Großstadtschelmerei 2.)
Freudig steigen sie am Hauptbahnhof aus dem Zug. Lange schon waren sie nicht mehr hier in der Großstadt und sie freuen sich beide schon auf den ausgedehnten Stadt-Bummel.
Stefan schleppt den Koffer mit all ihren Habseligkeiten für die beiden Tage und Inge hat ihre Tasche um die Schulter gehängt.
Sie streben den Gepäck-Schließfächern zu, um wenigstens den schweren Koffer einstweilen zu deponieren.
Aber die großen Schließfächer für Koffer waren alle blegt.
„Also“, meinte Inge, „zur Tante Franziska können wir erst am späten Nachmittag. Um die Zeit ist sie meistens in der Kirche, anschließend geht sie auf den Friedhof und danach zu ihrer Freundin zum Kaffeeklatsch. Vor sechzehn Uhr brauchen wir uns dort gar nicht sehen lassen, das hat sie mir schon am Telefon ausdrücklich gesagt.
Außerdem... schau mal, was hier eine Stunde Schließfach kostet, das sind ja bis heut Abend fast sechs Euro! Da müssen wir uns was anderes einfallen lassen, hab’ doch keinen Geldscheißer!“
„Was machen wir dann mit dem Koffer, solange?“, fragt Stefan, „du glaubst doch nicht, dass ich den jetzt die ganze Zeit mit herumschleppe.“
„Wir müssen ihn irgendwo deponieren, wo er sicher ist und wir ihn später wieder abholen können“, denkt Inge, „aber wo?“
„Und dann soll’s auch noch nichts kosten, oder wie?“, fragt Stefan.
„Natürlich“, meint Inge, „wart’ nur, mir fällt schon was ein.“
Nachdenklich gehen sie beide aus dem Bahnhofsgebäude hinaus auf den Vorplatz und setzen sich unentschlossen auf den Koffer.
„Ich hab’s!“ verkündet Inge plötzlich. „Komm, Arsch hoch, gib du mir mal den Koffer, pass’ auf meine Tasche auf und warte hier.“
„Wo gehst denn jetzt hin?“, will Stefan wissen.
„Frag nicht so viel und warte hier, ich komm’ gleich wieder“, meint Inge nur knapp und geht mit dem Koffer davon.
Nach etwa zehn Minuten ist die ohne Koffer wieder zurück.
„Das war die Idee!“ verkündet sie freudestrahlend, „jetzt können wir unseren gemütlichen Stadtbummel machen.“
„Und wo hast den Koffer jetzt hingebracht?“ will Stefan wissen.
„Zur Polizei“, meint Inge nur knapp.
„Wie, zur Polizei?“ meint Stefan erstaunt.
„Pass’ auf“, wendet sich Inge an Stefan, „ich hab den Koffer bei der Polizei als Fundsache abgegeben. In einer halben Stunde rufst du dann bei der Polizei an und sagst, du hättest einen roten Koffer verloren, ob einer gefunden wurde. Und dann sagst du ihnen, dass du erst am späten Nachmittag Zeit hast, den Koffer dort abzuholen. Ist das nicht genial?“
„Phantastisch!“ ruft Stefan und gab seiner Inge einen Kuss.
„So, und nun können wir in Ruhe einen Stadtbummel machen“, meint sie darauf und hakt sich bei Stefan ein.
Als Stefan dann am Nachmittag zur Polizeidienststelle kommt, um den Koffer abzuholen, muß er erst ein Formular ausfüllen, in dem er beschreiben muß, wo der Koffer verloren ging und was sich im Koffer befindet, aber da er im Besitz des Schlüssels für den Koffer ist, glaubt man ihm und händigt den Koffer aus.
„Aber“, so meint der diensthabende Beamte, „sie müssen zehn Euro Finderlohn da lassen, das ist gesetzlich!“
Widerwillig rückt Stefan die zehn Euro heraus und gibt sie dem Beamten, der sie gleich vereinnahmt.
„Du mit deinen hirnrissigen Ideen jedesmal...“, schimpft Stefan, als er mit dem Koffer zu Inge zurückkommt. Das war jetzt doch viel teuerer, als ein Schließfach. Zehn Euro hab ich dort lassen müssen, als Finderlohn!“
„Ach du mein Dummerle“, beruhigt ihn Inge, „überleg’ doch mal, wer bekommt denn die zehn Euro?“
„Na der Finder“, meint Stefan.
„Und... wer hat ihn denn gefunden und abgegeben?“, lacht Inge.
Wolfgang Kreiner© 2001
aus: „kein Grund lauthals zu singen“
Gryphon Verlag München
ISBN 978-3-935192-25-5