Menschen wie Du und ich
Astoget - Kurze Geschichte einer „egoistischen“ Frau
Geboren wurde Astoget im November des Jahres 1937. Die Nazis waren dabei, ihre Macht zu festigen. Wirtschaftlich sah es in Deutschland gar nicht so schlecht aus. Den Hintegrund dessen wollte allerdings wohl keiner wahrnehmen.
Astogets Eltern waren schon recht lange verheiratet und hatten eigentlich gar nicht mehr mit einem Kind gerechnet. Nun ja, jedenfalls wurde sie „Papas Ein-und-Alles“!
Als Astoget noch nicht einmal 4 Jahre alt war, marschierten die Nazis in Russland ein, was den Beginn des zweiten Weltkrieges bedeutete. Wahrlich keine schöne Zeit für Kind, denn auch Astogets Vater mußte an die Front. Aus der Kriegsgefangenschaft sollte er nicht wiederkehren!
Nun mußte Astogets Mutter zusehen, wie sie sich und ihr Kind in dieser schweren Zeit allein durchbrachte. Sie war nur eine von Millionen Frauen im russischen Sektor des nun geteilten Deutschlands.
Nun, auch diese Zeit ging vorüber, Astoget schloß die Schule ab ( die damals weit weniger Zeit „in Anspruch“ nahm als heute ;-) ) und absolvierte eine Büro-Lehre. Sie fand auch recht bald Arbeit. Was sie noch fand, war ihr erster Mann. Beide waren noch ziemlich jung und es kam auch bald nach der Hochzeit ein Junge zur Welt. Nun ja, beide waren – wie gesagt – noch sehr jung und so folgte nach ein paar Ehejahren dann leider die Scheidung. Astoget bezog zusammen mit ihrem Kind und ihrer Mutter eine kleine Wohnung. Während eines Kuraufenthaltes lernte Astoget dann ihren zweiten Mann kennen. Auch einen anderen Job fand sie durch einen glücklichen Zufall. Fußläufig am Wohnort und vor allem nicht mehr in der Firma, in der auch ihr Ex-Mann arbeitete.
Während der zweiten Ehe kamen zwei Mädchen zur Welt. Allerdings hatte sie als junge Frau auch schon eine Totgeburt hinter sich, es war nicht immer einfach für Astoget. Aber sie ging immer arbeiten. Eine kurze notgedrungene Auszeit mußte sie hinnehmen, als sie für ihre Kleine keinen Krippenplatz bekam. So mußten sie für zwei Jahre mit dem Gehalt ihres Mannes drei Erwachsene und drei Kinder ernähren. Ihre Mutter bekam keine Rente, sie hatte sich ihre Rentenanteile mal auszahlen lassen. Im Nachhinein nicht die beste Idee. Ihre Wohnverhältnisse hatten sich ein klein wenig verbessert ( obwohl, ist das das richtige Wort? ). Sie bewohnten jetzt mit 6 Personen zweieinhalb Zimmer und eine kleine Küche. Klo war auf dem Hof, Plumpsklo. Es gab ein Wohnzimmer, ein schmales Durchgangszimmer für die beiden Mädchen und ein weiteres Zimmer, daß sich Astoget, ihr Mann, ihre Mutter und ihr Sohn aus erster Ehe teilten. Durch Stellen der Schränke wurde so etwas ähnliches wie eine Abtrennung geschaffen. So mußte es eben funktionieren. Nach ein paar Jahren zog die Familie, die die andere Hälfte der Etage bewohnte, aus und es begann ein Umbau, der Astogets Familie zwei zusätzliche Räume schenkte. Nun hatte der Junge, der immerhin 6 Jahre älter war als die ältere seiner beiden Schwestern ein eigenes kleines Reich, die Mutter ebenso wie auch die beiden Mädchen, die sich nun ein größeres Zimmer teilten. Astoget und ihr Mann hatten nun endlich auch ein eigenes Schlafzimmer. Was für ein Luxus!
Und immer noch waren es harte Jahre. Manchmal wußte sie einfach nicht, wie sie ihren Einkauf fast am Monatsende bezahlen sollte. Nur mit viel guten Worten ließ sich der Kaufmann überreden, zu stunden. Erlaubt war es eigentlich nicht. Aber für ihre Kinder steckte Astoget selber immer zurück! Die Kinder und deren Wohl waren ihr immer das Wichtigste! JA! Und das ihres Mannes und ihrer Mutter! Obwohl, diese beiden! Astoget stand immer zwischen ihnen, denn so richtig grün waren sich die beiden nie. Auch nicht leicht, immer so zwischen zwei Menschen, die man liebt. Es war recht aufreibend! Und dann auch noch das ein oder andere pubertierende Kind! Da kann wahrscheinlich jede Mutter ein Lied von singen! ;-))))
Auch im Beruf lief es nicht immer reibungslos ab. Astoget mußte auch öfter Dienstreisen unternehmen. „Seltsamerweise“ verstand sie sich mit den allermeisten Verantwortlichen der Zulieferbetriebe sehr sehr gut. Im Gegensatz zu ihrer Chefin ( übrigens auch eine egoistische Frau, da Mutter, Ehefrau UND berufstätig UND sogar noch in leitender Position!!!! Aber das nur am Rande!)! Da wurde dann bei notwendigen Ab-/Besprechungen eben auch mal gezielt nach Astoget gefragt. Astogets Mann arbeitete im 3-Schicht-System, also Früh-, Spät- und Nachtschicht, in einem großen Werk in der Bezirkshauptstadt. Da gab man sich dann schon mal frühmorgens die Klinke in die Hand! Aber man hielt zusammen, klärte Meinungsverschiedenheiten und versuchte, Verbesserungen zu finden. Das machte eine Ehe ihrer Meinung nach aus: MITeinander, egal in welcher Hinsicht! Und wenn es mal „auseinander driftete“, dann mußte man eben daran arbeiten und einen Kompromiß finden, bei dem nicht nur einer zurückstecken mußte!
