Hexe, Teufel, Zwerge - eine Familienangelegenheit
Bad Grund probt für die Walpurgisnacht
Es ist frisch an diesem Dienstagabend im April. Das laue Frühlingswetter der letzten Tage hat sich verflüchtigt. Die Sonne versteckt sich. Trotzdem treffen sich 60 Menschen jeder Altersklasse am Hübichenstein oberhalb von Bad Grund. Sie haben Decken mitgebracht und Thermoskannen. Getränkekästen stehen neben Kabeltrommeln. Mettbrötchen werden geschmiert, es riecht nach Zwiebeln. Ein zusammengeklappter Sonnenschirm liegt arbeitslos auf dem Boden. die Atmosphäre ist entspannt. Man spricht über die Neuigkeiten aus dem Ort, über den Nachwuchs und natürlich das Wetter. Als einige Kinder anfangen, Bärlauch zu pflücken, ist die Bergidylle perfekt.
Was aussieht wie ein Familienausflug inklusive Onkel und Tanten zweiten Grades ist die Vorbereitung auf Bad Grunds großes Ereignis. Die Walpurgisspielgemeinschaft probt zu ersten Mal in kompletter Stärke das Spiel vom König Hübich auf der Freilichtbühne an der B 242 zwischen Bad Grund und Münchehof . “Walpurgisfeiern gibt es viele im Harz, aber nur Bad Grund hat das Stück vom König Hübich”, betont Andreas Lehmberg. Zusammen mit Jan Mönnich führt er in diesem Jahr Regie und dirigiert die 60 Mitwirkenden rund um die Bühne.
Die Sagengestalt
König Hübich, das ist eine der vielen Harzer Sagengestalten, ein Zwergenkönig, der meist mildtätig und hilfreich ist, der aber Fehlverhalten und Verstöße bestraft. Was Sagengestalten eben so tun. für die Bergleute und Forstarbeiter war König Hübich auch ein Trostspender. Der Legende nach wohnte er einst unter dem Hübichenstein, einem Kalkfelsen, der etwa 50 Meter in den Himmel ragt. 1897 hatte man zu Ehren des Kaisers Wilhelm einen Bronzeadler oben auf die Felsnadel gesetzt. Der Kaiser ist lange weg, die Legende vom Zwergenkönig gibt es immer noch. In Bad Grund ist Hübich allgegenwärtig. Es gibt einen Hübichplatz mit einem Brunnen gleichen Namens und eine König-Hübich-Wanderroute
Der König Hübich vereint Bad Grund. Das Stück schrieb der derzeitige Ortsbürgermeister Manfred von Daak als junger Mann in den 60er Jahren. Die Geschichte um eine junge Liebe im Dreißigjährigen Krieg, um spanische Söldner, um Hexen und Teufel und das hilfreichen Wirken des Zwergenregenten nistete sich schnell im kollektiven Gedächtnis der Grundner ein. Happy End inklusive. Zwischenzeitlich hatte man die Aufführung der Laienspielgruppe “Lerbacher Komödchen” überlassen. Aber seit den 80er Jahren ist der König Hübich wieder eine lokale Angelegenheit.
Zur Walpurgis 2015 gibt es einen weiteren Schritt in Richtung Tradition. In Bad Grund verzichtet man auf die großen Shows der letzten Jahre. Am 30. April wird kein Morgenmän Franky und auch kein anderer Kollege aus der Gute-Laune-Radio-Fraktion das Fest nach vorne brüllen. Es wird auch keine Hexe mehr an einem Drahtseil in den Himmel entschweben. “Wir wollen in diesem Jahr wieder authentisch sein”, erklärt Andreas Lehmberg. Als stellvertretender Geschäftsführer beim Harzer Tourismusverband kennt er sich mit Marketing aus.
Regie-Kollege Jan Mönnich ist im Hauptberuf Jugenddiakon im Kirchenkreis Leine-Solling. Mit der Aufführung am Hübichenstein sind sie groß geworden. “Wir sind da gewissermaßen reingewachsen”, erklärt Andreas Lehmberg. Schon in den letzten Jahren haben beide als Regieassistenten gearbeitet, nun haben sie die Verantwortung. “Wir haben das Stück weiterentwickelt, einige Szenen angepasst an die heutige Zeit. Andere haben wir gestrichen, das ist aber nicht außergewöhnliches, das haben andere auch schon gemacht”, ergänzen die beiden Regisseure. Unter den Hexen taucht auch eine kleine Hexe auf, die an Otfried Preußler erinnert. König Hübich ist ein lebendiges Stück Heimatkultur, keine totgespielte Legende. “König Hübich und die spanischen Raubvögel” ist der Titel in diesem Jahr.
