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Gefängnis lohnt sich also doch....

Ein Jahr ist es nun her, dass sie mich hier eingeliefert haben. Ans Sitzen habe ich mich längst gewöhnt. Der Staatsanwalt hatte seinerzeit sechs Jahre gefordert, aber ich bekam nur vier.
Ich will mich gar nicht beschweren, mein Anwalt war gut, auch wenn es nur ein Pflichtverteidiger war. Noch vor der Verhandlung hat er gesagt: „Die Angelegenheit wird nicht so einfach, weil es hier um die Veruntreuung staatlicher Gelder geht, aber wir werden Sie als geistig zurückgeblieben hinstellen, vielleicht lässt sich dann was machen. Wozu so viele Worte machen? Sie müssen einfach den Verrückten spielen, sonst gibt’s unweigerlich sechs bis acht Jahre. Sagen Sie ehrlich: Hatten sie in der Familie jemanden mit einem Dachschaden, war Ihr Vater vielleicht Alkoholiker, war bei Ihrer Mutter vielleicht mit der Schilddrüse etwas nicht in Ordnung?“
„Nichts davon, Herr Rechtsanwalt“, hab ich gesagt, „meine Familie ist gesund gewesen, solange ich zurückdenken kann.“
„Dann haben sie in Ihrem Leben bestimmt irgendwelche schlimmen Dinge erlebt und ein Trauma zurückbehalten? Sind sie vielleicht nicht ganz ausgetragen worden? Oder haben Sie in Ihrer Kindheit Schläge auf den Kopf bekommen? Sind Sie mal vom Wickeltisch gefallen? Nun reden Sie schon, irgendeinen Grund müssen wir finden, damit ich Sie hier herauspauken kann!“
„Wozu, Herr Rechtsanwalt?“ sagte ich „Ich hab den Diebstahl doch wirklich begangen!“
Aber mein Rechtsanwalt hatte sich fest vorgenommen, aus mir einen vollkommenen Idioten zu machen, der in seiner Entwicklung zurückgeblieben ist. Und ich muss ehrlich sagen: In der Verhandlung hat er richtig gekämpft um mich. Nur ich habe mich tapfer geschlagen, denn bei meinem letzten Wort habe ich dann gesagt, dass ich die Hunderttausend mit voller Absicht gestohlen habe und deshalb um die Höchststrafe gebeten.
„Sehen Sie, hohes Gericht“, schrie der Anwalt, „da haben sie doch den Beweis dafür, dass er ein kompletter Idiot ist. Welcher gesunde Angeklagte bittet denn für sich selbst schon um die Höchststrafe!“
Nun ja, und jetzt sitze ich eben.
Ich sollte ja von meiner Stellung sowieso entlassen werden, meines Alters wegen. Rationalisierung, Stellenabbau, Verjüngung des Teams nannten sie es.
Und deshalb habe ich das Ding gedreht. Ich habe extra Überstunden gemacht, und dann, als alle weg waren die Hunderttausend aus dem Tresor genommen, in eine große Flasche gestopft und an einem Ort vergraben, wo keiner drauf kommt. Und da kommt auch kein Wurm ran, der mir die Scheine zusammen frisst!
Bei Gericht habe ich gesagt, das Geld ist nimmer da, weil ich es in der Spielbank verloren hab.
Und nun warte ich eben.
Über die Umstände hier kann ich mich nicht einmal beklagen. Ich habe ein möbliertes Junggesellenzimmer, nicht sehr groß, aber mit allem Notwendigen ausgestattet, absolut einbruchsicher und in Zentrumsnähe, bei schönem Wetter mit wunderbarem Ausblick auf die Berge, hinten zum Hof hinaus, kein Verkehrslärm, kein Kindergeschrei und am Sonntag Kirchenglocken. Die Heizung funktioniert, das Fenster ist dicht und so gesichert, dass ich nicht hinausfallen kann, erstklassiger Service, die Türen werden mir von Personal geöffnet, das Essen wird pünktlich serviert und die Wäsche gewaschen.
Als Junggeselle kann ich es gar nicht besser haben.
Ich schreibe Gedichte und gehe täglich eine Stunde spazieren. Zuhause hatte ich nie Zeit dafür. Ich habe mir die Zähne richten lassen und kann ein Mal die Woche Sport machen.
Das Wichtigste aber ist, dass ich keinerlei Anwesenheitslisten unterschreiben muß, weil ich täglich mitgezählt werde, ich bin für die Bilanz nicht verantwortlich, habe ärztliche Versorgung an Ort und Stelle und brauche mich um keinen Urlaub zu kümmern.
Was will der Mensch eigentlich mehr?
Manches Mal rechne ich, einfach nur so aus Gewohnheit:
Wohnungsmiete 750,- €. Licht, Heizung und Wäsche zusammen etwa 150,- €. Verpflegung und Kleidung ungefähr 600,- €. Für Versicherungen und Kleinigkeiten wie Geschenke und Konzerte, Theater oder Kino im Monat so etwa 100,- €. Zusammengerechnet im Monat also etwa 1.600,- €!
Das sind im Jahr 19.200,- € und wenn ich nun die vier Jahre komplett absitze, dann kommen da so um die 77.000,- € zusammen.
Zu meinen in der Flasche sicher vergrabenen 100.000,- € zahlt der Staat also noch mal 77.000,- € hinzu.
Und wenn ich jetzt bedenke, dass ich dafür nicht einmal arbeiten muß, jeden Tag ausschlafen kann und das Risiko eines Autounfalls oder so was total ausgeschlossen ist, sich also meine Lebenserwartung sogar noch erhöht, dann frage ich mich doch, für wen sich das eigentlich mehr auszahlt?

Und da schreit dieser Rechtsanwalt vor Gericht herum, ich sei ein kompletter Idiot!

aus: Wolfgang Kreiner
"morgen ist's noch früh genug zu spät"
Gryphon - Verlag München
ISBN: 978-3-938109-26-7

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