Diakoniestation löst Gemeindeschwestern ab

Vor 30 Jahren wurden die Diakoniestationen im Hinterland gegründet / Vorreiter der ambulanten Pflegedienste / Seit Mitte der 1990er Jahre gibt es Konkurrenz

Gladenbach/Biedenkopf. Wie lässt sich die Versorgung alter Menschen zuhause, in ihrer gewohnten Umgebung, sicherstellen? Eine Frage, die heute genau so aktuell ist wie vor 30 Jahren. Damals, im Jahr 1978, gründeten die Kommunen im Hinterland gemeinsam mit den evangelischen Dekanaten Biedenkopf und Gladenbach die Diakoniestationen: Ambulante Pflegedienste, die an die Stelle der „Diakonissen“ und „Gemeindeschwestern“ traten und fortan die Pflege alter, kranker und bedürftiger Menschen in den Städten und Dörfern der Region übernahmen.
Im Gründungsvertrag, den die Bürgermeister mit dem jeweiligen Dekan und Vorsitzenden der Dekanatssynode unterzeichneten, heißt es in der Präambel:
„Es gilt, die Tradition christlicher Gemeindekrankenpflege unter den jeweils veränderten Bedingungen weiter zu entwickeln.“ In der Diakoniestation sind Pflege-Fachkräfte angestellt, die in einem festgelegten Versorgungsbezirk bedürftige Menschen zuhause versorgen. So gehören beispielsweise zum Gebiet der Diakoniestation Gladenbach die Kommunen Angelburg, Bad Endbach, Bischoffen, Dautphetal, Gladenbach, Mittenaar, Siegbach und Steffenberg.
Träger der Diakoniestationen sind die Dekanate, das operative Geschäft leitet ein Vorstand, der sich aus Vertretern von Kirche und Kommunen zusammensetzt. Vorstandsvorsitzender der Diakoniestation Gladenbach ist Angelburgs Bürgermeister Norbert Mai, in Biedenkopf ist es Pfarrer Stefan Peter aus Battenberg-Laisa. Beiden Vorsitzenden ist besonders wichtig, dass die Pflegekräfte in den einzelnen Dörfern und Städten nach wie vor eng verbunden sind mit den Orten, in denen sie pflegen. „Unsere regionale Ver-wurzelung und der diakonische Anspruch zeichnen uns aus“, sagt Norbert Mai.
Bis in die Mitte der 1990er Jahre waren die Diakoniestationen der einzige Anbieter von häuslicher Alten- und Krankenpflege. Mit der Einführung der privaten Pflegeversicherung wurden auch andere Träger von Pflegedienstleistungen zugelassen, so dass sich die Diakoniestationen dem Wettbewerb stellen müssen: Patienten und ihre Angehörigen können unter mehreren Anbietern auswählen. „Doch auch nach der Pflegereform war und bleibt die Kooperation mit den evangelischen Dekanaten der erklärte politische Wille“, betont Norbert Mai. „Beide Diakoniestationen haben für das Hinterland eine große Bedeutung und sind ein wichtiger Baustein der christlich-sozialen Versorgung der Menschen.“ Gleichzeitig arbeiten die Pflegedienste kontinuierlich daran, die Qualität ihrer Arbeit zu steigern.
So bekamen beide Diakoniestationen vor wenigen Wochen nach umfangreichen Prüfungen eines unabhängigen Instituts zum zweiten Mal das „Diakonie-Siegel Pflege“.
Ihren runden Geburtstag wollen die Stationen mit Klienten, Mitarbeitern und Weggefährten feiern: Die Diakoniestation Gladenbach lädt am 22. Oktober zu einem Nachmittag in das Haus des Gastes nach Gladenbach, für die Diakoniestation Biedenkopf gibt es am 21. September einen Festgottesdienst in Biedenkopf mit anschließendem Empfang.

Hintergrund: Häusliche Alten- und Krankenpflege früher und heute

Jahrhunderte lang waren Menschen, die sich nicht mehr allein helfen konnten, von ihren Familien gepflegt und versorgt worden. Mit der Industrialisierung und dem damit verbundenen Wandel der Lebensverhältnisse und Familienstrukturen mussten neue Formen gefunden werden. Die christlichen Kirchen widmeten sich diesen Aufgaben aus dem Gebot der Nächstenliebe heraus. Zu den Wesensmerkmalen der christlichen Theologie gehört die „Diakonie“ (griechisch: „Dienst“), die alle Aspekte des Dienstes am Menschen umfasst. So prägten bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts hinein die „Diakonissen“ das Bild in den Städten und Dörfern des Hinterlandes: Gläubige Frauen, die ihr Leben dem Dienst an anderen Menschen verschrieben hatten.
Mit dem Wandel der gesellschaftlichen Verhältnisse sank die Zahl der Diakonissen, an ihre Stelle traten die Gemeindeschwestern. Sie wurden von der evangelischen Kirche bezahlt, lebten im Dorf, pflegten bedürftige Menschen zuhause und waren darüber hinaus für viele Menschen noch vor dem Hausarzt Ansprechpartnerinnen für Beschwerden jeder Art. In manchen Dörfern des Hinterlandes erinnern sich die Älteren noch heute mit einem wohligen Schmunzeln an die teils legendären Gemeindeschwestern, etwa an „Schwester Minna“ in Dautphe, „Schwester Ingrid“ in Steffenberg oder „Schwester Senta“ in Gladenbach. Doch auch die Gemeindeschwestern wollten freie Tage, Urlaub und feste Arbeitszeiten haben – und so war eine neue Struktur nötig, um die häusliche Alten- und Krankenpflege flächendeckend zu sichern. So gründeten die evangelischen Dekanate Biedenkopf und Gladenbach gemeinsam mit den jeweiligen Kommunen ihres Gebietes die Diakoniestationen in Biedenkopf und in Gladenbach.

Bildunterschrift für Archivaufnahme_Schwesternhaus_Gladenbach:
Einst diente das Gebäude in der Gladenbacher Wilhelmstraße als „Schwesternhaus“, heute ist es der Sitz der Diakoniestation (Repro aus dem Buch „Archivbilder Gladenbach“: Cyriax).

Bürgerreporter:in:

Sophie Cyriax aus Biedenkopf

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