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Gasleuchten im Berliner Tiergarten
Wenn die Lichter ausgehen

Wenn die Lichter ausgehen

Die Geschichte der historischen Gasleuchten im Berliner Tiergarten als Beispiel für die Verwahrlosung des Öffentlichen Raumes in der Stadt.

von Sabine Küster-Reeck

Wer einmal an einem schönen Herbstabend im Berliner Tiergarten spazieren ging, der konnte sich nur schwer dem Charme der vielen historischen Gasleuchten entziehen, die dem Flaneur den Weg erleuchteten. Ihr heimeliges Licht erhellte die Wege von der Straße des 17. Juni bis zur Schleusenbrücke. Sie verbreiteten zu jeder Jahreszeit eine schöne und romantische Stimmung. Liebespaare, Spaziergänger, Touristen aus aller Welt bewunderten ihre Anmut und das handwerkliche Können vergangener Zeiten. Mit ein wenig Fantasie sah man Droschken den Weg entlangfahren, hörte das Klappern von Pferdehufen auf den Wegen. Erinnerungen wurden wach an die Geschichten eines Arthur Conan Doyle, der seinen genialen Detektiv Sherlock Holmes mit seinem Gefährten Dr. Watson im viktorianischen England auf Verbrecherjagd schickte. Man sah ihn vor sich, wie er Londons nebelige Straßen mit seinem Spazierstock überquerte - unter genau solchen Laternen, wie sie seit langem als kostenlos zugängliches Freilichtmuseum von Besuchern aus aller Welt im Berliner Tiergarten bestaunt werden können.

Die historischen Gasleuchten stammen aus 25 deutschen und 11 anderen europäischen Städten, wie Dublin, London, Zürich oder Amsterdam. Ihre Herkunft aus ganz Europa zeigte ihrem Betrachter, wie groß die Handwerkskunst einst war, die sie erschuf. Sie tragen so klangvolle Namen wie "Goose Neck", "Grand Lyra", "Wilmersdorfer Witwe", "Pilzleuchte" oder "Großer Galgen" Die älteste der Leuchten stammt aus dem Jahre 1826. Ihre Geschichte begann mit der Einführung der Gas-Straßenbeleuchtung. Die britische Imperial-Continental-Gas Association (I.C.G.A) hatte den Auftrag erhalten, entsprechende Lampen herzustellen. Im Stil der englischen Neugotik fertigte sie ihre Camberwell-Laternen an. Das waren umgerüstete Öllaternen auf gusseisernen Masten. Eine jener Camberwell-Laternen steht bis heute im Berliner Tiergarten. Am Abend des 20.September des Jahres 1826 dann, erhellten diese Laternen erstmalig auch den Boulevard Unter den Linden mit einem Licht, das um ein vielfaches heller leuchtete, als alle bis dahin genutzten Lichtquellen. Berlin war schon damals eine schnell wachsende Hauptstadt und so wurden über die Jahre viele Gaslaternen eingesetzt - noch im Jahr 2009 waren nicht weniger als 44.000 Exemplare im Einsatz, mehr als die Hälfte aller Gaslaternen weltweit.

Das Gaslaternen-Freilichtmuseum im Tiergarten wurde 1978 errichtet und bildete jahrzehntelang eine sehenswerte, nostalgische Ausstellung der schönsten Gaslaternen Europas. Mitten im Großstadtgetümmel bildeten die Gaslaternen einen romantischen Winkel und erfreuten Touristen aus aller Welt, die die Laternen gerne als Andenken fotografierten. Gehegt und gepflegt wurden sie von Mitarbeitern des Berliner Museums für Verkehr und Technik. 1995 dann wurde das gesamte Gaslaternenmuseum unter Denkmalschutz gestellt. Nach 28 Jahren Ausstellungsdauer aber waren die Museumsstücke bereits stark reparaturbedürftig, allein 140 Glasscheiben waren durch Vandalismus zerstört worden.

Wir sind im Jahre 2024 angekommen. Lange haben die Gaslaternen im Freilichtmuseum ausgehalten, Stürmen getrotzt, und Schnee und Regen widerstanden. Noch immer durchqueren zahlreiche Menschen aus aller Welt den Tiergarten um sie zu besuchen. Viele der Besucher bleiben bei den Laternen, oder aktuell besser gesagt ihren Überresten stehen und schütteln fassungslos und traurig den Kopf über ihren verwahrlosten Zustand. Denn nun bieten sie einen erbarmungswürdigen Anblick: Ihre Gläser sind zerschlagen oder überhaupt nicht mehr vorhanden. Die Masten zum Teil umgeknickt, oder umgestoßen. Diejenigen von ihnen, die noch halbwegs intakt dastehen, wirken ungepflegt und rostig. Schon 2016 wurde beschlossen, das Museum in der bisherigen Form nicht weiter zu betreiben. Im August 2023 war nur noch etwa ein Drittel der Laternen in Betrieb. Einige Leuchten wurden dem Deutschen Technikmuseum Berlin zur Lagerung überlassen, andere einem Verein. Weitere gelten als irreparabel beschädigt oder gestohlen. Auf Übersichtstafeln, sofern diese noch nicht beschmiert oder zerstört worden sind, kann sich der Besucher noch immer Informationen zu Baujahr und Herkunft der Laternen verschaffen.

Wie kommt es zu diesem Vandalismus? Wer hat solche Freude daran, historische Lampen mutwillig zu zerstören, die vielen Menschen über Jahrhunderte lang ihre Wege erhellten? Die Gasleuchten sind zerstört und es stellt sich nicht nur die Frage, wer die Verantwortung dafür trägt. Selbst wenn man sie wieder instand setzen könnte, es wären doch nicht mehr die Originallampen von einst und gewiss würde es nicht lange dauern, bis sie wieder zerstört würden. Die Hauptstadt Berlin ächzt nicht nur unter ihrer Schuldenlast, sie wird insgesamt immer dysfunktionaler. Die historischen Leuchten des Tiergartens sind nur ein Synonym für die Verwahrlosung des Öffentlichen Raumes. Es ist ein Zustand, unter dem viele Bürger Berlins leiden. Sind aber solche kostbaren Raritäten, solche Zeugnisse vergangener Handwerkskunst es nicht wert, nach Sponsoren zu suchen, die sich ihrer Instandhaltung annehmen könnten? Denn sonst gehen ihre schönen Lichter wohl für immer aus. Auf einer der Parkbänke ist ein Zitat des Schriftstellers Erich Mühsam aus dem Gedicht „Der Revoluzzer“ angebracht : „Ich bin der Lampenputzer dieses guten Leuchtelichts. Bitte, bitte, tut ihm nichts! Wenn wir ihn` das Licht ausdrehen, kann kein Bürger nichts mehr sehen.“ Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

Dieser Artikel erschien bei der Berliner Zeitung unter Open Source

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2 Kommentare

Es ist ein Jammer. Ich hatte vor Jahren mal eine kleine Fotoserie über das Gaslaternenmuseum gemacht, bin dort oft und gerne spazieren gegangen, da ich früher auch in der Nähe gewohnt habe.
Wie so vieles in unserer Stadt, verkommt auch diese einst schöne Ecke.

Liebe Frau Schwartz,

danke für Ihren Kommentar. In der Tat, es ist ein Trauerspiel, wie viele Kunst-und Kulturgüter in der Hauptstadt verfallen. Nicht davon zu reden, wie die Vermüllung der Stadt zusehends voranschreitet.  Es scheint kein Kraut gegen diese zunehmende Verwahrlosung gewachsen.....

Mit freundlichen Grüßen,

Sabine Küster-Reeck

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