Astogets Traum war es, mit ihrem zweiten Mann alt zu werden und sich vielleicht auch den einen oder anderen kleinen „Luxus“ zu leisten. Einen kleinen Garten vielleicht? Zum herumwerkeln? Vielleicht den ein oder anderen größeren Urlaub? Möglicherweise sogar ins Ausland ( soweit das in der DDR möglich war )? Halt eben ohne Kinder dabei, wirklich Erholung pur. Aber wie das eben manchmal so ist im Leben: der Mensch denkt, Gott lenkt! Mit 47 Jahren wurde Astoget Witwe! Ihr Mann starb nur wenige Tage vor seinem 55. Geburtstag nach einem Jahr voll Quälerei an Krebs!
Astogets Sohn sowie die ältere Tochter hatten schon Arbeit, die jüngste hatte noch zwei Jahre Ausbildung vor sich. Lehrlingsgehalt in der DDR? Na, reden wir nicht drüber! Wenigstens gab es für die jüngste bis zur finaziellen Selbstständigkeit ( soll heißen: für die restlichen zwei Ausbildungsjahre ) eine Halbwaisenrente. Astoget selber bekam für zwei Jahre Witwenrente in Höhe von 200,- Mark. Ihre Mutter bekam seit Jahren eine kleine Mindestrente. Ihr Mann hatte sich damals bei den Ämtern mächtig ins Zeug gelegt, um das durchzudrücken. Und um ehrlich zu sein, auch Pakete von der Westverwandtschaft waren eine große Hilfe. Schon, als ihr Mann noch lebte. Die Kinder freuten sich immer über die Kleidung ihrer Cousins und Cousinen, die denen zu klein geworden war.
Doch trotz aller Schicksalsschläge ging das Leben halt weiter. Ihre Jüngste beendete ihre Ausbildung und bekam ebenfalls eine Arbeitsstelle. Der Alltag nahm irgendwann wieder seinen gewohnten Lauf.
Dann kam die Wende! Was würde nun werden? Wie sollte es nach der Wiedervereinigung mit ihrer Arbeit weitergehen? Sie war ja nicht mehr die jüngste, würde sie ihren Job behalten? Wie würde es bei ihren Kindern dahingehend weitergehen? Ja, sie machte sich schon so ihre Gedanken.
Astoget selber hatte großes Glück. Die Regelung des „vorgezogenen Ruhestandes“ wurde noch einmal verlängert, sodaß sie diese Chance, der – möglicherweise jahrelangen – Arbeitslosigkeit zu entgehen, ohne zu zögern annahm.
Ihre Jüngste fand durch einen glücklichen Zufall auch recht schnell einen Job in Niedersachsen. Ihre Älteste und ihr Sohn hatten – NOCH – Arbeit im Heimatort. Nur kam nun die Sorge um die Wohnung hinzu. Die Alteigentümer des Hauses, die vor Jahrzehnten im Zuge der Gründung der DDR nie enteignet worden waren, bekamen dieses nun zurück und standen eines Tages vor der Tür. Nein, verkaufen wollten sie auf keinen Fall! Es sollte ( und mußte ja auch ) nur halt viel dran gemacht werden. Zum Beispiel neue Fenster im Dezember und ähnliches! Die Mieter machten alles klaglos mit, es war ja wirklich auch notwendig! Als dann alles renoviert und modernisiert war, war es auch ruckzuck verkauft! Nun hieß es überlegen: bleiben und Mieterhöhungen akzeptieren oder vielleicht doch etwas eigenes wagen? Also machte man sich auf die Suche nach einem geeigneten Grundstück. Vergeblich. Bis ihre Jüngste meinte „Warum kommt ihr denn nicht hierher?“! Und irgendwie sollte es so sein. Hier wurde ein Grundstück gefunden, eine Firma, die das Haus setzen sollte sowie eine Bank, die ihnen den benötigten Kredit gab! UND einen Job für ihre Ältere! Ihr Sohn ließ sich von seinem Arbeitgeber, der Deutschen Bahn, „einfach“ versetzen.
