SCHICK dem LENZ seinen HUTH !
Sie werden sich sicher fragen, was soll diese Überschrift ?! Das Rätsel wird erst in meinem Bericht aufgelöst.
Heute versuche ich mich einmal an einem Dorfportrait meines Geburtsortes. Wie mit vielen Dingen, die man glaubt vermeintlich gut zu kennen, will mir der Bericht nicht so richtig gelingen und nach etlichen Tagen sitze ich eigentlich immer noch vor einem fast leeren Blatt Papier. Nach dem ich mir zunächst eine Liste mit Stichpunkten angelegt habe und diese nun abgearbeitet ist, entstand dieses Dorfportrait:
"O du mein Heimattal im schönen Hessenland, ihr Wälder ohne Zahl seit mir so wohl bekannt,..." so lautet der Refrain von Max Orrels "Heimatlied". In einem schönen Tal im Naturpark Spessart, umgeben von Wäldern liegt mein Geburtsort LANZINGEN. Der Ort gehört heute zur Gemeinde Biebergemünd im Main-Kinzig-Kreis, und die Deutsche Ferienroute Alpen-Ostsee führt westlich am Dorf vorbei. Etwa 550 Einwohner leben heute hier in ihren Häusern entlang des Bieberbaches. In den örtlichen Vereinen, wie z. Bsp. dem Gesangverein Sängerlust, der Freiwilligen Feuerwehr und dem Tischtennisclub, engagieren sich die Menschen und organisieren Faschingsveranstaltungen bzw. das jährliche Back- und Schlachtfest. Für die dörflichen Veranstaltungen steht ein modernes Dorfgemeinschaftshaus zur Verfügung. Ein Kindergarten ist ebenfalls im Ort vorhanden, so dass auch für die jüngsten Einwohner bestens gesorgt ist. In dem einstmals von der Landwirtschaft geprägten Ort, spielt diese heute nur noch eine untergeordnete Rolle.
Da die B 276 westlich am Dorf vorbei führt und vor etwa einem Jahr auch für den Schwerlastverkehr des großen Sägewerks eine Ortsumfahrung gebaut wurde, ist Lanzingen verkehrstechnisch ein recht ruhiges Dorf. Auf Grund seiner leicht hügeligen und waldreichen Umgebung ist es bestens geeignet für kleine und große Wandertouren.
Ich möchte Ihnen aber auch einmal erzählen, wie ich dieses Dorf noch erlebt habe. In der damals noch selbständigen Gemeinde Lanzingen lebten ca. 350 Einwohner und der Bürgermeister hieß Adam Huth. Ein Großteil der Familien lebte noch von der Landwirtschaft und somit traf man sich jeden Morgen im Milchhäuschen. Obwohl es keine Kirche im Dorf gab, und auch heute noch nicht gibt, bestimmte doch eine Glocke den Tagesablauf. Im Unterdorf stand das sogenannte Glockenhäuschen, in dessen Anbau auch der Sargwagen und die Gerätschaften der Feuerwehr untergebracht waren. Die Glocke in dem kleinen aufgesetzten Glockenturm, wurde morgens und abends geläutet.
Ganz in der Nähe des Glockenhäuschens befand sich noch ein weiteres Fachwerkhaus, an das ich mich recht gut erinnere. Das Haus war Eigentum der Gemeinde und hier wohnte der jeweilige Ortsdiener. Zu seinen Aufgaben zählte es, mit einer großen Schelle im Dorf die öffentlichen Bekanntmachungen zu verkünden, wie z. Bsp. das Bekanntmachen von Versammlungen oder auch das Anmahnen von fälligen Steuern.
Aus dem Einwohnerverzeichnis der Gemeinde von 1864 und dem Brandversicherungskataster von 1889 erfahren wir hierüber folgendes:
- Haus Nr. 32
- Schweinehirtenhaus 7,1 Meter Breite und 6,4 Meter Tiefe
- Schweinestall 8,5 Meter Breite und 4,4 Meter Tiefe
- hier wohnte der Dorfhirte mit seiner Ehefrau und drei Kindern.
Für die geselligen Stunden waren drei Gaststätten im Dorf, wobei ich mich richtig eigentlich nur an zwei erinnere. Auch die täglichen Einkäufe konnte man gut im Dorf selbst erledigen, da hier drei Läden vorhanden waren. Angefangen von Pfeiffentabak über Streichhölzer bis hin zur Silberbronze für Ofenrohre war eigentlich alles vorhanden...und das nicht nur zu den offiziellen Ladenöffnungszeiten !
