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Der Eschenbaum von Herhahn

Damit es nicht verloren geht!

Da, wo keine schriftlichen Dokumente mehr vorhanden sind, müssen mündliche Überlieferungen die fehlenden Puzzles ersetzen. Diese mündlichen Überlieferungen wurden als Geschichten von Generation zu Generation weitergegeben. Dabei runden Orts- und Flurnamen (in alter Volkssprache), Wegverläufe sowie Reste von alten Gebäuden und Gräber (Kulturdenkmale) das geschichtliche Erscheinungsbild ab. Geschichtliche Interpretationen werden nie ein endgültiges Erscheinungsbild präsentieren können, denn die Interpretationen sind immer subjektiv und erleben durch spätere Neuentdeckungen oftmals eine gewaltige Veränderung. Wenn die vorhandenen Puzzlesteine auch noch kein scharfes Bild ergeben, sollten sie trotzdem archiviert werden, damit spätere Erkenntnisse womöglich leichter einzuordnen sind.

Die neue Serie hat sich zum Ziel gesetzt, einen breiten Kreis von geschichtlich Interessierten anzusprechen, sich zu beteiligen um vergessene Geschichte wieder mit Leben zu erfüllen. Heute geht es um:

Der Eschenbaum von Herhahn
von Klaus Wilhelm von Ameln, Einruhr
nach Ewald Karbig

Der alte Eschenbaum (Foto Klaus W. von Ameln)

Ewald Karbig aus Einruhr, der leider am 1. November 2007 verstarb, erzählte mir öfters über seine Heimat „Herhahn-Morsbach“. Damit seine Erinnerungen nicht verloren gehen, habe ich sie mit diesem Aufsatz aufgezeichnet.

Herhahn-Morsbach liegt ganz im Westen des heutigen Kreises Euskirchen und ist ein kleines Dorf, dass gerne vergessen wird, gäbe es nicht die ehemalige Ordensburg Vogelsang und die alte Römerstraße, die dazu beitrug, den späteren Ort in zwei Teile zu trennen. Die Römerstraße war nämlich die östliche Grenze des ehemaligen Heimbacher Wildbanns und danach des Landes Überrur. Ein Teil gehörte zur Grafschaft Schleiden und hatte viele Jahre Luxemburg als Oberherr; der andere Teil dagegen wurde beherrscht vom Herzogtum Jülich durch ihre Unterherrschaft Dreiborn.

Die Erinnerungen an Gehörtem bzw. an Selbsterlebtem beginnen, als Napoleon mit seinen verhassten Soldaten das Rheinland verlassen hatte und nach diesen vielen, furchtbaren Jahren nun für einige Jahre Frieden eintrat.

Einer der napoleonischen Soldaten hatte doch - neben dem Fürchterlichen, das er dem Land angetan hatte – mit dem Absatz seines Stiefels den Samen einer Esche in den Boden getreten und somit den Anfang eines langen Eschenbaumlebens bewirkt, denn nicht lange danach entspross aus dem Samen der Sprössling des Herhahner Eschenbaumes. Der Eschenbaum hat bis heute so Vieles miterlebt und könnte er sprechen, dann würde er uns das Folgende und Vieles mehr erzählen.

Seine Jugend war, wie für viele seiner Artgenossen nicht gerade die romantischste. Um 1830 entstand die allgemeine Schulpflicht. In Herhahn wurde die erste Schule gebaut, in die auch die Jungen und Mädchen aus Morsbach gehen mussten.

Die Bewohner der Ortschaften Herhahn und Morsbach gehörten zur Pfarre Olef, hatten das Bürgermeisteramt in Dreiborn, den Gerichtsstand in Aachen und das Kreishaus in Malmedy.

Alle Feuerstellen wurden mit Tannenreisig, Ginster oder Stroh angeheizt um dann mit Holz weiter versorgt zu werden. Brikette aus Kohle waren eine Seltenheit, weil sie wegen ihrer weitwegliegenden Förderstätten und - damit verbundenen - hohen Transportkosten für die Landbevölkerung viel zu teuer waren. Die Bahnlinie bis Gemünd oder Schleiden bestand zu diesem Zeitpunkt ja noch nicht und alles, was transportiert werden musste, wurde per Pferde- und Ochsengespanne oder mit dem Esel bewältigt.

