele Kinder tasten sich vor, machen Andeutungen, um zu sehen, wie der Erwachsene reagiert. Gerade jüngeren Kindern ist es nicht möglich, das Geschehene in Worte zu fassen, die Erwachsene richtig verstehen. Auch Gleichaltrige sind beliebte Gesprächspartner*innen, denn Kinder gehen zu den Menschen, denen sie vertrauen oder die ihnen vom Alter her nahe sind. Ob der- oder diejenige sich auskennt, darüber machen sie sich keine Gedanken.
Höre also auch jenen Kindern zu, die Andeutungen oder Erzählungen von anderen weitergeben.
Wie soll ich mit Kindern sprechen, wenn ich einen Verdacht habe?
Vermittle dem Kind das Gefühl, dass es wichtig und wertvoll ist. Es reicht nicht zu sagen: „Du, ich merke, dass es dir anscheinend nicht gut geht. Wenn was ist, kannst du jederzeit kommen.“
Baue Brücken:
„Ich mach mir ein bisschen Sorgen. Magst du mir mal erzählen, ob du Kummer hast?“
„Ich weiß nicht, was mit dir ist, aber ich will, dass du weißt, dass mich das bewegt.“
Bleibe behutsam, gib nicht auf, sprich das Kind mehrmals an. Zeige, dass du belastbar bist, dass du dich mit schwierigen Themen auskennst, und dass das Kind dir vertrauen kann:
“Ich weiß noch nicht, worum es geht, deshalb kann ich dir nicht versprechen, dass ich niemandem etwas sage. Aber ich verspreche dir: Ich werde nichts hinter deinem Rücken tun.”
Und: Sei sicher, dass du auch wirklich hören möchtest, was das Kind erzählt. Wenn du dich vor dem fürchten, was rauskommen könnte, führe das Gespräch nicht. Suche professionelle Hilfe. Beispielsweise bei einer Fachberatungsstelle (Adressen auch in deiner Nähe findest du hier: www.hilfeportal-missbrauch.de)
Spätfolgen von Kindesmissbrauch
Bei über 60 % der Betroffenen von Kindesmissbrauch löst solch ein Ereignis eine traumatische Amnesie aus, sodass sie im Erwachsenenalter unter den Folgen leiden und gar nicht wissen, warum, denn sie können sich an nichts mehr erinnern. Die eigenenen Leiden und psychischen Störungen werden dann meist nicht mit diesem perfiden Verbrechen in Verbindung gebracht. Und dass die eigenen Eltern die Täter*innen waren, wird erst recht nicht in Betracht gezogen.
Zu den möglichen Symptomen zählen Depressionen, Burnout, Selbstmordgedanken, Selbsthass, Sucht und chronische Schmerzen. Wenn du unter einem dieser Symtome leidest und die Ursache nicht kennst, könntest du von Kindesmissbrauch betroffen gewesen sein und wir empfehlen dir die folgenden Ratgeber, um dir zu helfen
- Subtiler & vergessener sexueller Missbrauch durch Mama und Papa gehüllt in die Maske der Liebe - Tabou B.B. Braun
- Sündige & geheime Familiensexualität - Dantse Dantse
Bürgerreporter:in:Dantse Dantse aus Darmstadt |
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