Kinder oder Erwachsene: Wer sind die besseren Zuhörer, Herr O'Farrell?
Michael O’Farrell ist Burgdorfs berühmter Märchenerzähler. Geboren 1939 in London, war er bis 2003 bei der Norddeutschen Landesbank als Länderreferent tätig. Seit 2003 ist er Mitglied der Europäischen Märchengesellschaft (EMG), seit 2008 gehört er – nach bestandener Prüfung – zum Kreis anerkannten Märchenerzähler in Deutschland. O’Farrell erzählt Märchen und Geschichten aus aller Welt für Kinder und Erwachsene.
Schreiben Sie eigentlich auch selbst Märchen?
Nein, aber ich bearbeite Volks- und Kunstmärchen, damit sie für mich erzählbar werden. Bei den Märchen der Brüder Grimm ist es natürlich etwas anderes. In diesem Fall versuche ich, sie wortgetreu (so wie sie in der Ausgabe „letzter Hand“ von 1857 aufgeschrieben wurden) wiederzugeben. Dies ist auch der Wunsch der Europäischen Märchengesellschaft (EMG), damit die schöne grimmsche Märchensprache lebendig bleibt.
Wie wird man Märchenerzähler? Gibt es Grundvoraussetzungen, die man erfüllen muss?
Im Grunde kann jeder Märchenerzähler werden. Eigentlich müsste man nur ein paar Geschichten auswendig lernen und diese dann vor anderen Leuten wiedergeben. ABER – will man sein Publikum faszinieren und fesseln, gehört doch einiges mehr dazu. Die EMG mit Sitz in Rheine zum Beispiel bietet etwa 50 bis 60 Märchenseminare im Jahr an. Diese umfassen Grundkurse in Erzählen, Intensivseminare für Fortgeschrittene bis hin zu Seminaren über Märchenkunde. Wichtig ist, Freude am Erzählen zu haben, sonst kann man bei anderen keine Freude erwecken! Ich bin übrigens seit 2003 Mitglied der EMG und wurde, nachdem ich an vielen Seminaren teilnahm, im März 2008 in die Gilde der Märchenerzähler dieser Gesellschaft aufgenommen.
Wer sind denn die besseren Zuhörer: Kinder oder Erwachsene?
Dies ist eine sehr schwierige Frage! Denn alle Menschen (ob groß, ob klein) sind so verschieden. Wenn Kinder oder Erwachsene freiwillig zu einer Märchenstunde kommen, kann ich sicher sein, dass sie gut zuhören werden. Wenn ich aber zum Beispiel als Überraschungsgast zu einem – sagen wir – runden Geburtstag oder Kindergeburtstag eingeladen bin, so ist keinesfalls gesagt, dass alle Gäste Interesse an Märchen haben – und das kann zu Unruhe im Publikum führen und stört die Atmosphäre.
Sind Märchen für Kinder heute überhaupt noch interessant?
Ich denke schon! Von den 20 bis 30 Auftritten, die ich im Jahr absolviere, ist etwa ein Drittel für Kinder im Alter von drei bis zwölf Jahren. Da sind die Kinder größtenteils sehr aufmerksam und kennen sich oft erstaunlich gut mit Märchen aus.
Märchen sind oft grausam. Wenn ein Kind Sie fragt, wie erklären Sie ihm das?
Natürlich gibt es grausame Szenen in manchen, aber längst nicht allen Märchen. Man darf nicht vergessen, dass Kinder im Prinzip nur in schwarz/weiß, gut/böse denken. Es gibt für sie noch keine Abstufungen. Da soll das Gute immer gewinnen und das Böse bestraft werden. Deswegen sind sie zufrieden, wenn die Hexe in den Ofen gestoßen wird, zerplatzt oder anderweitig bestraft wird. Es sind ja Erwachsene und nicht Kinder, die glauben, das Märchen grausam sind! Es ist auch zu bedenken, dass man in den Volksmärchen nie Blut sieht und die Protagonisten auch keinen Schmerz leiden. Das gute Schwesterlein in „Die sieben Raben“ z. B. schnitt sich ein Fingerchen ab, steckte es in das Tor und schloss glücklich auf. So konnte das Mädchen in den Glasberg gelangen und seine Brüder befreien. Es gab keine Andeutung von Blut oder Schmerz.
Bald ist Weihnachten. Welche drei Märchen würden Sie Familien mit kleinen Kindern empfehlen?
Ich erzähle Kindern gerne Märchen, in denen der Kleine über den ungerechten Großen siegt. Zum Beispiel „Der Junge und der Riese“ aus Polen, „Jaaske mit der Flöte“ aus Belgien und „Der kleine Däumling“ aus Finnland. Aber ich finde auch „Der goldene Schlüssel“ und „Der süße Brei“ von den Brüdern Grimm sowie „Die Gans und der Fuchs“ aus Pommern/Polen sehr geeignet für kleinere Kinder. Sie sind kurz und werden von Kindern gern gehört.
Gibt es eine Kulisse, vor der Sie gern einmal Märchen erzählen würden? Wie müsste so ein Raum aussehen?
Ja, selbstverständlich! Z. B. Schlösser, Bauernhaustennen, Räumlichkeiten mit einer offenen Feuerstelle etc. Da die Märchen/Geschichten im Vordergrund stehen sollen, soll die Kulisse möglichst schlicht sein. Ich habe im Februar 2009 in unserem Schloss in Burgdorf – musikalisch begleitet von Klavier und Geige – vor etwa 150 Zuhörer erzählen dürfen. Die Atmosphäre war fantastisch!
Wo kann man Sie in diesem Winter noch erzählen hören?
Leider kommen Sie mit dieser Frage sehr spät. Zwar habe ich noch einige Auftritte in den kommenden Wochen, aber – mit Ausnahme des Weihnachtsmarkts – sind sie allesamt für geschlossene Gruppen. Z.B. erzähle ich in Otze am 9. Dezember für die Dorf AG, und am 13. Dezember für die Burgdorfer Gruppe des Deutschen Roten Kreuzes im hiesigen Veranstaltungszentrum.
Mal abgesehen von den Märchen: Was macht Burgdorf lebenswert?
Wir leben seit 30 Jahren in Burgdorf und fühlen uns sehr wohl hier. Das schulische, kulturelle und sportliche Angebot ist sehr gut. Wir können auch fast alles kaufen, was wir brauchen, und empfinden es als sehr angenehm, in den Geschäften mit Namen angesprochen zu werden – Burgdorf strahlt eine gewisse Gemütlichkeit aus. Es ist glücklicherweise keine Großstadt
Und was sollte in Burgdorf besser werden?
Ich würde es begrüßen, wenn abends die Straßen außerhalb der Innenstadt besser beleuchtet wären – die Gefahr, in einen Hundehaufen zu treten, ist leider ziemlich groß. Auch ärgere ich mich über die „Geisterbusse“, die in beiden Richtungen der Mönkeburgstraße fahren. Wenn überhaupt, so sind maximal vier oder fünf Passagiere in den Bussen.
myheimat-Team:Annika Kamissek aus Bad Münder am Deister |
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