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wie ein griechischer Fischerjunge den Kapitalismus entlarvt....

Der Fischer von Milos

Seit unzähligen Jahren verbrachten die Stolzenbergs ihren Urlaub auf dieser kleinen griechischen Insel. Stets bewohnten sie dasselbe kleine Haus in geringer Entfernung zum Strand. Aber auch im Urlaub unterschied sich der Tagesablauf der Stolzenbergs kaum von jenem zuhause. Stolzenberg war Direktor einer großen Papierfabrik und wenn ihm etwas verhaßt war, dann war dies Faulheit, Untätigkeit und Müßiggang. ‘Von nichts kommt nichts!’ war sein Wahlspruch und stets war er geneigt, jedem, der ihm begegnete, diese Philosophie nahezubringen. Der daraus resultierende materielle Erfolg gestattete es den Stolzenbergs auch, mehrmals im Jahr für ein paar Wochen Urlaub zu machen. Er hatte sich in einem Winkel des Wohnraumes eine Schreibecke mit Telefon und Faxanschluß eingerichtet, um auch hier während des Urlaubs in täglicher Verbindung mit seiner Firma stehen zu können. So ganz loslassen konnte er die Dinge, die sein Leben ausmachten, auch hier nicht. Seine Frau hingegen war um beider tägliches Wohl besorgt, ging einkaufen und kochte seine Lieblingsspeisen. Es mußte eben auch im Urlaub alles seine gewohnte Ordnung haben.

„Ich geh’ mal kurz zum Strand, Liebling!“, rief Stolzenberg seiner Frau zu, die gerade in der Küche Obst schälte.
„Ist gut, Schatz. Wie lange wirst du bleiben?“, fragte sie zurück.
„Bin vielleicht in einer halben Stunde wieder da. Ich will mir nur die Füße etwas vertreten und über das Fax von gestern mal in Ruhe nachdenken. Die warten noch heute auf eine Entscheidung von mir!“

Der Morgen zeigte sich wolkenlos und sonnig. Stolzenberg zog die Haustür hinter sich zu und ging langsam auf dem schmalen, von unzähligen Kakteen und blühenden Sträuchern gesäumten Weg in Richtung Strand. Kein Lüftchen regte sich. Das Meer kräuselte sich ruhig.
Mit hochgekrempelten Hosenbeinen genoß er wenig später die sanfte Brandung des kühlen Meerwassers, das seine Füße beim Gehen umspülte. Er schlug den Weg zu den drei kleinen Felsen ein, die in einigen hundert Metern Entfernung, wie von einer riesigen Hand auf den Strand geworfen, aus dem Wasser ragten. Es war sein Lieblingsort, an den er sich manchmal zurückzog, wenn er alleine sein und nachdenken wollte. Wie stets bei solchen Spaziergängen hatte er sein Diktiergerät dabei, um alles Wichtige, das ihm unterwegs einfiel, festzuhalten.
Nach einigen Minuten war er dort. Er kletterte wie immer auf den größten der drei, von Brandung umspülte Steinbrocken und ließ sich darauf nieder. Blinzelnd, etwas geblendet von der tiefstehenden Morgensonne, die sich im Wasser spiegelte, blickte er auf das Meer hinaus. Ein paar kleinere Fischerboote waren draußen. Es roch nach Fisch und Tang. Flügelschlagend ließ sich eine Möwe auf einem der anderen beiden Felsen nieder. Eine ganze Weile beobachtete Stolzenberg den Vogel, der unruhig umherlief und dabei immer wieder einmal einen krächzenden Laut von sich gab. Dann flog er landeinwärts davon und Stolzenberg sah ihm noch kurz nach.

