Exkursion ans Meer: Burgwaldschüler erkunden einzigartige Wattenlandschaft
Frankenberger Schüler mitten im Watt - eine Reportage...
Sehr weit draußen im Watt bei Ebbe: Immer wieder schauen sich die Mädchen um, blicken dorthin, wo sie vor wenigen Minuten noch gestanden hatten.
Nein, Angst ist es nicht direkt, die sie haben, „Furcht auch nicht gerade“.
Aber doch ein gehöriger Respekt vor der Macht des Wassers macht sich breit.-
hier in der riesigen Senke des Meeresbodens sechs Kilometer weit draußen im Watt direkt hinter dem sehr breiten Priel. Die Fläche ist von Muscheln nur so übersät...
„Wenn die Flut beginnt, läuft diese Fläche zuerst voll!“ Dieser Satz lässt einige schon ein wenig zusammenzucken, denn um 10:51 Uhr fängt es hier heute an, das immer wieder faszinierende Naturschauspiel der Gezeiten.
Und jetzt ist es bereits 10.30 – also noch knapp zwanzig Minuten...
Die Nationalparkkennerin Anja des Niedersächsischen Wattenmeerparks weiß das alles ganz genau, denn seit sieben Jahren geht sie diese Strecke fast hundert Mal pro Saison mit Urlaubern, Biologen, Vereinen - oder eben Schulkindern. So auch an diesem Tag.
Seit zwei Stunden sind sie schon unterwegs, die 39 Mädchen und Jungen der Frankenberger Burgwaldschule. Zur vorgelagerten Insel Neuwerk (die gehört zur Stadt Hamburg) möchten sie, nein: müssen sie alle noch kommen.
Schon um neun Uhr ging es los am Strand von Cuxhaven-Sahlenburg.
„Allein würden wir die Route hier gar nicht finden, denn es sieht ja fast überall ähnlich aus“, meint Noah, der mit seinen nassen und von Schlamm gezeichneten Turnschuhen munter weitermarschiert.
Dort, wo sich die Elbe auf einer Breite von über elf Kilometern in die Nordsee ergießt, beginnt der Priel, der für Wattwanderer so gefährliche „Fluss“ ohne wirkliches Ende und scheinbar ohne Anfang, falls die Flut plötzlich einsetzt.
„Fünf Meter höher steht das Wasser hier bei Flut, bei starkem Wellengang und Druck aus dem Nordwesten von England her sind`s sogar über sieben Meter“, weiß Anja Kramer zu berichten.
Aber zum Glück haben die Realschüler mit ihr eine sehr kundige Führerin dabei.
Sie kennt sich aus und geht sicheren Schrittes voran, gerade so, als stünden überall Wegweiser in der allerdings nur scheinbaren Einöde.
Es gibt Rettungsbarken, auf die man sich flüchten könnte, falls man sich verirrt in der baumlosen Weite. Das Problem ist nur: Mehr als sieben Menschen passen nicht auf so eine Barke. Und sechs dieser Barken weit draußen gibt es nur auf einer Fläche von vielen Quadratkilometern, ausgestattet mit Leuchtraketen und Rettungswesten.
Anja Kramer begleitet die muntere Gruppe. Es sind Siebtklässler, die sich für den Wahlpflichtkurs Naturwissenschaften entschieden haben und sich seit Schuljahresbeginn mit dem Thema „Wasser“ in allen Facetten beschäftigen.
In einer Mineralwasserfirma in Bad Vilbel sind sie bereits gewesen, im Zoo Frankfurt, auch im Hochbehälter der Stadt Frankenberg und knietief in Bächen, um dort nach Bachflohkrebsen oder Fliegenlarven zu suchen.
Bald geht´s noch zur Kläranlage und an den Edersee
Und jetzt sind sie alle hier draußen, auf Umweltexkursion.
Und noch knapp vier Kilometer von der Küste entfernt.
Immer wieder hält Anja, die ehemalige Stewardess, an, zeigt auf eine Stelle am Boden und gibt inmitten einer kolossalen Ansiedlung von Sandklaffmuscheln und sich eben erst gehäuteter Krabben spannende Erklärungen zum Leben der Muschelart, die nach der Kinderzeit immer an einem Fleck in dreißig Zentimeter Tiefe verweilen muss. „Die Herzmuschel jedoch kann sich schnell wieder verbuddeln, denn sie hat einen kräftigen Grabefuß!“ Die Miesmuschel hingegen hält sich mit Eiweißfäden an ihren Artgenossen fest, jedoch immer auf dem Wattboden.
Nicht ohne Probleme ist es, hier unverwundet beim „Barfußgang“ durchzukommen.
Deshalb sollten unbedingt alte Turnschuhe und Strümpfe angezogen werden. „So vermeidet ihr schmerzende Schnitte in den Fußsohlen!“
Darauf hatten die für eine Woche mit den jungen Naturwissenschaftlern der Klassen 7a bis 7f ans Meer gereiste Biolehrerin Carmen Weimer, Praktikantin Svenja Schmidt und Hans-Friedrich Kubat alle hingewiesen.
Aber auch Gummistiefel seien ungeeignet, denn diese laufen beim Waten in den tiefen Prielen von oben mit Wasser voll - und die Menschen sich anschließend Blasen...
Das, was beim ersten Hinsehen wie eine leblose, trostlose Weite aussieht, entpuppt sich immer mehr als ein Lebensraum mit einer ungeheuren Fülle an kleinen und großen Arten.
Sicher, die bedeutendsten Großtiere sind hier die Seehunde. „Da hinten auf den emporragenden Sandbänken liegen sie oft und sonnen sich!“
Anja weist auf höhere Punkte in etwa 200 Metern Entfernung hin.