Auch die ganze Landwirtschaft wurde mit Zugtiere betrieben. Hier und da wurden von denen, die sich kein Fuhrwerk leisten konnten, sogar Milchkühe eingespannt. Sowieso ging zu derzeit alles zu Fuß, denn Autos, Motorräder und Fahrräder warteten noch darauf, erfunden zu werden. Letztere tauchten dann erstmalig um 1900 auf.

Es gab noch keine Molkereien und somit wurde die gesamte Milch selbst verbuttert und - wenn möglich - verkauft.

Fast jeder ländliche Betrieb besaß einen Backofen und einen eigenen Brunnen. Elektrischer Strom war noch nicht vorhanden und so musste die Petroleumlampe als Lichtquelle dienen.

In dieser uns erscheinenden armen Zeit wuchs der junge Eschenbaum heran und behauptete seinen ihm angewiesenen Standort. Vieles hat er in seinem jungen Leben schon erlebt: den Krieg von 1870-71 zwischen Frankreich und Deutschland, das Kaiserreich und sein späterer Untergang, Hitlers Geburtstag (1889) wahrgenommen, aber sich nicht träumen lassen, dass dieser 50 Jahre später (1939) an ihm grüßend vorbeifuhr und später den Befehl dazu gab, was im Enteffekt Deutschland zu einem großen Schutthaufen machte. So gingen viele Jahre ins Land – gute und sorgenvolle und solche, in denen das Meiste verdörrte. Die Währung war wohl in dieser Zeit das Stabilste.

Mittlerweile zu einem ansehnlichen Baum herangewachsen, brach auch für ihn der erste Weltkrieg (1914-18) aus. Viele junge Männer verließen die Heimat und wurden eingezogen um für das Vaterland zu kämpfen. Dreizehn der Eingezogenen fielen auf den Schlachtfeldern und viele wurden verwundet und kehrten als verkrüppelte Menschen zurück. Das war wieder ein großer Schock für den Eschenbaum und er ließ traurig seine Äste hängen, denn er hatte sie doch alle gekannt, die aus Herhahn und Morsbach. Alle waren schon öfter an ihm vorbei gekommen und nun sollte er sie nie mehr sehen.

Wie immer heilen die Wunden und das Leben normalisiert sich wieder, so auch in Herhahn und Morsbach wo man in den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts mit dem Planen einer neuen Kirche begann. 1925 wurde der Grundstein dafür gelegt. Hier begann für den Eschenbaum, der nicht weit davon entfernt stand, ein neuer Lebensabschnitt.

Ländereien, die von den Geschwistern Katharina und Hubert Steffen als Wiedergutmachung und zur Unterhaltung eines Geistlichen an die Olefer Pfarrkirche gestiftet worden waren, standen als Baustelle zur Verfügung. Das Haus Steffen stand damals zwischen der heutigen Kirche und dem damaligen Behördenhaus der Polizei, welches von Peter Metz und seiner Frau Margarethe, geborene Weimbs einschließlich des Brunnens erworben wurde und darin noch lange ein kleines Geschäft betrieben. Im Zuge der Straßenerweiterung und des Kirchenbaues wurde das Haus abgerissen. Die Familie Metz baute direkt gegenüber, wo diese einen Gemüsegarten besaßen, ein neues Haus. Da die Baustelle aber zu klein war, kauften sie noch einige Ar vom Nachbarn, Franz Krahe, hinzu. Zwischen dem Grundstück der Metzen und dem Friedhof wurde ein kleiner Weg angelegt, der dann später von der Pfarrer-Grundmann-Straße ersetzt wurde.

Reges Treiben herrschte auf der Baustelle und der Kirchenbau nahm immer mehr Gestalt an. Bruchsteine, Sand, Kalk, Trass, Ziegelsteine und noch andere Baumaterialien wurden herangefahren.