Als er seinen Blick wieder auf das Meer richten wollte, streifte dieser für einen kurzen Augenblick die schmale Lücke zwischen den beiden anderen Felsen. Etwas Blaues schimmerte zwischen den Steinen und erregte seine Aufmerksamkeit. Er erhob sich, kletterte von seinem Felsen wieder herunter, und machte sich neugierig daran, die beiden anderen zu umrunden.
Als er um den zweiten Felsen bog, kam der Bug eines kleinen blauen Bootes zum Vorschein, das leicht zur Seite geneigt am Strand lag. Stolzenberg dachte im ersten Moment an ein gestrandetes Boot, da er auf diesem Strandabschnitt noch niemals ein Boot gesehen hatte, als er auf einer Kante des Bootes zwei nackte Füße bemerkte. Neugierig trat er näher und sah einen jungen Mann mit geschlossenen Augen im Sand liegen, die Arme hinter seinem Kopf verschränkt.
Untätig!
Um diese Uhrzeit!
Als Stolzenberg neben den jungen Mann trat, blinzelte dieser ihn an und grüßte höflich.
„Guten Morgen!“
„Guten Morgen!“, erwiderte Stolzenberg.
Er sah kurz aufs Meer hinaus und dann wieder den jungen Mann an. „Sind Sie hier aus dem Ort? Ich habe Sie hier noch nie gesehen. Wissen Sie, meine Frau und ich, wir kommen schon seit Jahren immer wieder hierher in Urlaub. Wir wohnen immer in dem Haus dort drüben am Hang!“ und er deutete dabei in besagte Richtung. „Aber in letzter Zeit kommen immer seltener Leute vom Ort hierher zum Strand!“
„Doch, ja, ich lebe hier im Ort!“, antwortete der junge Mann. „Ich komme zwar auch selten hierher, aber es ist ein schöner ruhiger Ort, an dem man träumen und seinen Gedanken nachhängen kann. Als Kinder waren wir oft hier zum Spielen.“
„Ja, ich kann mich gut erinnern,“ meinte Stolzenberg, „früher waren öfter mal Kinder aus dem Ort hier zum Baden. Aber jetzt ist es sehr still geworden in dieser Bucht.
Und was tun Sie so...?“, will Stolzenberg weiter von ihm wissen, während er sich auf dem Rand des Bootes niederließ, auf dem noch immer die Füße des jungen Mannes ruhten.
„Ich...? Ich bin Fischer, wie die meisten hier!“, antwortete dieser nur knapp.
Und genau das war es, womit Stolzenberg sein ganzes Leben lang nicht zurecht kam. Ein junger, kräftiger und gesunder Mann, der schon am Vormittag faul in der Sonne lag und scheinbar keine Lust hatte, zu arbeiten.
In seinen Emotionen war er von diesem Augenblick an sofort gegen diesen jungen Mann eingenommen. Beinahe gereizt, bohrte Stolzenberg deshalb sogleich nach:
„Ja..., und warum sind Sie dann nicht draußen auf dem Meer und fischen, wie all die andern?“