In dieser kleinen Gemeinde war selbst eine Poststelle, die am 01.10.1953 errichtet und erst zum 01. April 1974 aufgelöst wurde. Wie ich aus den Unterlagen des Postamtes Gelnhausen ersehen konnte, wurde am 01.04.1922 im Hause des damaligen Bürgermeisters Huth eine Telegraphen-Hilfsstelle eingerichtet.
Zum ursprünglichen Dorfbild gehörte auch noch eine Mühle und ein kleiner Bahnhof etwas außerhalb des Dorfes, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Gaststätte Lenz. Da der Bahnbetrieb der Spessartbahn bereits am 23. Juli 1951 eingestellt wurde, kann ich mich nur noch an die blauen Busse der Kreiswerke Gelnhausen erinnern. Eine Schule befand sich ebenfalls im Dorf. Nachdem die alte Schule im Unterdorf abgerissen wurde, entstand im Jahre 1951 eine neue Schule. Sie war ein Modellversuch des Landes Hessen und wurde in einer Stahlrohrkonstruktionsbauweise gebaut. Soweit ich mich erinnere, fand in den 70-iger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hier schon kein Unterricht mehr statt.
Komme ich heute, zwei bis dreimal im Jahr, zurück in meinen Geburtsort, so sagen auch nach 50 Jahren noch viele zu mir: "...ach, Du bist doch von `s Kilians..." Meine Gesprächspartner kennen zwar ganz selten meinen Nachnamen, erinnern sich dafür aber an den Hausnamen unserer Familie. Ich selbst bin auch noch mit diesen Hausnamen vertraut und habe meine Schwierigkeiten mit den Familiennamen der Menschen im Dorf. In den letzten Jahren ist jedoch zu beobachten, dass die Hausnamen im Dorfalltag keine Rolle mehr spielen. Eine Ursache hierfür ist sicher, dass Familien ausgestorben sind und die neuen Besitzer keinen Bezug zu der Vergangenheit des Anwesens haben. Einen weiteren Grund sehe ich darin, dass die Mundart im Alltag nur noch von den Älteren gesprochen wird.
Im Heimatjahrbuch des Kreises Gelnhausen "Zwischen Vogelsberg und Spessart" aus dem Jahr 1989, befindet sich auf der Seite 167 ein Artikel mit dem Titel "Eine Statistik des Grauens". Der Verfasser zieht hierin eine Bilanz der Kriegstoten des zweiten Weltkrieges im Kreis Gelnhausen, und so lesen wir: "...Hierbei wurde die Gemeinde Lanzingen, die heute 448 Einwohner zählt und 7 1/2 Prozent ihrer Einwohnerzahl an Menschenleben opferte, am härtesten betroffen. ..." Wie schwer für viele Familien in Lanzingen die Kriegszeit und auch noch die Jahre danach waren, erfährt man in Gesprächen mit den älteren Menschen des Dorfes. Bei einem Blick auf das Kriegerdenkmal auf dem Friedhof erkennt man dass in vielen Familien die Väter und auch die Söhne gefallen sind.
Nun möchte ich aber noch einmal auf das Einwohnerverzeichnis von 1864 zurück kommen. Am Ende dieser Liste steht folgender Vermerk:
"Die Gemeinde Lanzingen hat 41 Wohnhäuser, von welchen 2 unbewohnt sind, dieselbe sind von 50 Familien bewohnt. Die gesamt Seelenzahl besteht aus 218 Seelen von welchen 4 Personen gebrechlich sind, davon sind
a) Männer und Jünglinge über 14 Jahren 82 Seelen
b) Weiber und Mädchen über 14 Jahren 85 Seelen
c) Knaben unter 14 Jahren 24 Seelen
d) Mädchen unter 14 Jahren 27 Seelen
Summa 218 Seelen"
Das Einwohnerverzeichnis befindet sich im Original im Staatsarchiv Marburg.
Nun möchte ich aber meine Überschrift noch aufklären. Ein Großteil der Familien in Lanzingen trug die Familiennamen SCHICK, LENZ und HUTH.
Ich würde mich freuen, wenn Sie, auf Grund meines heutigen Berichtes einmal meinen Geburtsort während einer Wander- bzw. Radtour besuchen. Vorab lade ich Sie zu einem kleinen virtuellen Dorfspaziergang ein und schließe meinen Bericht mit einer Textstelle aus dem "Heimatlied": "...o mein Heimattal, wie schön bist du. "
Bürgerreporter:in:Hans-Christoph Nahrgang aus Kirchhain |
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