Oh Happy Day (Edwin Hawkins)
Es war das Jahr 1969, als 2 junge Träumer die Gipfel des Verliebt seins erklommen. Meine Freundin Elfi und ich genossen den glückseligen Trance- Zustand, den man Liebe nennt. Der Zustand des Schwebens war geprägt und gekrönt von einem explosiven Glücksrausch, der nicht enden wollte, und es auch nicht sollte. Das Paradies umfing uns- da waren wir uns ganz sicher. Wir arbeiteten daran, diesen Schwebezustand solange wie möglich zu erhalten, um die berauschenden Gefühle in vollen Zügen zu genießen. Die schillernde Persönlichkeit meiner Freundin Elfi tauchte wie ein Komet in meinem Leben auf, dem ich nur zu folgen brauchte. Unvergessene Erlebnisse durchwirbelten mein Gehirn. Sie tanzten traumverloren in meiner jugendlichen Zeitmaschine und befreiten mich von der Steuerung meiner Gefühle. Wäre da nicht als Damokles Schwert der bestehende gesetzliche Kuppeleiparagraph gewesen, der einen Schleier der Verruftheit über dieses hoch jauchzende Glück legte, so hätten wir auch in Zukunft ohne Eheschließung den paradiesischen Zustand der Freiheit genossen. Wir hatten als Studenten ein uraltes und kleines verwinkeltes Häuschen in der Großen Gröpelgrube in Lübeck gemietet. Der Vermieter war ein Kneipier aus Hamburg, der das elterliche Domizil uns mit der wichtigen Frage übergab: „Ihr seid doch verheiratet?“ Wir bejahten überzeugend und gaben uns ein Kuss, um unsere Bestätigung zusätzlich zu unterstreichen. Selbst unserer Hündin Tobsy, einer Promenadenmischung aus Pudel und Schnauzer war die Wichtigkeit der Frage bewusst. Auch sie nickte sofort, dass beim Vermieter kein Ansatz von Zweifel aufkommen konnte. Nun waren wir stolze Mieter dieses kleinen Häuschens. Unsere Küche besaß keine Spülmaschine, aber wir verfügten über eine große Menge an Porzellan, das vom Vermieter auf dem Speicher gelagert war und jetzt auf seinen Einsatz wartete. So wurde das neue Zuhause ein Treffpunkt interessanter Leute, die über Gott und die Welt diskutierten. Besonders ideenreich und lustig waren 3 junge Schauspieler aus dem Lübecker Theater, die in ihrem Beruf nur ein kleines Einkommen hatten, trotzdem aber sehr glücklich wirkten. Auch wir waren nicht mit Geld gesegnet, aber sehr zufrieden mit unserem freien Leben. Wir spürten eine unbändige Energie, um selbst die Welt aus den Angeln zu heben. Nach einiger Zeit jedoch keimte in uns der Wunsch, unser freies Zusammenleben durch eine standesamtliche Trauung zu legalisieren. Es war Anfang Juli, als wir unsere überzeugten Schritte zum Standesamt in Lübeck lenkten, um einen Termin für unsere Hochzeit festzulegen. Als wir jedoch den Wunsch äußerten, noch im August zu heiraten, verdunkelte sich das anfangs freundliche Gesicht des Beamten. „Warum in Gottes Namen wollen sie unbedingt im August heiraten? Alle Termine sind belegt. Dagegen gibt es viele im September.“ „Wegen der Steuer!“ war meine spontane Antwort. Wenn man nämlich im August heiratete, galt man das ganze Jahr steuerrechtlich als Ehepaar. Meine Spontanität zauberte jedoch keinen Glücksrausch auf die Wangen meiner Angebeteten. Dicke Tränen kullerten über ihr schönes Gesicht, die sie geschickt mit einem Taschentuch auffing. Ich war mir keiner Schuld bewusst, da ich ja nur die Wahrheit geäußert hatte, ohne dabei zu ahnen, dass weibliche Wesen über eine mir verborgene Sensibilität verfügten. Während ich, ohne es zu ahnen, in ein Fettnäpfchen getreten war, entwickelte der Standesbeamte Mitleid zu Elfi, zu diesem wunderschönen Mädchen. Er durchforstete noch einmal und intensiv die Akten und bediente sich seines Zeigefingers als Suchmaschine. Dann entsprangen seinem Mund die erlösenden Worte. „Ich kann Ihnen Donnerstag, den 28. August 1969 allerdings um 8 Uhr anbieten, da ist ein zukünftiger Ehemann abgesprungen.