Der junge Mann blinzelte ihn unverständlich an. Dann nahm er langsam seine Füße vom Boot und richtete sich etwas auf. Er bohrte seinen linken Ellenbogen in den Sand und stützte sein Kinn auf die flache Hand. Weniger rechtfertigend als vielmehr belustigt durch die ihm unverständliche Frage entgegnete er lächelnd: „Ich war heute schon sehr früh..., eigentlich schon vor Sonnenaufgang draußen beim Fischen!“
„Ja und..., haben Sie auch was gefangen?“, fragte Stolzenberg beinahe schon provozierend nach und der sarkastische Unterton in seiner Stimme war dabei kaum zu überhören.
„Und ob! Drei schöne Fische..., ein Barsch und zwei große Makrelen sind mir heute an die Angel gegangen. Hab’ sie mir hier auch gleich gebraten und mit dem frischen Brot, das ich heute Morgen vom Bäcker bekommen hatte, war das ein wahrhaft königliches Mahl! Jedenfalls bin ich für’s Erste mehr als satt!“
Verwundert schüttelte Stolzenberg nur den Kopf.
„Ja..., und warum fahren Sie dann nicht erneut hinaus um noch mehr Fische zu fangen?“, will er weiter von ihm wissen.
„Warum? Was soll ich damit? Ich bin doch nun mehr als satt und weshalb soll ich mehr fangen, als ich essen kann?“, entgegnete der junge Mann und sah Stolzenberg mit seinen großen, dunklen Augen direkt und beinahe irritiert an.
Stolzenberg seinerseits verwundert über so viel Einfältigkeit, die ihm hier begegnete, schüttelte nur den Kopf und ereiferte sich:
„Ja, aber wenn Sie jetzt erneut hinausfahren würden, dann könnten Sie die gefangenen Fische, auch wenn Sie diese nicht selbst brauchen, doch zumindest auf dem Markt verkaufen!“
„Und weshalb soll ich das tun?“, meinte der junge Mann lakonisch.
„Na, dann bekommen Sie Geld dafür!“
„Und, was soll ich mit dem Geld?“
Stolzenberg war außer sich. So etwas hatte er ja noch nie erlebt! „Sagen Sie mal, junger Mann, sind Sie tatsächlich so dumm - bitte verzeihen Sie - oder nehmen Sie mich erst gar nicht ernst und wollen mich nur provozieren?“
„Ach wissen Sie,“ erwiderte der junge Mann, „Dummheit ist stets eine Frage der Interpretation. Aber weshalb sollte ich Sie provozieren? Ich verstehe eben nur schwer, worauf Sie hinaus wollen.“
„Also doch dumm!“, meinte Stolzenberg feststellend. „Ich habe Ihnen doch gerade einen Weg gezeigt, um an Geld zu kommen. Zu viel davon scheinen Sie doch ohnehin nicht zu haben, oder?“
„Und, brauche ich welches?“, fragte der junge Mann zurück. „Und wofür eigentlich?“
„Darf ich Ihnen einmal eine persönliche Frage stellen?“, wandte sich Stolzenberg nach einer kleinen Pause an den jungen Fischer.
„Aber gerne,“ meinte dieser, „fragen Sie nur!“
„Nun, eigentlich gehen mir dabei sogar mehrere Fragen durch den Kopf. Aber sagen Sie mal ehrlich, sind Sie eigentlich glücklich?“

