Neuguinea - Kein Schlaraffenland (Teil 1)
Das Fernsehen berichtet über Menschen, die aus den unterschiedlichsten Beweggründen heutzutage Deutschland verlassen. Wir wissen jedoch, das schon vor etwa 200 Jahren Menschen Deutschland zumeist aus wirtschaftlichen Gründen verlassen haben.
In den Mittelpunkt meines heutigen Berichts stelle ich das Leben meiner Großtante Magdalena Müller. Sie verlies vor rund 100 Jahren Deutschland, um sich in den Dienst eines missionarischen Frauenordens zu stellen und in einer ganz anderen Welt zu arbeiten.
Bevor ich jedoch mit meinem Bericht beginne, einige Vorbemerkungen:
1. Steyler Missionsschwestern - "...Die erste Oberin Helena Stollenwerk gründete mit Schwester Hendrina Stenmanns und Pater Arnold Janssen 1889 den Orden der Steyler Missionsschwestern, offiziell Dienerinnen des heiligen Geistes. Die Mutterhausprovinz ist in Steyl in den Niederlanden. Steyl ist heute ein Stadtteil von Venlo mit ca. 4.200 Einwohnern." (Auskunft Wikipedia).
2. Neuguinea - Der nordöstliche Teil der Insel gehörte von 1885 bis 1914 zum deutschen Kolonialreich (Kaiser-Wilhelms-Land). Das Gebiet wurde nach Westen vom niederländischen und nach Süden vom britischen Teil der Insel begrenzt. (Auskunft Wikipedia). Im Jahre 1896 siedelten die ersten Steyler Missionare, angeführt von Pater Eberhard Limbrock, bei Aitape an der Nordwestküste von Deutsch-Neuguinea an. Im Mittelpunkt seiner Interessen stand die wirtschaftliche Entwicklung von Land und Leuten. Ackerbau, Bootsbau, Pflanzungen, Sägemühlen und Viehzucht lagen ihm vor allem am Herzen ... (Auszug aus "Deutsch-Neuguinea war kein Schlaraffenland" von Rolf Kellenhusen).
Elternhaus, Schule und Zeit der Entscheidung
Meine Großtante Magdalena Müller wurde am 07. September 1884 in Biebergemünd-Lanzingen als Tochter der Eheleute Kilian und Agnes Müller, geb. Wenzel, geboren. Sie wuchs gemeinsam mit zwei Schwestern und zwei Brüdern auf. Ihr Vater war Landwirt und Leinweber.
Am 06. April 1891 wurde sie in die Volksschule zu Roßbach aufgenommen. Mit einem sehr guten Zeugnis verlies sie zu Ostern 1899 die Schule, um ihren Eltern bei der Haus- und Feldarbeit zu helfen.
Am 14. Oktober 1904 schreibt meine Großtante an die Oberin der Steyler Mission: "...So bin ich denn fest entschlossen, den Beruf als Missionsschwester zu ergreifen. Was die Gesundheit anbetrifft, so ist dieselbe eine beständig gute. Ich kann sagen, ich bin kerngesund. Als achtjähriges Kind litt ich 3 Wochen an Lungenentzündung, sonst war ich noch nie krank. Nach Entlassung aus der Volksschule habe ich das elterliche Haus noch nicht verlassen, sondern half meinen Eltern in den Feld- und häuslichen Arbeiten... O, wie würde ich mich freuen, wenn ich den Aufnahmebrief erhielt, denn dann wäre ich ja angelangt an dem Ziele meiner Wünsche, ..."
Auf das sehnlichst erwartete positive Schreiben der Oberin aus Steyl, schrieb meine Großtante am 29.4.1905 folgendes: "... Ich will Ihnen kurz mitteilen, daß ich meiner Heimat auf immer "Lebe wohl" sagen will. Ich werde an dem von Ihnen bestimmten Tage dort in das liebe Missionsschwesternhaus eintreten. ..."
Am 27. Mai 1905 trat Magdalena im Mutterhaus als Postulantin ein. Ihr Schwesternname wurde "Imelda" und nach ihrer ersten Profeß, am 26. Mai 1907, begann ihre Ausbildung zur Missionslehrerin.
