Mit Motorrädern „Auf dem Dach Europas“ unterwegs!
Viele kennen sie nur aus dem Radio, wenn im Oktober die Wintersperren der höchsten befahrbaren Alpenpässe durchgegeben werden. Ihre Namen, Col de`l Iseran, Col de`Izoard, Col du Galibier, Col Agnel und nicht zu letzt der, mit 2802 Metern höchste, Col de la Bonette klingen für uns Deutsche wie der Text eines französischen Chansons doch sie lassen die Herzen aller Motorradfahrer gleichermaßen höher schlagen.
Für eine Gruppe Zweiradpiloten der Motorradfreunde Marburger Land e.V. wurden aus abstrakten Namen nun konkrete Bilder, denn sie erfüllten sich den Traum das Dach Europas, die Französischen Seealpen, auf zwei Rädern zu erkunden.
Erstes Etappenziel war der berühmte französische Wintersportort Chamonix, von wo aus die Zweiradfahrer das Mont-Blanc-Massiv per Seilbahn erklimmen wollten. Hier zeigten sich die Alpen aber von ihrer rauen Seite. Schneetreiben und dichter Nebel auf dem Gipfel des höchsten europäischen Berges verhinderten das Vorhaben. Stadtdessen bezog man nach 760 Kilometern das Zwischenquartier im nahegelegenen Ugine.
Der zweite Teil der Anreise, die 350 Kilometer lange Strecke ins Herz der Seealpen über die Route des Grandes Alpes nach Barcelonnette ließ trotz zeitweiligem Sprühregen Vorfreude auf die kommenden neun Tage auf dem Dach Europas aufkommen, denn der Reisegruppe stellten sich die ersten Pässe über 2000 Metern Höhe entgegen.
Barcelonnette, das Stefan Sack als Ausgangspunkt für die Erkundung der Seealpen ausgesucht hatte, stellte sich als strategischer Glücksfall heraus. Allein vier Alpenüberfahrten über 2000 Metern Höhe säumen das malerische Alpenstädtchen, darunter der höchste befahrbare Alpenpass Col de la Bonette.
Bevor die Motorradgruppe aus dem Marburger Land eine Kurvenorgie nach der anderen und Passstraßen wie Perlenschnüre abspulte, begannen sie mit einer Tour in das Departement Alpes-de-Haute-Provence zum berühmten Gorges du Verdon, umgangssprachlich auch Grand Canyon du Verdon genannt. Bis zu 700 Metern tief haben hier gewaltige Wassermassen am Ende der Eiszeit Furchen in das weiche Gestein gefräst an deren unzugänglichen Abhängen heute Weißkopfseeadler ihre Horste bauen und deren Segelkünste von den Gästen aus dem Kreis Marburg beobachtet wurden. Von den wenigen, aber spektakulären Brücken über den Grand Canyon stürzen sich wagemutige an Bungeeseilen in die Schlucht herab!
Nach einer eintägigen Zwangspause wegen miserablem Wetter begannen für die Motorradgruppe die Touren auf dem Dach der Hochalpen. Dass die Höhe einer Passstraßen nicht gleichbedeutend mit hohem Anspruch an das fahrerische Können oder die Schönheit der Umgebung sein muss verdeutlichte Tourguide Jörg Lenz, als er seine Motorradfreunde über den Col de Turini und den Col de Tende führte. Der legendäre 1607 Meter hohe Turini gilt als einer der schönsten Alpenpässe überhaupt, nicht nur weil auf ihm die berühmte „Nacht der langen Messer“ der Ralley Monte Carlo ausgetragen wurde. Noch heute zelebrieren die Freunde der „Monte“ ihren Berg. Viele Oldtimerliebhaber aus aller Welt sind hier mit ihren Schmuckstücken unterwegs, die einst Motorsportgeschichte geschrieben haben und machen die Monte durch ihre Anwesenheit unsterblich!