Das Gelände für den notwendigen Friedhof wurde von den Eheleuten Hubert und Anne Margarete Monschau gespendet. An der anderen Seite des Friedhofs stand das Anwesen der Familie Geschwister Ronig. Diese Familie Ronig hatte den ältesten Schmiedebetrieb in Herhahn. Schon eine Generation vorher war das Handwerk in dieser Familie geführt worden. Zwei der Gebrüder Ronig (Johann und H. Josef) betrieben den Schmiedebetrieb bis nach dem ersten Weltkrieg. Ihre Besondere Fertigkeit war das Härten von Schneidwerkzeugen. Zu diesen unverheirateten Brüdern kam 1920 das Fräulein Anna Kupp aus Berescheid um ihnen den Haushalt zu führen. Franz Ronig, ein weiterer Bruder von Johann und H. Josef, wohnte in Morsbach; er war verheiratet und hatte zwei Töchter. Eine dieser Töchter, namens Gertrud erbte den Besitz in Herhahn und zog dort hin. Später heiratete sie den Nachbar-Jungen, Johann Hilger, der im zweiten Weltkrieg (1944) den Heldentod fand. Ihre Tochter Johanna, die aus dieser Ehe stammte, übernahm den Betrieb und heiratete Rudi Kirch aus Dreiborn.

All diese Geschehnisse: ein Kommen und Gehen, Ambossschläge, Namensänderungen und vieles mehr hat der Eschenbaum miterlebt.

An der anderen Straßenseite des Roniger Besitzes stand das Geburtshaus von Johann Nießen, auch „Juppe Jöhnchen“ genannt, der es später an die Familie Albert Hilger verkaufte. Albert Hilger übergab das Haus seinem Sohn, Josef Hilger, der mit Elisabeth Esch aus Herhahn verheiratet war. Josef Hilger starb im ersten Weltkrieg den Heldentod. Aus dieser Ehe stammte die Tochter Margarethe, verheiratete Frau Karl Pützer und seit vielen Jahren Witwe. Peter Keupgen aus Schwammenauel heiratete nach dem ersten Weltkrieg die verwitwete Elisabeth Hilger und wohnte auch dort. Aus dieser Ehe gingen zwei Jungen hervor: Josef und Heinrich Keupgen. Heinrich Keupgen wurde im zweiten Weltkrieg in Russland vermisst, Josef Keupgen kehrte schwer verwundet in die Heimat zurück. Mit seiner Frau, Martha Bremers aus Dreiborn, hatte er drei Kinder.

Der Kirchenbau und das Anlegen des Friedhofs gedeihte hervorragend. Der größte Teil des notwendigen Holzbedarfs für den Kirchenbau wollte stiften, Johann Bongards aus Morsbach, der aber zwischenzeitlich verstorben war. Einige Glaubhafte konnten aber bezeugen, dass er diesen Wunsch geäußert hatte und so konnte das benötigte Eichenholz aus der Erbmasse herausgenommen werden um es dem Kirchenbau zur Verfügung zu stellen. Es muss aber noch erwähnt werden, dass Hunderte von kleinen und größeren Spenden sowie Hunderte von unentgeltlichen Arbeitsstunden von den Bürgern zur Verfügung gestellt wurden. Auch schickte man einige beherzte Männer los, um zu kollektieren. Alles zusammen reichte dann aus, den Kirchenbau zu vollenden. Die Gesamtbauzeit dauerte von 1925 bis 1928, wo die Kirche feierlich eingeweiht wurde.

Die Kirche von Herhahn (Foto Klaus W. von Ameln)

In den ersten Jahren wurde der Gottesdienst von Pastoren aus Olef und Schleiden versehen. Die Kirche nannte sich Rektoratskirche; mit anderen Worten Filialkirche der Altpfarre Olef, der seit 1280 vierzig Ortschaften angehörten.

Ewald Karbig ist 1928 noch in der Wollseifener Kirche getauft worden. Das wird wohl daran gelegen haben, dass mindestens seit Napoleons Zeiten die westliche Seite der Ortschaft Morsbach zur Gemeinde und Pfarre Wollseifen gehörte. In der napoleonischen Zeit und danach standen im westlichen Morsbach acht Häuser mit sechsundfünfzig Personen. Da diese Bewohner von Morsbach sich benachteiligt fühlten und es wahrscheinlich auch waren, wollte Jahrzehnte lang niemand mehr dort bauen.

Alle diese Geschehnisse und Veränderungen hat der Eschenbaum wahrgenommen, aber sich nicht von der Stelle gerührt.

