Neuer Gedenkort
Erinnern an Aichachs vergessene Frauen
„Der Gedenkort soll an eine schlimme Zeit erinnern und damit dem Vergessen entgegenwirken“. Diesen Wunsch äußerte Erster Bürgermeister Klaus Habermann bei der Einweihung des neuen Gedenkortes für die inhaftierten Frauen der Aichacher Strafanstalt zwischen 1933 und 1945. Unter den zahlreichen Besuchern waren auch Nachfahren ehemaliger Gefangenen. Sie zeigten sich froh und dankbar, dass es jetzt einen Gedenkort gibt, der dauerhaft an die Schicksale der 362 Frauen erinnert. Nur 199 von ihnen sind bekannt.
Im Jahr 2021 lobte die Stadt Aichach einen zweiphasigen, europaweiten Ideenwettbewerb aus, bei dem sich Künstler*innen für eine künstlerische Gestaltung und Schaffung eines Gedenkorts bewerben konnten. Eine zwölfköpfige Jury wählte aus den eingereichten Vorschlägen den Entwurf der Künstler Raphaela Aurelia Sauer aus Trier und Michael Meraner aus Eppan in Südtirol aus. Die Kosten tragen die Stadt Aichach und der Landkreis Aichach-Friedberg, die Sparkasse Aichach-Schrobenhausen leistete aus ihrer Förderstiftung einen Zuschuss.
Das Mahnmal besteht aus zwei Erinnerungsstelen – ein Marmorblock und ein Graphitblock stehen sich gegenüber, nur ein Spalt trennt sie. Die Außenseiten der schweren archaischen Steinblöcke zieren fragile Muster, sie erinnern an steinzeitliche Frauen-Menhire. Diese feinteiligen, labyrinthartigen Gravuren bestehen aus QR-Codes. So gelangt man auf die eigens für diesen Gedenkort geschaffene Webseite www.vergessenefrauenvonaichach.com.
Zitiert aus einem Brief
Eine zentrale Textbotschaft befindet sich im spannungsgeladenen Zwischenraum der mächtigen Steine. Um diese Botschaft lesen zu können, müssen die Menschen den Ort der Erinnerung betreten und genau hinsehen. Stellvertretend für das Leid der vielen Opfer wird die Italienische Widerstandskämpferin Vera Michelin-Salomon zitiert - unter anderem mit den Worten "die Welt muss daran arbeiten, sich eine bessere Zukunft zu schaffen." Sie wurde mit 18 Jahren in der Strafanstalt Aichach inhaftiert, hat das Nazi-Regime überlebt und sich bis zu ihrem 96. Lebensjahr unermüdlich für Friede und Völkerverständigung eingesetzt. Eine Passage eines Briefes der 21-jährigen Vera an ihre Eltern kurz nach ihrer Befreiung wurde in Zusammenarbeit mit der Wettbewerbs-Jury ausgewählt.
Dieser Jury gehörte auch Marion Brülls und Jacoba Zapf vom Frauenforum an. Sie hatten schon vor Jahren angeregt, einen solchen Gedenkort zu schaffen. Nachdem der favorisierte Standort an der Justizvollzugsanstalt nicht realisiert werden konnte, haben die Verantwortlichen mit Stadtarchiv und Stadtmuseum einen ähnlich prominenten Standort gefunden, wie Erster Bürgermeister Klaus Habermann ausführte. Das Gebäude war damals das Krankenhaus, in dem über 100 Zwangsterilisationen an Aichacher Gefangenen vorgenommen wurden.
Auf Initiative des Frauenforums Aichach-Friedberg war auch der Historiker Dr. Franz Josef Merkl beauftragt worden, die Geschichte der Frauen in der Strafanstalt Aichach aufzuarbeiten, denen während des nationalsozialistischen Regimes Unrecht widerfahren ist. Die von 1905 bis 1908 errichtete Strafanstalt für Frauen wurde im Januar 1909 mit Platz für 550 Häftlinge in Betrieb genommen. Ab 1933 stieg die Anzahl der Insassinnen erheblich. Grund dafür waren verschiedene Gesetze, die es den Behörden erleichterte, unliebsame Personen zu inhaftieren und auch nach Verbüßung ihrer Haftstrafe weiter festzuhalten „solange es der Zweck erfordert“. Bei Kriegsende waren fast 2000 Frauen in der Strafanstalt Aichach eingesperrt.
Strengstens geahndet wurden auch kleinere Delikte wie Diebstahl, Bettelei, Obdachlosigkeit, Landstreicherei und Prostitution. Für politisch missliebige Personen konnte eine „Schutzhaft“ erlassen werden. Das „Gesetz über die Verhütung erbkranken Nachwuchses“ lieferte die Grundlage für die zwangsweise Sterilisation von Gefangenen.
Der Jahreswechsel 1942/43 brachte eine dramatische Wende für jüdische, polnische sowie Sinti- und Roma-Frauen, Frauen in Sicherungsverwahrung und zahlreiche Frauen mit längeren Zuchthausstrafen. Sie wurden „der Polizei übergeben“, eine schreckliche Umschreibung für ihre Deportation und den Mord an fast allen von ihnen. Insgesamt wurden in sieben Transporten hunderte Gefangene von Aichach nach Ausschwitz-Birkenau deportiert und dort ermordet. Nur zwei Frauen überlebten.
Spuren in die Stadt tragen
Landrat Dr. Klaus Metzger betonte, der Gedenkort mache sicht- und greifbar, was bisher nur abstrakt gewesen sei. Die Einweihung sei daher der wohl wichtigste Anlass in diesem Jahr, machte er die Bedeutung für Aichach und den Landkreis deutlich. Greifbar ist in Falle des neuen Gedenkortes nicht nur sprichwörtlich gemeint. Denn durch die Berührung der fein glänzenden Oberfläche des schwarzen Graphits füllen sich die Poren der Haut mit den dunklen Pigmenten, die Berührungen werden so dokumentiert und im Stadtraum verteilt – als Zeichen, dass man hier war, dass man gesehen hat. So werden die Besucher*innen ein Teil des Kunstwerkes. Die Graphit-Stele wird sich durch die ständigen Berührungen im Laufe der Zeit auflösen und der große Marmorblock wird nach Jahrhunderten alleine zurückbleiben und die Textbotschaft in die Welt tragen und dauerhaft an die Frauen erinnern. Denn, wie es Bürgermeister Habermann zu Beginn seiner Begrüßung Schriftsteller Lothar Schmidt zitierte: „Vergessen ist die Entschuldigung der Undankbaren und die Ausrede der Schuldigen“.
Bürgerreporter:in:Stadt Aichach aus Aichach | |
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