Die Regiearbeit
Regie heißt an diesem Abend vor allem die Darsteller an die richtigen Positionen zu bringen und die Technik überprüfen. Auf große Gesten und emotionalen Ausdruck verzichten alle. Der Text hat Priorität. Dann müssen die Hexen auch noch wissen, wo sie hinlaufen müssen und Uli Milas als König Hübich muss seine Zwergenbande um sich scharen.
Der Premiere auf der Naturbühne sind zahlreich kleine Vorproben vorausgegangen. “Bis hier das erste Mal alle zusammen auf der Bühne stehen, haben wir schon zwanzig Mal in Kleingruppen geübt”, erläutert Jan Mönnich. Aber eben in Kleingruppen und nie mit Mikrofon.
70 bis 80 Stunden Freizeit würden die Darsteller mindestens in die Proben investieren. Dennoch sind alle ein wenig nervös. Es ist der erste Abend mit der Technik. In den zwei Wochen vor der Walpurgisnacht wird es anstrengend. “Dann gibt es drei Proben pro Woche”, macht Andreas Lehmberg den Zeitaufwand deutlich.
In diesem Jahr gibt es ein Jubiläum: 50 Jahre Theater an Walpurgis. Das Stück selbst dauert nur ein Stunde und ist Premiere und Abschiedsvorstellung zugleich. Eine Wiederaufnahme ist nicht geplant. Am 30. April 2016 wird es eine andere Aufführung mit anderen Schauspielern und geänderten Texten auf der Freilichtbühne am Hübichenstein geben. Aber das ist noch weit weg. Alle Anwesenden sind im Hier und Jetzt und interessieren sich nur für die Aufführung 2015.
Um das weite Rund am Wald oberhalb von Bad Grund zu beschallen, dazu bedarf es einer Anlage. die ersten Boxen werden an diesem Abend aufgebaut und Mikrofon verteilt. Mit Headsets und Funkmikro sind die Grundner technisch aktuelle. “Die Anlage ist Eigentum der Walpurgisspielgemeinschaft”, betont Andreas Lehmberg. Scheinwerfer, Kabeltrommeln, Mikrofonständer. Auch die Ausrüstung ist gelebte Gemeinschaft, das Vereinseigentum ist ständig angewachsen.
Das Familientheater
Das Theater spielen zur Walpurgis ist Familienangelegenheit und vereint Eltern und Kinder. Holger Diener ist nicht nur der Teufel Urian sondern auch der Vater der beiden Hexen und Elfen Helen und Hannah. Auf der Besetzungsliste tauchen Familiennamen wie Lehmberg, Böhm oder Schubbert mehrfach auf.
Mit 72 Jahren ist Herbert Edert ist der Senior auf der Bühne. In diesem Jahr spielt er den spanischen Sergeant Pedro. Seit zwölf Jahren ist der ehemalige Masseur am 30 April dabei. “Damals wurden dringend Darsteller gesucht und ich habe mitgemacht, damit die Tradition lebendig bleibt” erinnert er sich an seinen Start als Laiendarsteller. Miguel Fulst ist die übernächste Generation. Mit seinem Freund Yannick Böhm spielt der Fünfjährige einen Zwerg.
Es ist schon dunkel, als die Proben an diesem Dienstagabend zu Ende sind. Kälter geworden ist es auch. Die Aprilabende im Harz sind alles andere als lau, auch das ist eine Harzer Tradition. Der Frühling beginnt hier erst nach der Walpurgisnacht. Flutlicht taucht die Naturbühne in grelles Licht, hunderte Meter von Stromkabel wurden während der Probe verlegt. Die beiden Jungregisseure sind zuversichtlich. “Aber es gibt noch einiges zu tun”, sind sich Jan Mönnich und Andreas Lehmberg einig.
Bürgerreporter:in:Thomas Kügler aus Bad Sachsa |
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