Große Schwärme von Gänsen ziehen gerade über die 41 Köpfe hinweg zu den ausgedehnten Salzwiesen der Insel, drei Möwenarten suchen schreiend nach Fischen, Muscheln und Krabben.
Andernorts stochern Austernfischer und andere Watt- und Watvögel im Schlick, der allerlei Leckerbissen während der Ebbezeit beherbergt.
Kaum ein anderer Ort weist eine so hohe Dichte an Individuen auf wie das Watt, das sich von Frankreich über Belgien, Holland und Deutschland bis nach Dänemark erstreckt – fast 400 Kilometer lang.
Und eine Art fällt hier jenseits der Priel ganz besonders auf neben Miesmuscheln, Herzmuscheln und Meeresschnecken...
Es ist die riesige Pazifische-Auster, die seit einigen Jahren in der südlichen Nordsee lebt.
Von irgendwoher wurde diese bizarre Muschel eingeschleppt.
Vor Jahrzehnten schon waren die heimische Auster wohl den schlechten Umweltbedingungen zum Opfer gefallen.
Von Cuxhavener Stadtteil Sahlenburg aus starteten die Burgwaldschüler ihre täglichen Unternehmungen, waren im Hafen unterwegs, an der „Alten Liebe“, wo Auswanderer sich einst von ihren Lieben verabschiedeten, oder entdeckten an der Kugelbarke, dem Wahrzeichen an der Elbmündung, tote Seevögel mit Ringen einer Vogelwarte.
In Bremerhaven lockte der „Zoo am Meer“ ebenso wie der imposante, pulsierende Hafen, den die Mädchen und Jungen von einem Containerturm aus bestaunten.
Äußerst spannend war der Besuch des neuen „Klimahauses 8 Grad Ost“.
Entlang des achten östlichen Längengrades durchläuft der Besucher zahlreiche Länder und erlebt, ja spürt förmlich die Atmosphären dort, insbesondere aber die Klimaverhältnisse.
Und das raue Klima der unendlichen Wattweiten bekommen die Schüler jetzt auf dem 8. östlichen Längengrad direkt und unmittelbar zu spüren..
Eines wollten die eifrigen Wanderer hier natürlich überhaupt (noch) nicht:
Schwimmen fernab des Strandes im Nordseewasser...
Hinter der Gruppe, vielleicht tausend Meter zurück, hat sich das Meer die Stellen, die vor nicht langer Zeit noch mit Fußabdrücken der Jugendlichen verziert wurden, schon fast alles zurückgeholt – für einige Stunden.
Respekt, Ehrfurcht... Ja. Angst? Wohl eher nicht...
Allmählich nähert sich das herrliche Eiland, bald ist der älteste Leuchtturm der Welt zum Greifen nah...
Die Schritte werden trotzdem schneller, denn: Wer weiß, wofür es gut sein kann...
„Das ist normal so, da kommt die Eroberermentalität bei einigen durch“, lacht Anja.
Für alle Eventualitäten hätte sie ihr GPS (Nebel!), ein langes Seil, Leuchtmunition und andere Geräte zur Rettung einsetzen können. „Wir gehen da gar kein Risiko ein!“
Geschafft, mehr als elf anstrengende, aber „richtig tolle und spannende Meereskilometer“, so
Jennifer und Ina, liegen hinter den Realschülern.
Nun heißt es: Raus aus den nassen Strümpfen und Schuhen, Füße waschen, Trockenes
anziehen und ab zur Inselerkundung. Vier Stunden bleiben bis zum Ablegen des Schiffes MS Flipper... „Neuwerk, wie kommen...!“
Müllsammelaktion an der Elbmündung
Dort, wo die imposante Elbe sich mit dem salzigen Meerwasser vermischt, steht die Kugelbarke, ein Turm, der Seeleuten auf dieser gigantischen, vielbefahrenen Route den Weg raus ins Meer oder flussaufwärts zur Hansestadt Hamburg weist.
Große Mengen Müll werden hier immer wieder angespült, bedrohen das Leben nicht nur der Seevögel, sondern auch der Meeressäuger und der Fische.
Am ausgedehnten Strand bis hinein ins Watt strömten die Realschüler aus und sammelten Müll ein – elf volle Säcke waren das Resultat. „Wer weiß, woher das alles angespült wurde?“, grübeln Oliver und Rouven. „Vielleicht haben wir ja einigen Tieren das Leben gerettet!“, hoffen David, Lukas und Jakob...
Sehr viel durften sie alle an der Nordsee entdecken und erleben – sahen und erfuhren aber auch an mehreren Orten, wie empfindlich und verletzlich dieses wunderbare Ökosystem ist.
Jedoch: Ausgiebig geschwommen wird dann doch noch – im wunderbaren Duhner Meerwasserwellenbad „ahoi“.
Vor Neuwerk wär es ja auch nicht so passend gewesen...
FOTOS
1.Die jungen Naturwissenschaftler der Burgwaldschule zusammen mit ihren Lehrerinnen Carmen Weimer, Svenja Schmidt und Lehrer Hans-Friedrich Kubat:
An der breiten Elbmündung sammeln die Realschüler am Wahrzeichen „Kugelbake“ viel Plastikmüll ein.
2.Während der Wattexkursion (mehrere Fotos)
Anja erklärt die Fauna des einzigartigen Lebensraumes
3.Aaron und Rouven untersuchen eingeschleppte Pazifische Austern
4.Einige Schüler an einer Abbruchkante weit draußen im Watt vor Neuwerk
und weitere...