“ Dieser Ausspruch zauberte Freude in mein Gesicht, ich war auch an einem Donnerstag im September geboren. Mutig umarmte ich Elfe, die wahrlich noch nicht lächeln konnte. Wir bestätigten den für uns so wichtigen Termin. Ein ergänzender Satz von mir ließ den Beamten jedoch erstarren: „Wir möchten ohne Eheringe heiraten! Das ist doch in Ordnung?“ „Das ist in meiner Amtszeit noch nicht vorgekommen. Ich bin mir nicht sicher, ob das überhaupt geht.“ Er nahm wortlos den Hörer seines Telefons in die Hand und wählte auf der Rundscheibe mehrere Zahlen. Dann sprach er vollkommen emotionslos: „Hier ist ein angehendes Ehepaar, das ohne Eheringe heiraten will. Gibt es eine gesetzliche Vorschrift, die das erlaubt?“ Es dauerte Minuten, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, bis er seinen Kopf zu uns drehte: „Es liegt keine gesetzliche Auflage vor, die ihren Wunsch verbietet.“ Dabei schaute er mit einem Blick voller Mitleid auf Elfe, die sich bemühte, wieder ein Lächeln in ihr Gesicht zu zaubern. Seine Zukunftsprognose für dieses angehende und dabei doch seltsam wirkende Paar behielt er Gott sei Dank für sich. Er bemühte sich, in eine beamtenmäßige Sachlichkeit zu flüchten, um seine wirklichen Emotionen zu verbergen. Diese Geschichte war wirklich so ungeheuerlich, das würde ihm keiner seiner Kollegen glauben. Elfi wirkte entrückt, als wäre sie auf einem anderen Stern, und sie wandelte wie eine Traumtänzerin auf den Ausgang zu. Die Wochen bis zum Hochzeitstermin verflogen unbeschreiblich schnell. Am 20. August schellte es an unserer Haustür. Vor uns standen mein Schulfreund Wolfgang mit einer Freundin, die wir bisher noch nicht kannten. Beide machten Campingurlaub am Timmendorfer Strand. Sie schickte uns wahrlich der Himmel. Wir brauchten 2 Trauzeugen, und die waren auf wundersame Weise gerade erschienen. Beide von ihrer zukünftigen Aufgabe zu überzeugen, entwickelte sich als Schwerstarbeit. „Wir machen Campingurlaub und sind kleidungsmäßig nicht gerichtet.“ Das ist überhaupt kein Problem“ erwiderte ich.“ Ich besitze 2 Anzüge und den einen leihe ich dir“. Ich zog den Anzug aus dem Schrank und bat Wolfgang zur Anprobe. Die Jacke war passend, aber an den Hosenbeinen zeigte sich enormes Hochwasser, da er 15 bis 20 cm größer als ich war. Ein paar schwarze Kniestrümpfe würden dieses Manko verdecken, meinte ich. Wolfgang sah schon komisch aus. Er versuchte mühsam zu lächeln, seine Freundin brach dagegen in schallendes Gelächter aus. Dann erklärte er mich als verrückt, aber das sei ich ja schon in der Schule gewesen. „Hochzeit als Happening- Veranstaltung,- wenn ich das so überdenke, es ist einfach genial“, sagte er schelmisch und es passe zu uns. Wir waren froh, dass wir diese Beiden als Trauzeugen gefunden hatten. Am 27.08.1969 sollte in unserem kleinen windschiefen Häuschen der Polterabend stattfinden. Wolfgang und seine Freundin waren verhindert, da sie Karten für eine Theateraufführung an diesem Abend bereits gekauft hatten. Sie versprachen aber, uns am 28. August um 7 Uhr 30 mit ihrem kleinen Auto abzuholen. Elfe hatte 2 Arbeitskolleginnen aus dem Café Niederegger eingeladen, wo sie augenblicklich jobbte, um Geld zu verdienen. 