Vor dem Col de Tende, oder italienisch Colle di Tenda, wurden die Motorradtouristen gewarnt. Diese, zu Zeiten Napoleons angelegte Verbindung zwischen dem Großraum Nizza und Cuneo in Piemont und Ventimiglia am Mittelmeer sei zwar atemberaubend schön und gehöre ganz sicher zu den schönsten Alpenüberfahrten der Hochalpen, verlange aber mit ihren 46 Kehren auf der Südrampe von denen die oberen 16 nicht asphaltiert sind, Zweiradpiloten höchstes fahrerisches Können ab. Dass diese Aussage nicht übertrieben war, erfuhr die Gruppe bei der Überfahrt. Obwohl man für dieses Terrain mit den bestmöglichen Motorrädern ausgerüstet war, ließ der Zustand des Passes nicht die kleinste Konzentrationsschwäche zu. Auf der 1871 Meter gelegenen Passhöhe wurden die fünf Piloten, die nicht den Weg durch den Tunnel genommen hatten mit einer grandiosen Aussicht belohnt. Die, aus dem 19. Jahrhundert stammende Ruine des Fort Centrale zeugt noch heute von der einst strategischen Bedeutung des Col de Tende als Grenzübergang zwischen Frankreich und Italien.
Fahrerisch weit unspektakulärer, dafür aber von einer unwirklichen Schönheit war die Durchfahrt durch die beiden Alpenschluchten Georges du Cians et Daluis, die man bei greller Mittagssonne unter die Räder nahm. Die Cians-Schlucht im französischen Département Alpes-Maritimes zählt mit ihren besonders im oberen Teil kräftig roten Schieferfelsen zu den schönsten Schluchten der Alpen. Der untere Teil der gut 25 Kilometer langen Schlucht ist dagegen geprägt von grau-weißem Kalkgestein und so bröckelig, daß er an Gebilde in Legoland erinnert. Der Michelin-Reiseführer verleiht den Schluchten für ihre Schönheit drei Sterne!
Als man nach acht Tagen die französischen Seealpen verließ, hatten die acht Biker so viele großartige Eindrücke im Gepäck, von denen man glaubte sie nicht mehr überbieten zu können wenn, - - - ja wenn da nicht der unerfüllte Wunsch gewesen wäre, dem höchsten Berg Europas, dem Mont Blanc zum Greifen nahe sein zu können!
Also plante Tourguide Jörg Lenz die Rückreise kurzer Hand um und führte die Gruppe über Chamonix zurück. Dort, wo man bei der Hinreise in Nebel und Schneetreiben Berge nur vermuten konnte, zeigte sich nun das Mont Blanc Massiv in gleißendem Sonnenlicht! Also erklomm man mittels zweier Seilbahnen das Felsmassiv bis auf 3842 Metern Höhe und wurde im doppelten Sinn des Wortes atemlos: zum Einen wegen der Schönheit, in der sich das Dach Europas zeigte, zum Anderen wegen der, in dieser Höhe, dünnen Luft, die das Atmen zur Schwerstarbeit werden ließ! Wortlos blickten die Biker auf die Viertausender direkt vor ihnen. In ihren Erinnerungen tauchten die Schilderungen von Louis Trenker und Reinhold Messner auf, in denen diese populären Bergsteiger die Schönheit „ihrer“ Berge lobpreisten! Nicht zu glauben, dass sie maßlos untertrieben hatten. In Schnee gehüllt majestätisch der Mont Blanc umringt von weiteren Viertausendern, die durch schroffen Fels ihre Unbezwingbarkeit demonstrierten.
Dazwischen, kaum mit bloßem Auge zu erkennen, einige Seilschaften, die sich durch Schnee- und über Gletschermassen den Weg vom Basislager zum Gipfel Europas bahnten.
Als die Biker der Motorradfreunde Marburger Land e.V. den 760 Kilometer weiten Weg vom Mont Blanc in die Heimat antraten, war die wichtigste Fracht ihrer Bikes nicht in den Motorradkoffern, sondern in ihren Erinnerungen, von wo aus sie über die bevorstehende dunkle Jahreszeit bei Gesprächen und Schilderungen hervorgeholt, noch machen geselligen Abend bereichern werden!
Das kann ich mir gut vorstellen, dass diese Tour noch recht lange für Unterhaltung sorgen wird. Schöner Bericht und beeindruckende Fotos.