Der Junge Mann richtete sich aus seiner bequemen Haltung noch etwas auf und sah Stolzenberg mit großen Augen verwundert an. Er antwortete nicht sofort. Er sah Stolzenberg nur eindringlich und direkt in die Augen. Dann schüttelte er den Kopf und meinte nur: „Wie können Sie mir eine derartige Frage stellen? Ausgerechnet Sie! Sie kommen selbst aus dreitausend Kilometern Entfernung und nach einer beschwerlichen Reise ein oder zwei Mal im Jahr hierher, um ihrem Alltag, der ja so glücklich nicht zu sein scheint, zu entfliehen, damit Sie hier für wenigstens ein paar Tage glücklich sein können. Ich hingegen habe mein gesamtes Leben hier verbracht. Und da fragen Sie mich, ob ich glücklich bin!“

Diese Antwort verwirrte Stolzenberg, denn eigentlich wollte er auf etwas ganz anderes hinaus.

„Ich dachte dabei eher an Ihre materielle Situation und ob Sie innerhalb dieser glücklich und zufrieden sein können,“ meinte Stolzenberg „denn was können Sie sich schon groß leisten? Ich denke, ich sollte Sie einmal etwas über Prinzipien geschäftlichen Erfolges aufklären, denn davon verstehe ich offensichtlich doch etwas mehr als Sie! Sehen Sie, wenn Sie nun erneut zum Fischen hinausfahren würden, könnten Sie die gefangenen Fische auf dem Markt verkaufen. Und wenn Sie nun den Erlös aus diesem Geschäft gleich wieder investieren, sich beispielsweise eine zweite Angel dafür kaufen würden, dann könnten Sie beim nächsten Mal, wenn sie wieder hinaus fahren, schon doppelt soviel Fische fangen wie vorher, die Sie dann wiederum auf dem Markt verkaufen. Das heißt, Sie hätten nun schon den doppelten Erlös!“
Stolzenberg machte eine Pause und sah den jungen Mann erwartungsvoll an. Dieser runzelte die Stirn und schüttelte wiederum nur den Kopf.
„Nun gut, dann hätte ich eine zweite Angel und vielleicht den doppelten Erlös als vorher.“ meinte er nach einer Weile. „Und was soll ich dann damit?“
„Ja, haben Sie denn das Prinzip noch immer nicht begriffen?“, entgegnete Stolzenberg vorwurfsvoll. „Natürlich müßten Sie dann auch diesen doppelten Erlös gleich wieder investieren. Vielleicht in ein großes Fischernetz, womit Sie dann ja möglicherweise gleich zehnmal so viele Fische fangen könnten, als vorher mit ihren beiden Angeln. Mit den Gewinnen daraus könnten Sie sich dann irgendwann einmal sogar ein zweites, drittes oder viertes Boot kaufen, diese ebenso mit großen Netzen ausstatten und nun andere Fischer einstellen, die dann für Sie arbeiten würden.“

„Eine verrückte Vorstellung!“, murmelte der junge Mann nachdenklich, „andere würden für mich arbeiten!“

„Weshalb halten Sie diese Vorstellung für verrückt?“, erwiderte Stolzenberg, „Die anderen machen die Arbeit und Sie haben den Gewinn aus dem Erlös der vielen gefangenen und verkauften Fische. Einen Teil davon geben Sie zwar wieder für die Löhne der für Sie arbeitenden Leute aus. Der jeweils größere Teil aber bliebe stets für Sie übrig!“

„Ja, aber ich kann noch immer keinen Sinn darin erkennen!“, meinte der junge Mann nachdenklich. „Und worin sollte denn der Vorteil für mich liegen? Ich meine, gegenüber meiner jetzigen Situation, in der ich eigentlich recht glücklich und zufrieden bin. Habe ich denn dann nicht vielmehr eine größere Verantwortung gegenüber denen, die für mich arbeiten? Muß ich mir denn dann nicht um viel mehr Dinge Gedanken machen, als heute? Ich habe dann doch viel mehr an Sorgen und Kümmernissen als jemals vorher! Weshalb also sollte derartiges erstrebenswert für mich sein?“

„Nun...,“ meinte Stolzenberg „das kann ich Ihnen schon sagen. Sie würden irgendwann einmal den gesamten Fischmarkt im Ort, vielleicht auch den der Nachbarorte oder später sogar den der gesamten Insel und wenn Sie ganz gut sind, vielleicht einmal sogar den des gesamten Landes kontrollieren und beherrschen. Sie würden kaum mehr arbeiten müssen, könnten dann den ganzen Tag in der Sonne liegen und irgendwelchen schönen Dingen nachgehen.“
Ein Lächeln zog sich über das Gesicht des jungen Fischers. Er setzte sich vollends auf, schüttelte den Kopf und schrie Stolzenberg mit ausgebreiteten Armen an:
„Aber..., sind Sie denn blind? Genau das tue ich doch jetzt auch schon!“
Und nachdenklich setzte er hinzu: „Aus meinem Land hier kam einmal einer..., ‘Tankerkönig’ nannten sie ihn auf der ganzen Welt. Der machte es so ähnlich, wie Sie es eben geschildert haben. Er hatte gewiß kein glückliches Leben.
Aber heute ist er sicher der reichste Mann auf dem Friedhof!“

Stolzenberg stand wortlos auf und ging nachdenklich zum Haus zurück.
Über das Fax von heute Morgen hatte er noch nicht nachgedacht.
Ihm ging etwas ganz anderes durch den Kopf.

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