2 Schauspieler aus dem Theater vervollständigten die Abend-Gesellschaft. Diese zeigten eine ausgelassene Fröhlichkeit und verfügten über einen enormen Durst. Musik der Rolling Stones schallte durch das kleine Wohnzimmer und die Männer vom Theater zeigten extravertierte tänzerische Qualitäten, die alle elektrisierte und zum Nachahmen anregte. Ausgelassenheit breitete sich aus, und der Abend wurde immer fröhlicher. Inzwischen hatte sich der Himmel dunkel zugezogen und Regenwolken überlagerten unser Haus. Elfe und ich tanzten mit einem Enthusiasmus, als wollten wir die letzten Stunden der Freiheit ausgiebig genießen. Auch Tobsy, unser Hündin, drehte sich mit eigenen Pirouetten, in der Hoffnung, dass ein Knochen oder irgendetwas Essbares für sie vom Tisch fallen würde. Einer der Anwesenden hatte schließlich die grandiose Idee, eine Polonaise durch Haus und Garten zu veranstalten. Inzwischen regnete es wolkenbruchartig und unser kleiner Hofgarten verwandelte sich in eine Seenlandschaft. Das störte aber keinen. Es machte sogar Spaß, wie kleine Kinder im Matsch herum zu springen. Die Uhr zeigte 3 Uhr in der Nacht, als wir beschlossen, die Party zu beenden. 2 Wecker wurden auf 6;30 Uhr gestellt, um den wichtigen Termin um 8 Uhr nicht zu verpassen. Wir wurden pünktlich und gnadenlos von ihnen geweckt. Die Zeitmesser hatten kein Mitleid mit unserem etwas desolat wirkenden Zustand. Wolfgang und Klaudia erschienen pünktlich und fröhlich. Sie wirkten im Gegensatz zu uns ausgeruht. Ich sah in meinem „Kommunion- Anzug“ aus wie ein Pennäler, Elfi dagegen strahlte in ihrem Etikettenkleid Schönheit und Anmut aus. Schüchtern fragte sie nach dem Brautstrauß, den ich als Bräutigam zu besorgen hatte. Aber diese Verpflichtung war bei mir in der Aufregung wirklich in die Vergessenheit geraten. „Na dann heiraten wir ohne Blumen, Ringe haben wir ja auch nicht!“ erwiderte Elfi mit einem schelmischen Lächeln. Um 7;30 Uhr saßen wir mit 4 Personen und unserem Hund in dem kleinen R4. Tobsy ruhte brav auf dem Schoß von Elfi und ließ sich liebevoll streicheln. Da tauchte vor uns wie ein Wunder in der Innenstadt ein beleuchteter Blumenladen auf, der offen erschien. Der Eingang wurde gerade von einer Frau im mittleren Alter geputzt. Nachdem wir unser Anliegen vortrugen, erklärte sie, dass sie nicht die Inhaberin des Geschäftes wäre und vom Blumenbinden überhaupt keine Ahnung hätte. Ich drückte ihr einen 10 DM- Schein in die Hand, und Elfi zauberte aus dem großen Sortiment des Ladens einen kleinen Strauß, den sie abschließend noch mit einer weißen Banderole verzierte. Sie sah bei ihrem Tun wie eine Madonna aus, die von einem Blumenmeer umrahmt war. Ich war unsterblich in dieses Mädchen verliebt, die mutig war, mit mir eine Ehe ein zu gehen. Wir betrachteten beide den kleinen aber so innig gewünschten Brautstrauß als gutes Omen für eine lange Ehe. Dann verließen wir überglücklich den Laden, bedankten uns bei der Putzfrau, die Ähnliches bisher bestimmt noch nicht erlebt hatte. Tobsy beschnupperte uns bei unserer Rückkehr sehr intensiv. Sie war noch nicht zum Vegetarier mutiert. So bewunderte sie das kleine Kunstwerk von Frauchen, ohne hinein zu beißen. Wolfgang und Klaudia schmunzelten zufrieden, da der Friede auf unergründliche Weise zurückgekehrt war. Um 7:50 Uhr erreichten wir das schöne Standesamt in Lübeck, das in einem Parkschlösschen untergebracht war. Tobsy musste im Auto bleiben, da Tiere das Gebäude nicht betreten durften. Wir hatten für ausreichend Luftzufuhr gesorgt, in dem wir das Fenster im Auto halb geöffnet ließen. Die Tür zum Trauzimmer öffnete sich magisch zum Glockenschlag von 8 Uhr. Ein junger Standesbeamte mit einem mitreißenden Hollywood Lächeln begrüßte uns im dunklen Designer Anzug. Er bat uns, einzutreten. Seine schwarzen Schuhe waren so poliert, dass ich mich in ihnen spiegeln konnte. Dagegen zeigten die meinigen eine dicke Lehmkruste, Spuren einer fröhlichen Party bei strömenden Regen in unserem Garten. Mon Dieu, warum war mir dieser Sachverhalt heute am frühen Morgen nicht aufgefallen. Wir nahmen am Trautisch Platz. Dabei versuchte ich, meine erbärmlich aussehenden Schuhe so weit wie möglich unter meinem Stuhl zu verstecken. Dieses Bemühen musste ich aber unterbrechen, da