Wenn man sich heute das Vorhaben des Kirchenbaus vor Augen hält, dann war es doch ein großes Wagnis. Alle Ersparnisse der letzten 50 Jahre waren – wie man so sagt – faul, denn die neue Währung war gerade erst unter die Bevölkerung gekommen und landesweit herrschte eine hohe Arbeitslosigkeit. So muss man heute den Fleiß und den Ergeiz jener Menschen achten, die damals dieses Bauvorhaben vollendet haben.

Nach der Einweihung der neuen Kirche nebst dem dazu gehörigen Friedhof wurde 1928 dort die erste Leiche bestattet: Frau Gertrud Weimbs aus Morsbach; eine geborene Dahmen aus Ettelscheid.

Um 1935 erhielt Herhahn den ersten ansässigen Geistlichen, Kaplan Dr. Adolf Heitzer, der beide Dörfer zur Frömmigkeit und besonderen Heiterkeit formte: Eheschließungen, Kinderkommunionen, Musikfeste, Dorfkirmes, Theater und das allgemeine Vereinsleben.

Bei der Entstehung des sogenannten Dritten Reiches kamen für die Orte Herhahn und Morsbach die Veränderungen Schlag auf Schlag: Bau der Ordensburg Vogelsang, der Bunker und Höckerlinie, des Flugplatzes und der Umgehungsstraßen. Die Zusammenlegung der Schulen mit dem Bau der neuen Schule in Herhahn. Die Mobilmachung und Einberufung von über hundert Soldaten aus den beiden Orten.

Der Eschenbaum musste mit ansehen wie rund um ihn herum durch Granaten und Bomben alles zerfetzt und die Kirche stark beschädigt wurde; wie nordwestlich von Herhahn eine Mine detonierte und das Fuhrwerg von Johann Karbig in die Luft flog und Vieles mehr, so auch, wie 1945 beide Dörfer brannten und einige Zivilisten verwundet wurden oder sogar den Tod fanden.

Alle diese Ereignisse erlebt der Eschenbaum. Neben den freudigen aber auch viele traurige, wie herzergreifende Beerdigungen, Todes- und Unglücksfälle, die die damals noch junge Pfarre erschütterten, so auch das Schicksal der vielen jungen Männern, die durch die Kriege von Zuhause weggerissen wurden um irgendwo an einer Front zu kämpfen oder anderswo ihren Mann zu stehen. Viele, die am Kirchenbau mitgeholfen, als Messdiener oder sich auf andere Weise in der Pfarrgemeinde betätigt hatten, kehrten nie mehr in ihre geliebte Heimat zurück. Das Einzigste was von ihnen noch als Nachlass kam, war die Vermisstenmeldung oder die Todesnachricht.

Ehrenmal in Herhahn (Foto Klaus W. von Ameln)

An alle diesen Einzelschicksalen während der Kriegsjahre hatte unser damaliger Kaplan, Dr. Heitzer, Anteil genommen. In den Kriegsjahren stand er sogar mit den Soldaten der beiden Ortschaften in regem Briefkontakt. Um 1953 verließ er die Pfarrgemeinde Herhahn/Morsbach und wurde in der Pfarre Gemünd als Dechant eingeführt.

Nach der Auflösung der Pfarre Wollseifen wurde die Rektoratskirche in Herhahn zur Pfarrkirche erhoben. In den 70er Jahren wurde die Kirche, da sie zu klein geworden war, vergrößert und total umgebaut; nur das Pfarrhaus blieb, wie es war. Auf dem Friedhof in Herhahn wurde nach der Auflösung von Wollseifen ein Ehrenmal für die Gefallenen und Vermissten sowie den Ziviltoten errichtet.

Ja – der noch rüstige Eschenbaum hat so Vieles erlebt. Stolz und manchmal etwas traurig reckt er seine starken Äste zum Himmel. Seinen dicken Stamm benutzt man häufig um an ihm Bekanntmachungen oder Einladungen anzuhängen. Noch heute schaut er auf diejenigen, die unter seinem großen Laubdach Schutz suchen oder sich nach dem Kirchgang unter ihm aufhalten. Er weiß, dass er der älteste und schönste Eschenbaum in Herhahn/Morsbach ist; der auch heute noch so manches hört und sieht und doch nichts weiter erzählt. Alle, die ihn kennen, wünschen ihm noch ein langes Leben.

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