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Der alte Bekannte

Gerade machte es sich Professor Waldemar von Hauenstein in einem Abteil des Nachtzuges nach Hamburg bequem, als ein weiterer Reisender, ein kleiner untersetzter Herr mit wallendem Haupthaar, ihm schräg gegenüber Platz nahm, sich die Nachtausgabe einer Tageszeitung aus seinem Koffer holte und zu lesen begann.
Der Professor, der für sein miserables Personengedächtnis, welches ihn schon wiederholt in unangenehme Situation gebracht hatte, bekannt war, setzte seine Brille auf und richtete ungeniert den Blick auf seinen Gegenüber, bevor er ihn ansprach:
„Entschuldigen Sie, mein Herr, sind wir uns nicht schon mal irgendwo begegnet?“
Der Untersetzte blickte von seiner Zeitung auf, schaute den Fragenden ein paar Sekunden lang an und schüttelte dann den Kopf.
„Nein, nicht dass ich wüsste.“
Nach weiterem ungläubigen Betrachten des Mitreisenden fragte der Professor erneut: „Kann es nicht sein, dass Sie letztes Jahr im März auf der Buchmesse in Leipzig waren? Ich denke ich habe Sie getroffen auf dem Stand von dem Verlag... warten Sie, gleich fällt mir der Name des Verlages wieder ein...“
„Nein“, fiel ihm der Untersetzte ins Wort, „ich war noch nie auf einer Buchmesse, Sie müssen sich irren.“
„Moment mal“, fuhr der Professor nach sekundenlang anstrengender Überlegung fort, „jetzt hab ich es!
Es war letzten Sommer, im Juli denke ich, während der Sommerferien, in Südspanien, in diesem Hotel am Strand... warten Sie, wie hieß das doch gleich...? Sie waren dort mit Ihrer Frau, so einer reizenden zierlichen Brünetten, stimmt’s?“
„Nein, meine Frau ist blond, wiegt ungefähr 89 Kilo und wir haben noch niemals in Spanien Urlaub gemacht, schon gar nicht in einem Hotel, da wir nämlich ein Wohnmobil besitzen.“
„Noch nie in Spanien...?“ murmelte der Professor verwundert vor sich hin.
„Nein, mein Herr“, meinte der Untersetzte, „Sie müssen sich ganz einfach irren.“
„Sonderbar.“ Hauenstein überlegte krampfhaft hin und her. Dann meinte er erneut: „Wir kennen uns aber vom Sehen.“
„Nein, nicht dass ich wüsste“, erwiderte sein Gegenüber über die aufgeschlagene Zeitung hinweg.
Wieder trat eine Weile Stille ein, bis der Professor erneut begann: „Ich meine, Sie hätten vor ein paar Monaten, warten Sie... ich denke das war so im Mai oder Juni, ja, ich bin mir fast sicher, da haben Sie in München einen Vortrag gehalten, Moment..., worum ging es da gleich noch...? Ja, über... warten Sie, ich hab’s gleich...“
„Nein!“ fiel ihm sein Gegenüber erneut ins Wort, „ich halte keine Vorträge, worüber auch immer, Sie irren sich ganz einfach und ich bitte Sie nun, mich einfach nur meine Zeitung in Ruhe lesen zu lassen!“
„Kann man sich denn so sehr irren?“, setzte der Professor unbeirrt fort, „ich war mir jetzt eben so sicher, Sie dort bei diesem Vortrag als Redner gesehen zu haben, auch später noch in der Lobby des Hotels, beim Empfang, ich denke, wir haben sogar kurz miteinander gesprochen über... warten Sie... über...“
„Nein, und nochmals nein!“ rief sein Gegenüber erbost, „ich kenne Sie nicht und wir sind uns auch ganz sicher noch nie im Leben begegnet, bemühen Sie sich also nicht weiter und lassen Sie mich nun endlich in Ruhe!“

Da sprang Hauenstein völlig irritiert von seinem Sitz hoch, starrte seinen Gegenüber durchdringend an und meinte völlig konsterniert:
„Ja, sind Sie denn nicht so ein langer Hagerer mit Brille und Halbglatze?“

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