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Ein Glück, dass es die Familie gibt...

Robert hat sich verliebt.
Die Symptome waren eindeutig, und obwohl die Angelegenheit erst seit einer knappen Woche bestand, war sie vom gesamten Umfeld bemerkt worden.
„Was ist los mit dir?“ fragte ihn die Mutter. „Du hast dein Frühstück kaum angerührt, mittags hast du keinen Hunger, du liest Gedichte. Mir kannst du doch alles erzählen, immerhin bin ich doch deine Mutter. Außerdem weiß ich ja ohnehin worum es geht, mir bleibt doch nichts verborgen.
Aber ich meine eben, dass du noch zu jung bist für irgendwelche Mädchengeschichten. Nichts einzuwenden gegen deine Schulkameradinnen. Ihr könnt ja einander Bücher leihen, könnt diskutieren oder euch zum Geburtstag Geschenke basteln, aber gleich lieben?“
Am Abend, als der Vater heim kam, bat er Robert ins Wohnzimmer und sagte mit feierlicher Mine:

„Mutter hat mir erzählt, dass du verliebt bist.
Da das nun mal passiert ist, musst du dich auch dementsprechend verhalten. Du darfst dich auf keinen Fall mit ihr herumtreiben. Du bist jetzt bereits siebzehn Jahre alt, also ein reifer Junge, und du musst nun wohl oder übel zu den Eltern von diesem Mädchen gehen und dich vorstellen, damit sie sehen, dass du ein netter Kerl bist und Manieren hast.“

Abends vor dem Einschlafen wandte sich der ältere Bruder an Robert:
„Es wird herumerzählt, dass du die Häfner Marion aufgerissen hast. Ich hoffe nur, du weißt, was man mit einem Mädchen macht.
Na ja, Hauptsache du erweist dich nicht als Schlappschwanz, sonst bist sie nämlich gleich wieder los und die sucht sich einen anderen.“

Am nächsten Tag, als er aus der Stadt zurück nachhause kam, nahm ihn seine achtzehnjährige Schwester zur Seite:
„Ich habe heute gehört, du bist in die Häfner Marion verliebt.
Woher ich das weiß? Die ganze Stadt spricht doch schon davon. Bilde dir aber nur nicht ein, dass du ihr erster Freund bist. Die sieht nämlich nur so unschuldig aus. Im Grunde ist sie aber ein ganz schönes Früchtchen und schon ganz schön verdorben für ihr Alter.
Mir kann es ja egal sein, in wen du verliebt bist, ich sage dir das nur, damit du Bescheid weißt. Immerhin bin ich ja deine Schwester."

Die Großmutter, die das Gespräch der beiden mitbekommen hatte, sagte:
„Eigentlich will ich mich ja gar nicht in die Angelegenheiten der jungen Leute einmischen, aber zu meiner Zeit gab es so was nicht.
Bevor man sich damals überhaupt verliebte, wusste man ganz genau, mit wem man es zu tun hatte, aus welcher Familie der andere kam, wie viel Geld die Familie hatte und ob man irgendwann auch eine vernünftige Erbschaft erwarten konnte.
Was weißt du überhaupt von dem Fräulein? Nur soviel, dass sie Marion Häfner heißt? Aber welche Häfners? Das weiß niemand.
Und was weiß sie von dir? Nur soviel, dass du ein Schüler aus der Schule bist, in die sie zufällig auch geht. Dieses Fräulein Häfner weiß bestimmt nicht einmal, dass du eine Oma hast, die dich von klein an aufgezogen hat...“
Die Großmutter hätte ihren Vortrag bestimmt fortgesetzt, wäre nicht in diesem Moment die Tante Viola eingetroffen, die sich sehr freute, als sie Robert sah.

„Gut dass ich dich zuhause antreffe mein Lieber“, hatte sie gesagt, „ich würde mit dir gerne mal unter vier Augen sprechen.“
Sie setzte sich: „Deine Eltern haben mir telefonisch mitgeteilt, dass du ein Mädchen hast, ein Fräulein Häfner, und wie sie mir erzählten, soll die Geschichte ernst sein.
Na ja, ich vermute, dass es nicht gerade angenehm ist, mit den Eltern über derlei Dinge zu sprechen. Aber ich, als deine Tante, die immerhin viel Erfahrung in diesen Dingen hat, möchte dir ein paar Ratschläge geben.
Nichts ist leichter in deinem Alter, als sich zu verlieben... Schön, aber was weiter? Solche Fälle ziehen meistens Konsequenzen nach sich. Und dann noch schlimmer, die Konsequenzen der Konsequenzen! Entschuldige, dass ich dir das so offen sage, aber ich weiß nicht, ob du schon von gewissen Krankheiten gehört hast, die man sich dabei zuziehen kann. Ganz zu schweigen von Kindersegen in so jungen Jahren!
Sei mir nicht böse, ich behaupte ja nicht, dass das Mädchen krank ist oder du nicht aufpassen kannst, aber es ist halt schnell was passiert.
Aber wenn etwas passieren sollte, dann denke daran, zu mir kannst du immer kommen.“
Tante Viola hätte bestimmt weiter gesprochen, wenn nicht das Telefon geklingelt hätte, und als Robert den Hörer abnahm, war Onkel Olaf dran.

„Bist du’s, Robert? Ist meine Frau bei euch? Kannst du mir sie mal ans Telefon holen. Aber, wenn du schon dran bist, Robert, ich habe gehört, dass du verliebt bist. Nun ja, solche Unfälle kommen schon mal vor. Jeder muss das mal durchmachen, wie Masern oder Röteln. Aber als dein naher Verwandter möchte ich dich doch warnen. Solche Geschichten können ganz schön übel ausgehen.“

Er gab den Hörer Tante Viola und im selben Moment klingelte es an der Haustür.
Der Großvater hatte wieder mal den Hausschlüssel verges-sen.
„Mein lieber Enkel“, begann er liebevoll, „schön dass du zuhause bist. Die Großmutter hat mir erzählt, du seist in ein Fräulein Häfner verliebt. Als derjenige, der dich viel fürs Leben gelehrt hat, fühle ich mich verpflichtet, mit dir mal darüber zu reden. Also, die Liebe ist an und für sich ja etwas Schönes, aber...“

„Nicht nötig, Opa“, erwiderte Robert, „es ist längst vorbei, das mit Marion und mir.
Wir haben gestern Schluss gemacht!“
„Ist das wirklich wahr?“ rief der Großvater erfreut.
„Ja, mir wird schon schlecht, wenn ich nur ihren Namen höre“, meinte Robert.

„Na, Gott sei Dank“, meinte der Opa. „Es könnte einem Angst und Bange werden bei dem Gedanken, was alles geschehen wäre, wenn unser Robert keine Familie gehabt hätte, die zu ihm hält.“

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