Zöllner strauchelt / Berliner Senat unter Nepotismusverdacht

Gestern gab Bildungs- und Wissenschaftssenator Prof. Jürgen Zöllner (SPD) den Rückzug seiner ehemaligen Büroleiterin, die mit ihm seit einem Jahr liiert ist, als Kandidatin für die Leitung der Geschäftsstelle der Einstein-Stiftung bekannt. Die Einstein-Stiftung, die einen 35 Millionen schweren Jahresetat steuern soll, war zunächst ins Gerede gekommen, als Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) das ihm in der Stiftung zugedachte Vorstandsmandat aufgrund fehlender Kontrollinstanzen und laut Tagesspiegel nach einem Zerwürfnis mit Zöllner zurückgab. Das hätte eigentlich die Beteiligten warnen müssen, zumal Nußbaums Beamte Einwände gegen die finanzielle Ausstattung der Geschäftsstelle der Stiftung mit mehr als 800.000 € Jahresaufwand erhoben hatten.

Erst als der Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses gestern den Wirtschaftsplan beanstandete, gab Zöllner bekannt, dass die Beamtin, die als kommissarische Geschäftstellenleiterin seit Herbst 2009 den Plan ausgearbeitet hatte, das Handtuch wirft. Dass es sich dabei um Zöllners Lebensgefährtin handelte, soll bei der Stellenbesetzung keine Rolle gespielt haben.

Rätselhaft ist die Formulierung des Tagesspiegel, wonach „Zöllner und Akademiepräsident Günter Stock sich als Vorstandsmitglieder nach Bewerbungsgesprächen“ für die Berufung von Rühle entschlossen haben sollen. Denn Stock ließ mitteilen, er habe von der Liaison der komissarischen Leiterin mit dem Vorstandskollegen nichts gewusst. Hätte Zöllner sich nicht Stock offenbaren müssen? Und hätte Rühle ihrerseits nicht ein Interesse daran haben müssen, dass Stock sich weder in dem Bewerbungsverfahren noch in der bestehenden kommissarischen Leitung durch Rühle hintergangen sehen konnte? Ein vertrauensvolles und gerade in der Mittelkontrolle gebotenes aufrichtiges Verhältnis zwischen Geschäftsführung und Vorstand sieht anders aus. Stock hätte ferner über die Liaison unterrichtet sein müssen, um etwaige Interessenkonflikte in den Stiftungsorganen abschätzen zu können.

Der Skandal ist, dass erst das Abgeordnetenhaus die Notbremse gezogen hat

Anne Rühle war laut BZ seit ihrem 22. Lebensjahr berufstätig. Sie, aber auch die Senatsverwaltung muss sich fragen lassen, wie Rühle als Nicht-Wissenschaftlerin überhaupt in die Position einer Sektenbeauftragten des Senats und die der kommissarischen Leiterin der Stiftung gelangt war. Denn für die Leitung der Einstein-Stiftung erschien sie der Wissenschaftsverwaltung angeblich deshalb ungeeignet, weil sie weder über eigene wissenschaftliche Meriten verfüge, noch als Verwaltungs- oder Förderexpertin gelte. Für Beamte des höheren Dienstes ist aber ein Hochschulabschluss Laufbahnvoraussetzung. Wie Anne Rühle ggf. ohne wissenschaftliche Ausbildung in die Referentenlaufbahn des Wissenschaftssenators hätte gelangen können, ist unklar.

Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Ablehnung des Wirtschaftsplans im Abgeordnetenhaus getragen war von der Ablehnung Rühles Kandidatur, über die die Abgeordneten aber nicht zu entscheiden haben. Dass die Mitglieder des Abgeordnetenhauses und vor allem Zöllners Kollegen im Senat ihm nicht offen davon abgeraten haben, von der Empfehlung der eigenen Lebensgefährten in eine von ihm geschaffene Leitungsfunktion Abstand zu nehmen, erstaunt. Denn die Politik und noch mehr die öffentliche Verwaltung müssen sich schon vor dem bloßen Anschein der Ämterpatronage hüten.

Anscheinend ist der Nepotismusverdacht, vor welchem Zöllner die Stiftung durch den Rückzug seiner Kandidatin jetzt plötzlich schützen zu wollen vorgibt, für die Senatsverwaltung über ein dreiviertel Jahr hinweg keine gesonderte Belastung gewesen. Auch der erstaunliche Umstand, dass Rühle als Büroleiterin ohne jede Budgetverantwortung erstmals in ihrer Laufbahn mit der Durchführung eines Haushaltes gleich in zweistelliger Millionenhöhe befasst worden war (an dessen Aufstellung sie dann prompt scheiterte), scheint in der Senatsverwaltung niemanden zu erstaunen. Möglicherweise kommt in der Frage, wer wen trotz oder wegen einer Liaison in eine Spitzenposition mit Budgetverantwortung berufen hat, noch etwas nach. Das würde erklären, warum Zöllner und Rühle die ganze Aufregung um die Besetzung der Stiftung im Grunde nicht verstehen können.

Bürgerreporter:in:

Lorenz Stiefelknecht aus Berlin

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