Milchmädchenrechnung Hartz IV
Seit Anfang 2005 gilt in Deutschland das vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, besser bekannt als Hartz IV. Eine der gravierendsten Veränderungen war - neben der Zusammenlegung von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe - die Abgeltung verschiedener Kosten durch Pauschbeträge. Wurden früher zum Beispiel die Kosten zur Anschaffung einer Waschmaschine vom Amt übernommen, so bekommt der ALG-II-Empfänger heute dafür einen fixen Betrag, der in den Hartz-IV-Sätzen enthalten ist. Der Bedürftige soll sich das Geld für eine Anschaffung also ansparen und Rücklagen bilden.
Für die Anschaffung besagter Waschmaschine ist aktuell ein Betrag von monatlich 1,53 Euro vorgesehen. Laut Internet bieten Otto und Neckermann die jeweils günstigste Waschmaschine zum Preis von 249,90 Euro an; ein Luxus, den sich ein Hatz-IV-Empfänger schon nach 163 Monaten, also rund 16 1/2 Jahren leisten kann. Es gibt natürlich auch gebrauchte Waschmaschinen. In München bietet die Firma WAZH (Waschmaschinen aus zweiter Hand) Geräte schon ab 130 Euro an. Jetzt wäre die Anschaffung bereits nach 130 Monaten, beziehungsweise 7 Jahren möglich.
Einen Schönheitsfehler hat die Rechnung: der Hilfeempfänger wäscht bis zum Erwerb seiner eigenen Waschmaschine im Waschsalon, also für ungefähr 15 Euro im Monat. Eine Aufwendung, die in den Hartz-IV-Sätzen nicht vorgesehen ist. Dafür gibt es natürlich - rein rechnerisch - eine Lösung, denn verwendet er die 18,28 Euro, die für alkoholische Getränke und Tabakwaren gedacht sind, und die 1,53 für den Erwerb von Haushaltsgeräten komplett für die ersehnte Waschmaschine, dann kann er trotz Fremdwaschen schon nach 32,5 Monaten eine gebrauchte Waschmaschine sein eigen nennen.
Zu polemisch? Ein Blick in die Berechnungsgrundlage der Hatz-IV-Sätze lässt keinen anderen Schluss zu. So sind für Herrenschuhe zum Beispiel 2,23 Euro im Monat vorgesehen. Ein günstiges Paar Schuhe im Jahr lässt sich damit bestimmt erwerben. Der Herrenbekleidungs-Zuschuss von 4,89 Euro reicht für ein Hemd alle drei Monate, die für den Ankauf von Socken vorgesehenen 1,25 Euro reichen im Zweifel für einen Fünferpack Berufssocken alle acht Monate. Und mit den 1,26 Euro für chemische Reinigung lässt sich dieser Service einmal im Quartal in Anspruch nehmen.
Noch trostloser wird es, wenn man sich die Sätze für die Teilnahme am kulturellen Leben ansieht. Für Hobbys sind 1,27 Euro, für Sport und Kultur 8,81 Euro vorgesehen. Mit 5,47 Euro lässt sich fast ein Buch kaufen, mit 7,59 Euro gibt es wahlweise an 12 Werktagen eine Abendzeitung oder viermal die Süddeutsche. Für 7,61 Euro lässt sich ein Friseur nur in Bahnhofsnähe finden, 3,14 Euro für Porto reichen noch nicht mal für ein Päckchen.
Die pauschale Kürzung dieser Sätze für Kinder je nach Alter auf bis zu 60% hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht gekippt. So absurd die Berechnung von Hatz IV schon für Erwachsene ist, den Bedürfnissen von Kindern wird sie allemal nicht gerecht. Wenn es einigen Politikern nicht gefällt, dass der Abstand zwischen Arbeitslosengeld II und dem Lohn unterbezahlter Arbeitnehmer immer geringer wird, dass sich ein Verkäufer, Taxifahrer, Briefträger oder Bauarbeiter eine Familie mit Frau und zwei Kindern gar nicht mehr leisten kann, dass sich für viele Arbeitnehmer die schlecht vergütete Vollzeittätigkeit nicht mehr lohnt, dann ist die Ursache dafür in der ruinösen Lohnpolitik der letzten Jahre zu suchen und nicht darin, dass Arbeitslose zuviel Stütze bekommen.
Trotzdem wird wieder das Feindbild des Hartz-IV-Empfängers beschworen. Er sei ein Schmarotzer, dem man nicht etwa zu wenig Geld fürs Nichtstun zahlt, sondern eigentlich viel zuviel. Da ist von Hartz-IV-Karieren und Sozialbetrug die Rede, von Leistungsverweigerung und Faulheit. Dabei übersieht man gerne, dass die meisten Leistungsempfänger nicht freiwillig in ihre missliche Lage gekommen sind.
Noch vor einigen Jahren schien es, als hätte die untere Mittelschicht die Unterschicht abgehängt. Dass Arbeitnehmer jetzt von Hartz IV eingeholt, in manchen Fällen sogar überholt wurden, liegt nicht daran, dass die Arbeitslosengeld-II-Bezüge so extrem gestiegen sind. Seit der Einführung von Hartz IV wurden die Sätze von ursprünglich 343,54 Euro auf gerademal 359,00 Euro erhöht.
Das Getöse um das Hatz-IV-Urteil des BVG soll nur davon ablenken, dass die Politik der letzten Jahre immer mehr zu Lasten des klassischen Arbeitnehmer gemacht wurde, während nur einige Wenige Nutznießer dieser Entwicklung sind. Die Hetze auf Sozialhilfeempfänger soll uns vergessen machen, dass die viel strapazierte Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft.
Letztendlich übersehen die heute politisch Verantwortlichen, dass es um Menschen geht, Menschen ohne Arbeit, wie auch Menschen in prekären Arbeits- und Lebenssituationen. Vor allem Kinder leiden darunter. Gibt man ihnen doch immer wieder das Gefühl, dass sie nicht dazugehören. Wie lange sich unsere Gesellschaft leisten kann, potenten Nachwuchs von jeglicher Entwicklung auszuschließen, bleibt eine unbeantwortete Frage. Eine Kriminalisierung von Hilfeempfängern als Sozialbetrüger ist mit Sicherheit der falsche Weg.
Anlass zum Feiern bietet das Karlsruher Urteil also noch nicht. Bei dem in Hartz IV dafür vorgesehenen Posten Beherbergungs- und Gaststättendienstleistung, der mit gerademal 8,24 Euro, hätte sich die Feier eh in Grenzen gehalten. Denn mit den 7,20 Euro für alkoholische Getränke sparen wir ja schon auf unsere Waschmaschine...
Danke. Ich wollte mit den Details zum Kauf einer Waschmaschine auf die Absurdität der Hatz-IV-Berechnungen hinweisen, ohne dabei in Polemik abzurutschen. Freut mich, wenn das rüber gekommen ist. Gruß Tom