Astogets Mutter, inzwischen auch schon 90 Jahre alt, freute sich sehr und auch darüber, ihren finanziellen Teil dazu beitragen zu können. Sie hatte sich im Laufe der Jahre doch ein wenig zusammengespart.Aber auch hier: der Mensch denkt und Gott lenkt! Noch während der Bauphase begann es Astogets Mutter schlechter zu gehen, 90 Jahre sind ja auch kein Pappenstiel! Die Demenz schlug mit voller Kraft zu! Und Astoget war mittlerweile allein mit ihrer Mutter. Ihre Kinder hatten ja nun alle Arbeit und eine ( vorübergehende ) Wohnung in Niedersachsen und mußten auch am Bau das ein oder andere selbst erledigen. Wieder eine unglaublich harte Zeit für Astoget. Ich denke, was die Pflege von kranken Angehörigen betrifft, da brauch ich wohl keinem von Euch was erzählen. Natürlich hat Astoget versucht, ihre Mutter zu Hause zu pflegen. Bis ihre Ärztin ihr sagte „Entweder Sie geben Ihre Mutter in ein Heim oder Sie gehen eher als Ihre Mutter“! Wow! Das war ein Schuß vor den Bug! Aber ein gewaltiger! Nun hieß es auf die Suche nach einem Heim gehen, in dem sie ihre Mutter unterbringen konnte! Und das sie bezahlen konnte! Bei der Beratungsstelle wurde sie u. a. auch nach dem Vermögen ihrer Mutter gefragt! Ja klar, Vermögen! 'Ne stinknormale Frau in der DDR! Aaaaber da war ja noch die Summe, die ihre Mutter zum Hausbau beigesteuert hatte! Info: Bis zu 10 Jahren zurückliegend muß sie diese Summe zum Bezahlen des Heimplatzes nutzen! Na prima! Okay, um es abzukürzen: Soweit kam es nicht. Nach einem Jahr im Pflegeheim hatte Astogets Mutter es „geschafft“! Sie kam endlich von dieser Welt!
Zwischenanmerkung:
Ja, ich weiß, diese Formulierung wird sicher für einige empörte Zwischenrufe sorgen. Aber ich habe sie bewußt gewählt. Es ist meine höchstpersönliche Empfindung, daß es viele viele Menschen gibt, die – wüßten sie um ihre körperliche und/oder geistige Lage – gerne endlich endlich würden sterben wollen und einfach nicht können. Aber dies wäre eigentlich nochmal ein Thema für eine ganz andere Diskussion.
Nun war es an Astoget, den Hausstand aufzulösen. Auch das erledigte sie, allein! Sie fand eine Wohnung in dem Haus, in dem auch ihre Älteste und ihr Sohn ihre vorübergehende Wohnung hatten. Es gab also doch noch glückliche Zufälle. Ihre Jüngste hatte inzwischen geheiratet. Ihr Mann hatte selber ein Haus von seinen Eltern übernommen.
Im Dezember 1995 war es dann auch endlich soweit: Astoget und ihre Familie konnten in IHR Haus einziehen! Ein eigenes Haus mit Garten!
Astoget sagte mal zu ihrer Ältesten, es wäre ihr noch nie so gut wie jetzt gegangen.Und immer noch – mit über 80 Jahren - sind ihr ihre „Kinder“ das Wichtigste, ihren „Kindern“ sollte es gut gehen!
Mittlerweile hat auch sie mit diversen gesundheitlichen Problemen wie Bluthochdruck ( schon fast ihr ganzes Leben lang ), Herzhythmusbeschwerden, Altersdiabetes, Fibromyalgie u. a. zu kämpfen. Aber immer noch ist sie für ihre Familie da!
Heute steht Astoget im Garten, schaut über die dahinterliegenden Felder und ist – so glaube ich zumindest – mit ihrem Leben recht zufrieden. ES HÄTTE VIEL SCHLIMMER KOMMEN KÖNNEN!!!!!!
Und niemand, wirklich ABSOLUT NIEMAND hat das Recht, diese Frau egoistisch zu schimpfen, nur weil sie ihr halbes Leben lang gearbeitet hat!
https://www.businessfrau.ch/karriere/politik/307-k...
https://www.xing.com/news/insiders/articles/mutter...
https://www.rnd.de/wirtschaft/job-und-kind-mutter-...
https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsma...
So, ihr Lieben, und nun stellt Euch doch einfach mal alle vor, wie es in Deutschland aussähe, wenn sämtliche Frauen, die verheiratet sind und - Gott bewahre - sogar noch Kinder haben, ihren Job aufgeben und sich nur noch um Haushalt und Familie kümmern würden! Keine Ärztinnen, keine Lehrerinnen, keine Professorinnen, keine Künstlerinnen, keine Ministerinnen, keine Politikerinnen allgemein etc etc! Nur, um sich nicht von wildfremden Menschen egoistisch nennen lassen zu müssen!
Viel Spaß wünsche ich!
Bürgerreporter:in:Constanze Seemann aus Bad Münder am Deister |
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