knapper Lebensraum
Seit zweieinhalb Jahren war ich nun schon ununterbrochen auf Wohnungssuche und beinahe genauso lange hatte ich mich auf Besucherliegen, Klappsofas, Bodenmatratzen, in Badewannen und auf Isomattenschlafsacklagern bei Freunden und Bekannten durchgeschlafen.
‚Komfortwohnung mit herrlicher
Aussicht sehr günstig zu vermieten’…
…so lautete die Annonce, die am nächsten Tag in der Tageszeitung stand.
Die Redakteurin der Anzeigenabteilung hatte ich schon zigmal zum Essen eingeladen und nun war es daran, dass sich das endlich auszahlte.
Und so erfuhr ich die Adresse schon vor Erscheinen der Zeitung und konnte schon vor allen anderen Bewerbern beim Vermieter vorsprechen.
Man muss schließlich sehen, wo man bleibt.
Neumann, der Vermieter, war verwundert, denn so früh hatte er eigentlich noch niemanden erwartet, weil er, wie er meinte, die Anonce doch am Abend zuvor erst aufgegeben hatte - war aber dann, nach einigem hin und her, doch bereit, mir die Wohnung wenigstens mal zu zeigen.
„Na...?“ fragte er, als er die Wohnung aufgeschlossen hatte und mich eintreten ließ, „…was sagen Sie dazu?
„Interessant, durch die Keller-Abstellkammer direkt in die Wohnung?“ bemerkte ich, Neumann freundlich zunickend.
„Keller?? Abstellkammer?“ meinte Neumann verwundert,
„dies ist die Wohnung!“
Um Neumann von einer unbedachten Reaktion zu bewahren, flüsterte ich schnell: „Gemütlich, wirklich sehr, sehr gemütlich hier!“ wenngleich die Überzeugung in mir wuchs, dass man in diesem Zimmer nicht einmal ein Kleinkind hätte unterbringen können.
Neumann zeigte auf etwas Schrankähnliches: „Ein Klappbett!“
„Aber...“, wandte ich ein, „wenn das Bett ausgeklappt ist, was geschieht dann mit dem Tisch? Der steht doch genau da, wo dann das ausgeklappte Bett stehen müsste.“
„Nun...“, meinte Neumann spitzfindig, „hier ist an alles gedacht. Bevor Sie das Bett ausklappen, müssen Sie natürlich erst den Tisch hochkant an die Fensterseite stellen. Mit dem Stuhl zwischen den Tischbeinen haben Sie dann gleichzeitig die Möglichkeit nach oben zu steigen, um dann auf der Tischkante stehend aus dem Fenster die herrliche Aussicht genießen zu können, so, wie in der Annonce bereits angedeutet. Hier, sehen Sie...“
„Donnerwetter!“ sagte ich schnell und verlieh meiner Stimme so etwas wie Begeisterung.
Ich stieg auf den Stuhl, von dort auf die Kante des hochgestellten Tisches und genoss zum ersten Mal die Aussicht aus dem schmalen Oberlichtfenster: Blick auf einen Hinterhof mit altem Kastanienbaumbestand und Mülltonnen vor der bröckelnden Hauswand gegenüber.
„Große Fenster wären ein Wahnsinn“, erklärte Lehmann, „bei den Energiepreisen heutzutage, Sie verstehen...!“
Dann zeigte er mir die Badküche.
„Ideal für eine allein stehende Person, schnell sauber zu halten, die zwanzig Fliesen. Den Estrichboden habe ich ganz bewusst im Rohzustand gelassen, den können Sie sich dann in einer Farbe Ihrer Wahl noch streichen, wenn Sie wollen. Ein bisschen persönliche, individuelle Gestaltung soll schon noch drin sein.
Und hier, sehen Sie... wenn Sie den Waschtisch aufklappen, dann steht hier drinnen ein Propangas- Campingkocher, und hier wäre dann noch ein Wasseranschluss für ein Waschbecken, falls Sie ein solches haben wollen.
Gibt es in allen möglichen Ausführungen in jedem Baumarkt!“
„Und... die Miete?“, fragte ich, „wie hoch?“
„Zweihundertachtzig Euro kalt“, meinte Neumann, „in der Woche natürlich und... im Voraus!
Da kämen dann noch so um die Fünfzig Nebenkosten dazu und die Kaution wären dann auch noch mal vier Kaltmieten!“
Plötzlich Stimmen und wildes Klingeln an Neumanns Wohnungstür.
Neumann schaute auf die Uhr.
„Oh, da kommen noch weitere Interessenten! Also, überlegen Sie nicht lange, oder wollen sie noch mal drüber schlafen?“ meinte er.
„Nein, nein, wo denken Sie hin, die Wohnung nehme ich natürlich!“ nützte ich sofort meine Chance.
„Besuche ja…, Tierhaltung jedoch nein!“
Neumann reichte mir den Mietvertrag zur Unterschrift,
„Da würden Sie nämlich mit dem Tierschutzverein mächtigen Ärger bekommen“ meinte er noch, „So ein Tier braucht schließlich Platz!“
Der Lärm vor der Wohnungstür nahm zu. Neumann schaute mich besorgt an.
„Gehen Sie besser hinten hinaus, in ihrer Enttäuschung reagiert eine derartige Menge manchmal unberechenbar!“
Ich zwängte mich durchs Kellerfenster zum Hof hinaus.
„Sie müssen dort vorne auf den kleinen Schuppen klettern und dann rechts über den Zaun springen!“ rief Neumann mir noch nach.