ich dabei fast vom Sitzplatz gefallen wäre. Zu guter Letzt entwickelte sich bei mir ein so starkes Druckgefühl in meinem Magen, und ich bat, kurzfristig die Toilette aufsuchen zu müssen. Der Beamte zeigte bei meiner Rückkehr keine Nervosität und lächelte etwas gequält. Zur Krönung dieser Pannenserie öffnete sich plötzlich die Tür und unsere Hündin Tobsy schoss wie ein schwarzer Blitz in das Trauzimmer. Sie begrüßte uns leidenschaftlich, als wollte sie uns noch vor ewigen Bindung bewahren. Dann legte sie sich brav unter Elfies Stuhl und wurde aus Zeitgründen von dem Beamten nicht nach draußen verwiesen. Sie beobachte als „Ersatztrauzeuge“ den Fortlauf des Geschehens. Die Rolle des Menschen im schwarzen Anzug mit den lackierten Schuhen und der gebügelten Krawatte schien ihr von Anfang an als suspekt. Gut, das sie gerade heute als Wachhund hier sein durfte. Der Standesbeamte hinter dem Tisch holte hörbar tief Luft, bevor er auf die besondere Bedeutung der Ehe einging. Tobsy wirkte verunsichert, als er von den für sie unendlichen Verpflichtungen bei der menschlichen Eheschließung erfuhr. Diese gab es bei Hunden nicht. Man gab seinen emotionalen Empfindungen freien Lauf, und das war gut so. Nach der Vision einer lebenslangen Bindung ergänzte der Beamte: „Als Symbol Eurer ewigen Treue und des harmonischen Zusammenlebens wechselt nun eure Ringe!“ Meine Reaktion war kurz und ernüchternd. „Wir haben im Vorgespräch ausdrücklich auf den Verzicht der Ringe hingewiesen!“, was unserer Hündin zum Nicken animierte. Der Beamte räusperte sich verlegen und schien ab diesem Moment die weitere Trauung zu verkürzen. Nachdem wir und unsere Trauzeugen das wichtige Dokument der Eheschließung unterschrieben hatten, gab er uns nur kurz die Hand und verabschiedete sich. Beim Rausgehen registrierte er dann noch die viel zu kurzen Hosenbeine unseres Trauzeugen Wolfgang. Nein, diese Trauung würde in den Annalen seiner Arbeitsgeschichte einen besonderen Platz einnehmen. Nun, Elfi und ich waren jetzt ein Ehepaar, ohne uns der Bedeutung dieser Tatsache bewusst zu sein. Unsere Trauzeugen retteten die melancholische Stimmung durch einen wunderschönen Vorschlag. „Unser Geschenk für diese tolle Hochzeit ist die Einladung zum Hochzeitsessen am Ratzeburger See.“ Wir genossen glücklich das schmackhafte Essen an diesem idyllischen Ort. Die Sonne lachte, zwinkerte und schickte kometenhafte Strahlen eines besonderen Lichts auf uns. Sie hatte bestimmt bemerkt, dass das Lied von Edwin Hawkins „Oh Happy Day“ in den single- Charts am 28.08.1969 den 1. Platz erreicht hatte; es war besonderer Tag. Unsere Hochzeit! Seit diesem Donnerstag, den 28.08.1969 sind 50 Jahre wie im Flug vergangen. Wir haben ein wichtiges Etappenziel, die Goldene Hochzeit erreicht. Unsere Rückbesinnung ist ein Eintauchen in eine Welt, die von jugendlicher Explosivität geprägt war. Wir lösten verkrustete Normen und Verhaltensweisen einfach auf. Heraus sprudelten Träume und Visionen, neue Wege ein zu schlagen, die zielgerichtet zur Freiheit und zum Paradies führten. Wir Zwei erleben den Zustand des glücklichen Schwebens in einem langen Lichtraum, dessen Ende bis heute nicht sichtbar ist.
Lübeck war und ist ein Meilenstein in unserer Geschichte, der uns viel Glück und Freude gebracht hat. Aus der anfänglich kleinen Familie ist auf wundersame Weise eine große Familie geworden, auf die wir sehr stolz sind. Denn Verliebt sein kennt keine Grenzen, sondern eröffnet Freiheiten, die zum Träumen bestimmt sind.
Copyright Werner Jung, Bad Ems- Projekt 2019 Die Veröffentlichung, auch in Auszügen, bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers.
Bürgerreporter:in:Werner Jung aus Bad Ems |
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