Ein Spaziergang durch Kindheitserinnerungen in Alzey / Rheinhessen von 1947 - 1953. Teil 1
Geboren wurde ich im Herzen der Volkerstadt Alzey.
Am Feuerwehrplatz und am Kronenplatz stand das Haus in dem ich das Licht der Welt am Rosenmontag erblickt habe. Das Haus war einmal eine Schule und deshalb hatten wir für ein Wohnhaus ein hochherrschaftliches Entree mit einer breiten schweren Holztür hinter der sich ein paar Stufen höher eine breite Pendeltür befand. Danach stand man erst am Fuß der breiten Holztreppe, die auf eine riesige Diele mündete. Bevor der größte Teil der Schule einstürzte befand sich auf der linken Seite unsere Wohnung und auf der rechten Seite wohnte auch eine Familie. Nach dem Einsturz gab es die Wohnung auf der rechten Seite nicht mehr, so dass wir alleine auf der Etage wohnten.
Mein Opa hatte eine große Schneiderwerkstatt mit einem riesigen Tisch, auf dem die Schneider im Schneidersitz saßen und nähten.
An Weihnachten wurde die Werkstatt zum Weihnachtszimmer umfunktioniert. Meine Oma ging mit mir am Heiligen Abend in die Mansarde um auf das Christkind zu warten. Ich habe dann immer gebettelt, dass sie mir Küchenmädchenlieder vorsingt wie „Mariechen saß weinend im Garten“, „Du holde Gärtnersfrau“ und von dem Kind, dass seine Mutter in den Keller gesperrt und verhungern lassen hat. Natürlich hatte ich dann immer dabei geheult wie ein Schlosshund und genau so sah ich auch aus. Meine Oma hat dann jedes Mal geschimpft bekommen von meiner Mutter. So begann jedes Jahr bei uns Weihnachten. In dem Weihnachtszimmer stand ein riesiger Lichterbaum von der Erde bis zur Decke. Der lange Tisch war festlich gedeckt und jedes Jahr bekam meine Puppe Heidi neue Kleider vom Christkind, meine Puppenstube und mein Kaufladen waren auch wieder frisch tapeziert. Als ich lesen konnte kam immer noch ein Schneiderbuch hinzu, das ich am gleichen Abend auslas.
Später kauften meine Eltern das Nachbarhaus aber ich war tagsüber weiterhin in diesem Haus bei meiner Oma, da meine Mutter auch den ganzen Tag arbeiten ging. Sie war Buchhalterin im Jenaer Glaswerk in Mainz wo sie eine leitende Stellung hatte.
Zwischen den Linden auf dem Kronenplatz, damals waren es noch alte
mächtige Bäume, stand ein Geschnuckelsbüdchen. Das war das Paradies für mich. Dort hatte ich immer mein Taschengeld umgetauscht in Süßigkeiten.
Mein Weg zum Kindergarten hat immer noch Kopfsteinpflaster. Eine katholische Schule stand und steht auch immer noch in dem kleinen Gässchen. Wir hatten in Alzey eine Mädchenschule, eine Jungenschule und eine katholische Schule. Bei mir in der Klasse waren allerdings auch ein paar katholische Mädchen. Das waren jetzt nur die Volksschulen. Es gab auch noch Realschule, Gymnasium, Handelsschule und eine Privatschule.
Zuerst war ich im katholischen Kindergarten, wechselte aber dann in den evangelischen, der gleich nebenan sich befand.
Bei den Kindergärten und der kath. Schule befindet sich noch ein ansehnliches Stück der alten Stadtmauer mit dem Hexenturm.
Im Hexenturm wurden wir eingesperrt wenn wir nicht brav waren. Eines Tages wurde ein Kind vergessen und hat die ganze Nacht darin verbringen müssen. Das war natürlich ein Riesenskandal und danach wurde die Tür abgeschlossen damit so etwas nicht mehr passieren konnte. Was mit der Kindergärtnerin passierte weiß ich nicht mehr. Mir persönlich wurde erspart den Hexenturm von innen anzuschauen.
Von überall grüßt immer wieder der Turm der Nicolaikirche.
Auf manchen Straßen befindet sich noch das Pflaster über das schon meine Kinderfüße liefen.
Das Tor zum Schlossbezirk hat mich immer besonders fasziniert. Zu meiner Kinderzeit wuchsen auf dem rechten Turm Bäume. Die Strasse Im Schlossbezirk ist im gleichen Zustand wie zu meinen Kindertagen. Im Hintergrund der Schlossturm war damals das Gefängnis.
Jetzt sehe ich einen Eingang zum Schloss, das mir immer sehr imponiert hatte. An der unteren Seite war eine Gärtnerei.
In der Schlossgasse gehe ich an dem Haus vorbei, in dem meine Mutter bis zum Ende des Krieges gewohnt hatte. Auch auf meinem Weg zur Schule musste ich immer hier vorbei. Damals wohnten Franzosen darin. Die französischen Kinder hatten sich immer Straßenschlachten mit uns liefern wollen. Wir waren allerdings auch immer frech zu ihnen und riefen: „Zaalück aal Dreckschipp“ und dann sind wir abgesaust und die Franzosen hinter uns her. Für uns Kinder war der Krieg noch nicht zu Ende Da ging es immer zur Sache, solange sie hier in Alzey waren. Das betraf allerdings nur die Franzosen. Die Amerikaner waren unsere Freunde.
In dem Eckhaus mit dem Balkon hatte der Kinderfreund meiner Mutter gewohnt. Sie hat mir oft erzählt, wie entsetzt sie war, als sie eines Tages morgens auf die Straße trat um zur Schule zu gehen und die ganzen Möbel dieser Familie auf der Straße lagen. Die Mutter ihres Freundes hat meine Mutter auch nicht mehr ins Haus gelassen. Sie sagte: „Gertrudchen, Du kannst jetzt nicht mehr zu uns kommen“. Es waren Juden und es war der Morgen nach der Kristallnacht.
Dieter bei Massa fällt mir allerhand ein da Karlheinz die Freundin meiner Mutter geheiratet hat. Sie hatten sich während dem Krieg kennengelernt und alle gefährlichen Gegebenheiten uber Jahre gemeistert. Ein Sieg der Liebe.
Meiner Mutter war erst nach dem Krieg zum Bewußtsein gekommen, in welcher Gefahr sie sich befand.