Windmühlenflügel – Radwindmühle in Eckartsberga
Im Rahmen des Deutschen Mühlentages erschien ein Text über die Holländermühle in Eckartsberga. Unter anderem wurde über das ungewöhnliche Flügelsystem berichtet, das diese Mühle nach einem Umbau statt des üblichen Flügelkreuzes ein Windrad besitzt (siehe Berichte und Kommentare unter „Eckartsberga“ auf „myHeimat“).
Wer einmal auf Kreta oder auf Mallorca war (oder im Mühlenmuseum Gifhorn!), fühlt sich in Eckartsberga an den Anblick jener typischen mittelmeerischen Mühlen mit ihren segelbespannten Windrädern erinnert, wie auch etliche LeserInnen schrieben und wie es auf der Homepage der Mühle selbst steht. Dass es da einen Zusammenhang geben könnte, ist eine naheliegende Vermutung. Diese ist aber nicht zutreffend.
Blicken wir zurück in die Geschichte: Friedrich Brbarossa erließ 1158 eine gesetzliche Vorschrift, den „Mühlenbann“, der die Bauern zwang, ihr Getreide bei einer bestimmten Mühle und nur dort mahlen zu lassen. Die Zahl der Mühlen wurde auf Grund des „Mühlenregals“ (Recht zur Errichtung von Mühlen) ebenfalls streng kontrolliert. Damit waren zwei Regeln geschaffen, die neben anderen dafür sorgten, dass die Abgaben an den Feudalherren stimmten, dass es keine unnötige Konkurrenz zwischen den Mühlen gab, dass die Müller ein bescheidenes Auskommen hatten und die Versorgung der Bevölkerung mit Mehl geregelt war. Das sorgte gleichzeitig dafür, dass die technische Weiterentwicklung im Mühlenbereich relativ gering blieb. Dieses änderte sich erst, als Napoleon durch seine Eroberungen dazu beitrug, dass die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland voran ging und - beginnend mit der „Preußischen Gewerbefreiheit“ 1810 - die alten feudalen wirtschaftlichen Zwangsregelungen aufgehoben wurden. Es gab keinen Mühlenzwang mehr, die Mühlenpächter konnten jetzt private Kleinunternehmer werden – wenn sie Geld hatten. Gleichzeitig erblühte bei uns ab 1830 die Industrielle Revolution. Kurz gesagt, es entwickelten sich noch in bescheidenem Rahmen kapitalistische Verhältnisse, wie wir sie heute in globaler Form kennen.
Im Bereich der Mühlentechnik waren nach der Gewerbefreiheit plötzlich technische Weiterentwicklungen gefragt, die im Wirtschaftsprozess Vorteile erbrachten. So ist es nicht erstaunlich, dass es hier einen deutlichen Aufschwung gab, z.B. im Bereich der Flügeltechnik der Mühlen. Die beiden Jalousieflügel, die z.B. die Wettmarer Bockwindmühle nach ihrer Restaurierung erhielt, sind eine Erfindung aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie haben bewegliche Metallklappen auf der Anströmfläche des Flügels, die vom Müller über ein Gestänge zentral gesteuert werden können und nicht wie bei den beiden Segelflügeln einzeln per Hand auf- und abgerollt („auf- und abgesegelt“) und befestigt werden müssen.
Das Windrad in Eckartsberga, das einem normalen Flügelkreuz nach dem Umbau folgte, hat sein Vorbild nicht im Mittelmeerraum, sondern in Amerika. Wir kennen alle die kleinen Windräder, die im Western in der ausgedörrten Landschaft erbärmlich am Brunnen der verlassenen Farm quietschen. -
Zur Technik unseres Eckartsbergaer Modells heißt es in der Fachzeitschrift „Polytechnisches Journal“, das 1820 vom Augsburger Fabrikanten und Chemiker Johann Gottfried Dingler begründet wurde und 111 Jahre lang erschien (!):
„Es ist längst bekannt, daß der Wind die billigste Betriebskraft bietet, und das Bestreben, zweckentsprechende Maschinen zu construiren, welche die Kraft des Windes nutzbar machen, ist ein sehr altes. Leider zeigt sich, daß auf diesem Gebiete nur sehr wenig Fortschritte gemacht worden sind, und daß das gewöhnliche vierflügelige Windrad nach wie vor seine seit alten Zeiten eingenommene Stelle auch bis zur Gegenwart behauptet hat, und doch ist nicht zu läugnen, daß das alte vierflügelige Windrad verbesserungsfähig und verbesserungsbedürftig ist. Sehen wir uns ein altes Windrad mit einer Ruthenlänge von 20m und mehr an, so finden wir, daß dasselbe im Verhältniß zu seiner Größe äußerst wenig Flächeninhalt bietet; wir finden ferner, daß es in Folge seiner bedeutenden Verhältnisse ungewöhnlich stark gebaut sein muß, und daß in Folge dessen seine Einstellung gegen den Wind (Steuerung) und Regulirung der Geschwindigkeit (Ein- und Anschüren, selbstthätiges Auf- und Absegeln) mit verhältnißmäßigem Kraftverlust und Umständlichkeit verknüpft ist. Diese Uebelstände, welche unläugbar sind, haben zu einer neuen Windradconstruction geführt, welche in den Vereinigten Staaten von Nordamerika zuerst gebaut und dort vielfach in Anwendung gebracht, wohl mit Unrecht den Namen ""amerikanische Windturbine"" führt. Dieses Windrad ist derart construirt, daß seine Flügelfläche einen vollständigen Kreis bildet, dessen inneres Drittel ausgebrochen ist. Es bietet in Folge dessen bei kleinerem Durchmesser eine viel größere Windfangfläche wie unsere alten Windräder. Ferner ist es auf die einfachste Weise mit Selbststeuerung und außerdem auch mit Selbstregulirung versehen, so daß es in dieser Hinsicht den alten Windrädern unzweifelhaft sehr stark überlegen ist.“ (1877, Bd. 225).
Die Autoren Rüdinger und Oppermann verweisen in ihrem Buch „Kleine Mühlenkunde“ (Berlin 2010,1. Aufl. , S. 94) auf die letzte existierende deutsche Radwindmühle in Eckartsberga und zeigen auf einem alten Foto auch die Bockwindmühle Hoheneggelsen (bei Hildesheim), die Ende des 19. Jh. ebenfalls umgebaut wurde, aber schon lange nicht mehr besteht.
In der Realität war am Ende des 19. Jh. für die traditionellen Windmühlen inzwischen der Zenith überschritten, ihre Zahl ging kontinuierlich zurück (leider!) und die Industriemühlen mit ihrer neuen Müllereimaschinerie und ihren leistungsfähigeren Antrieben wie Dampfmaschine, Verbrennungsmotor und später Elektromotor traten den Siegeszug an. Windräder statt Flügelkreuze konnten daran nichts mehr ändern.
Bockwindmühle Wettmar:
430 Jahre Windkraftnutzung / 700 Jahre Mühlentechnik
Bürgerreporter:in:Reinhard Tegtmeier-Blanck aus Wedemark |
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