Es war einmal...Die Sechste.
April 2006. Weißrussland
"Wir haben da eine Anfrage der Deutschen Botschaft aus Minsk", verkündete unser Vorsitzender an jenem Abend im April 2006. Eines unserer Chormitglieder hatte durch seinen Job Verbindung nach dort und hörte, dass Weißrussland eine Festival in Bobruisk plante und Chöre oder Musikgruppen aus verschiedenen Ländern Europas sucht, verbunden mit der Anfrage, ob wir Interesse hätten. Die Zeit war knapp, die Überraschung groß. Am 22.6. sollte es los gehen bis 27.6. Wir hatten noch sechs Wochen Zeit. Auf Anhieb war Weißrussland nicht unbedingt der "Brüller" wo jeder gleich Hurra rief. Eine Menge war vorzubereiten zu organisieren. Zugfahrt (fliegen war zu teuer), Visa, gültige Pässe, was erwartet uns dort. Unzählige Gespräche mit der Deutschen Botschaft in Minsk und anderen staatliche Stellen in Minsk. Auch die relative Nähe zu Tschernobyl warf einige Fragen auf. Kurz und gut: Wir sagten ja, wobei ein Teil des Chors aus verschiedensten Gründen nicht konnte. 22 Musiker und sieben deren Frauen standen am 21.6.2006 spät abends auf dem Bahnhof Hannover und warteten auf den Fernzug Paris-Moskau. Mit leichter Verspätung (war ja auch ein Schlafwagen!) ging es dann Richtung Minsk, 13 Stunden lagen vor uns aber keiner bekam so recht die Augen zu. Die erste Spannung kam auf als kurz vor der Grenze nach Weißrussland die Fahrgestelle der Waggons auf die Schmalspur der Russen umgebaut werden musste. Wir durften die Wagen nicht verlassen, die Fahrgestelle wurden komplett gelöst, der Wagen angehoben, das Fahrgestell heraus geschoben und das Schmalspurgestell untergeschoben, ablassen des Wagens, lautes Gehämmere und nach ca. 2 Stunden konnte Fahrt weiter gehen. Ein komisches Gefühl fuhr mit, man achtete plötzlich mehr auf die Fahrgeräusche als vorher.
Gegen Mitternacht kamen wir in Minsk an, von zwei hübschen Mädchen in Landestracht empfangen und man überreichte uns ein großes rundes Brot. Eine sympathische Geste. Danach wurden wir von einem Bus übernommen und waren eine Stunde später in Bobruisk. Das Hotel lag mitten in der Stadt. Der Standard war mit den Hotels im Westen nicht vergleichbar. Überall war Planwirtschaft a'la DDR zu spüren. Doch darauf kam es uns nicht an, was alles aufwog war die Gastfreundschaft der Menschen. Egal wo wir unterwegs waren, winkten uns die Menschen zu. Sicher unsere Chor-Uniform fiel auf, was erst Bedenken unsererseits aufkommen lies, denn just in der Woche als wir dort waren feierten die Weißrussen das Ende des 2.Weltkrieges. Das Gegenteil war der Fall. Selbst Linienbusse, hupten und fuhren langsamer damit die Fahrgäste uns zu winken konnten. Zwei von unzähligen Ereignissen seien hier aber erwähnt: Unser Auftritt am Eröffnungsabend im Stadion von Bobruisk. Die Bühne mitten auf dem Platz, mit Blick zur Haupt Tribüne. Vor uns noch die Gruppen aus Russland, Lettland, der Türkei, Ukraine. Dann wurden wir angekündigt, unsere Dolmetscherin gab uns das Zeichen. Wir hatten uns hinter der Bühne aufgestellt und "marschierten dann von beiden Seiten in versetzten Reihen auf die Bühne. Schon hier, ein mehr als freundlicher Applaus. Als dann unser Chorleiter auf russisch die Menschen begrüßte und unser erstes Lied ankündigte, ein deutsches Shanty, was wiederum mit sehr freundlichem Applaus quittiert wurde. Dann kam der Moment, wo mich noch heute eine Gänsehaut befällt. Unser Chorleiter kündigte das nächste Lied an: "Wjetschernij swon" , was wir auch in russisch sangen. Der Ton war kaum angeschlagen, alle Zuschauer erhoben sich und sangen mit uns dieses Lied. So manchem von uns blieb der Ton im Halse stecken. Ein unbeschreibliches Gefühl. Tags darauf war ein Empfang beim Bürgermeister angesagt und auch dort war zu spüren wie willkommen unser Chor war. Es wurden Geschenke ausgetauscht, u.a. ein Grusswort unseres Bürgermeisters Herrn Baxmann übergeben und viele ausgepresste Kartoffeln konsumiert, dort nennt man dies auch Wodka. Die fünf Tage vergingen wie im Fluge, ich könnte ein Buch von diesem Besuch schreiben.
Das zweites besondere Ereignis:
Eines unserer Chormitglieder, selbst schon mitte 70, hatte seinen Vater im Krieg verloren. Wusste nur aus Erzählung eines zurückgekehrten Kameraden, wo sein Vater ungefähr seine letzte Ruhestätte gefunden hatte. Ein kleines Dorf ca. 50 km von Bobruisk entfernt. Er nahm sich ein Taxi und mit Hilfe unserer Dolmetscherin erklärte er dem Fahrer worum es ging. Am späten Abend kehrte er zurück. Es war ein bewegender Moment, als er uns erzählte, wie und dass er er das Grab seines Vaters gefunden hatte. Nach 60 Jahren doch noch von seinem Vater Abschied nehmen zu können, wie soll man das beschreiben.
Der letzte Tag war gekommen. Abends war im Stadion die Abschiedsfeier angesagt und direkt danach sollte es mit dem Bus nach Minsk weiter gehen. Wieder diese unbeschreibliche Begeisterung der Menschen, ein tolles Feuerwerk mit anschließendem Abschiedsmarsch an der Haupttribüne vorbei. Ohne jegliche Übertreibung, die Sicherheitskräfte hatten alle Mühe die Absperrungen zu halten.
In Minsk angekommen, freuten wir uns auf die Schlafwagen, denn die angesammelte Müdigkeit der letzten Tage machte sich bemerkbar. Lange haben wir gebraucht die Fülle von Eindrücken zu verarbeiten. Es waren unvergessliche Tage und noch eines war uns bewusst geworden während unseres Aufenthaltes: "Musik kann Brücken bauen" und wir sind stolz darauf, dass der Shantychor "Graf Luckner" aus Burgdorf einen kleinen Stein mit einfügen durfte. Doswidanje Belarus.
Bürgerreporter:in:Waldemar Kiefer aus Burgdorf |
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