Die ersten Jahre in Neuguinea
Drei Jahre später, am 16. Mai 1910, begann ihre Missionsarbeit in Neuguinea. Ihre ersten beiden Jahre verbrachte sie in der Hauptstation "St. Michael" in Alexishafen. Diese Station besteht aus: einer Schwesternstation, bischöflichen Residenz, Wohnungen, Katechistenschule, Werkstätten, Maschinenräumen, Mädchenschule, Missionskrankenhaus, Lagerräumen, Räume für die Halbweißen und Eingeborenen und die ausgedehnten Missionspflanzungen. Dies alles wurde überragt von der prächtigen Kathedrale. Die Missionsvikariate der Steyler Missionsgesellschaft befanden sich an der Nordküste Neuguineas. Die erste Station meiner Großtante war die an der Küste liegende Schwesternstation Monumbo (von 1912 bis 1923). Hier wurde sie auch mit den Schwierigkeiten der Missionsarbeit konfrontiert. Besonders beeinträchtigte die Arbeit der Schwestern die ablehnende Haltung der Eingeborenen. Ihr nächster Einsatzort war die Vulkaninsel Manam, wo wirkliche Pionierarbeit auf die Missionarinnen wartete. Schwester Imelda kamen die bei der Haus- und Feldarbeit im Elternhaus erworbenen Kenntnisse hier besonders zugute.
Die Insel selbst wurde von den Kriegshandlungen des 1. Weltkrieges nicht berührt, jedoch erfahren wir aus einem ihrer Briefe, das selbst Ende der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts die "Tore Neuguineas" für deutsche Schwestern noch verschlossen waren.
Schwester Imelda hat immer den Kontakt zu ihrer Familie in der Heimat gewahrt. Dies belegen Briefe an ihre Geschwister und deren Familien. Meine Mutter hat sieben Briefe aufbewahrt, aus der Zeit von 1927 bis etwa 1935. Anhand dieser Briefe versuche ich das Leben meiner Großtante zu skizzieren.
Im Jahre 1925 wurde Schwester Imelda zur Regionaloberin gewählt und kehrte wieder in die Hauptstation nach Alexishafen zurück.
In dem Brief vom 16.1.1927 schreibt Schwester Imelda:
"... Am 14. Mai erhielt ich den letzten Brief aus der Heimat. Er brachte mir Nachricht über den Heimgang unseres guten Vaters. ... Euer langes Schweigen kommt mir etwas rätselhaft vor. Wie geht es denn nun eigentlich ? ... Gewiß ihr habt eure Familien und in den Sommer-Monaten viel Arbeit. ... Im November haben wir wieder 3 Schwestern aus Nord-Amerika erhalten. Den deutschen sind die Tore Neuguineas noch verschlossen. Jetzt erwarten wir wieder 3 Schwestern aus Holland. Wenn das so weiter geht, dann sterben die deutschen hier aus. ... Sonst merkt man nicht, ob unsere Wiege in Deutschland, Holland oder Amerika stand. Wäre es überall auf der Welt so, dann hätten wir keinen Krieg zu fürchten. ..."
Der nächste Brief ist vom 21.04.1929 und hieraus erfährt man, das sie sich noch gut an ihr Heimatdorf erinnern kann:
"... Zunächst dir, lb. Bruder Josef, meinen herzlichen Dank für deinen Brief. Er war für mich sehr interessant, hast mir ja soviel erzählt von der lb. Heimat und von den guten Leuten dort. Obwohl es schon 24 Jahre her sind, seit ich meinem lb. Heimatort Lebewohl gesagt habe, ist mir noch alles in guter Erinnerung. ..."
Nur 7 Monate später (am 24.11.1929) schreibt meine Großtante nachfolgenden Brief an meinen Großvater:
"... Es sind jetzt ungefähr 6 Wochen her, da brachte mir das Schiff einen Brief aus der Heimat mit der schmerzlichen Nachricht, daß der lb. Gott unsere gute Mutter zu sich gerufen hat. ... Wie geht es dir lb. Josef ? Wie deinen Jungens ? Sie werden schon allmählich groß und werden dir schon viel Arbeit und Sorge aus der Hand nehmen. ... Es kommen jetzt wieder 7 neue Missionare und auch 3 Schwestern von Steyl. ... Am Kaiserin-Augusta-Fluß, einem großen breiten Strom, auf dem große Schiffe fahren können, werden jetzt auch viele Schulen gebaut. Dort wohnen noch wirkliche Menschenfresser. Den Missionaren haben sie bis jetzt noch nichts zuleide getan. ..."
Wie mag diese Mitteilung, das Schwester Imelda bei "Menschenfressern" arbeitet, auf meinen Großvater und alle Angehörigen wohl gewirkt haben ? Leider kann ich diese Frage nicht beantworten aber in den nächsten Tagen werde ich weiter über das Leben meiner Großtante berichten, u. a. über ihren Besuch in ihrem Heimatort.
Beim Lesen dieses Berichts habe ich Gänsehaut bekommen.
Vor Menschen, wie Deiner Großtante habe ich sehr viel Achtung.
Mit Spannung warte ich auf die Fortsetzung,
Gruß Maria