Miegel, Pfitzner, Seidel – wie lange noch?
Problematische Straßennamen.
Es zählt zu den Vermächtnissen des Zweiten Weltkrieges, dass einige Menschen während der NS-Diktatur besonders rasch Karriere machten. Quer durch alle Bevölkerungs- und Bildungsschichten, von Beamten über Wirtschaftstreibende bis hin zu Wissenschaftlern erstreckt sich das Feld deutscher und österreichischer Karriereopportunisten von damals.
Und nach wie vor existieren zahlreiche Straßen, die auch heute noch nach eben jenen Menschen benannt sind, die teils prächtige Karrieren während der NS-Zeit machten. Besonders schwer wiegen die künstlerischen Karriereopportunisten, die in ihrem Kunstschaffen damals wie heute in hohem Maße der Wahrhaftigkeit und Haltung verpflichtet sind.
Hans Pfitzner
So zum Beispiel der Komponist Hans Pfitzner, nach dem sowohl Straßen in München-Milbertshofen als auch in Salzburg benannt sind; ebenso wie in Wien, Graz, Köln, Frankfurt, Duisburg, Düsseldorf, Lübeck, Wiesbaden, Nürnberg und zwei Dutzend weiteren Städten. Der renommierte und vielfach ausgezeichnete Komponist war nicht nur während der NS-Diktatur, sondern bis zu seinem Tod 1949 antisemitisch eingestellt. Er sympathisierte mit der NSDAP und versuchte, auch noch nach 1945 in seinen Schriften die NS-Verbrechen zu bagatellisieren. Hamburg und Münster haben sich 2011 und 2012 bereits ihrer Pfitzner-Straßen entledigt. Weitere Kommunen sind gerade dabei, diesem Beispiel zu folgen (oder es zumindest zu diskutieren).
Niemand möchte, dass Pfitzner von den Spielplänen der Konzerthäuser verschwindet. Er kann selbstverständlich weiter gespielt werden, von der Hamburger Elbphilharmonie über die Philharmonie im Gasteig bis zum Wiener Musikverein. Doch Ehrungen, die von Kommunen ausgesprochen werden, seien es Ehrenbürgerschaften, Verdienstorden oder Straßenbenennungen, meinen nie bloß isolierte Einzelleistungen, sondern stets den gesamten Menschen. Das Lebenswerk, die Lebensleistung und vor allem die Lebenshaltung; und mit dieser auch das zu dieser Haltung führende Denken und Handeln. Sie meinen den Menschen als Vorbild für spätere Generationen. Aus diesem Grund zählt die gängige Praxis von Straßenbenennungen und Ehrenbürgerschaften heute zu den hinterfragenswertesten Arten von Ehrungen, zu denen Kommunen fähig sind.
Werner Egk
Werner Egk beispielsweise war Komponist, Kapellmeister und Dirigent, der während der NS-Diktatur eine glänzende Musiker-Karriere machte. In München-Schwabing ist heute noch eine Straße nach ihm benannt; und 1981 wurde Werner Egk auch Ehrenbürger von München. Nach ihm ist nach wie vor der Werner-Egk-Bogen in Schwabing-Freimann benannt. Er war Komponist und Dirigent und wurde ab den 1930er Jahren für den Bayerischen Rundfunk tätig. Zwischen 1936 und 1940 war er Kapellmeister an der Staatsoper Berlin, danach bis 1945 Leiter der Fachschaft Komponisten der STAGMA in der Reichsmusikkammer.
Der Komponist und Dirigent hieß eigentlich Werner Joseph Mayer, das Akronym „Egk“ sollte angeblich „ein guter Komponist“ bedeuten. Werner Egk vertonte unter anderem 1933 das NS-Festspiel „Job, der Deutsche“, komponierte aus Anlass der Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin das prämierte Orchesterwerk „Olympische Festmusik“ und später, 1941, die Filmmusik zum HJ-Film „Jungens“. Er erhielt zahlreiche NS-Ehrungen, Preise und staatliche Kompositionsaufträge und gelangte 1944 auf Hitlers Gottbegnadetenliste.
Agnes Miegel
Da ist beispielsweise auch die in Königsberg geborene Schriftstellerin und Balladendichterin Agnes Miegel. Sie unterzeichnete mit 87 weiteren SchriftstellerInnen 1933 das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Adolf Hitler, war Mitglied der NS-Frauenschaft, nahm Einladungen und Ehrungen der Hitlerjugend an und wurde 1940 NSDAP-Mitglied.
Bis zu einem gewissen Grad hatten Menschen auch damals die Wahl: Manche entschieden sich dafür, jüdische Mitbürger zu verstecken und zu retten. Viele trafen die Entscheidung, durch ihre Haltung der NS-Diktatur so wenig Unterstützung wie möglich zukommen zu lassen. Agnes Miegel entschied sich dafür, sich als Dichterin über ein Jahrzehnt hindurch vom NS-Regime instrumentalisieren zu lassen. Substanzielle Distanzierungen vom Nationalsozialismus finden sich bei Miegel nach 1945 – abgesehen von allgemeinen Floskeln wie etwa „Unrast und Not dieser Zeit“ – keine. Agnes Miegel wurde 1944 von Hitler nicht nur auf die Gottbegnadetenliste gesetzt, sondern innerhalb dieser auf die Sonderliste der unersetzlichen Künstler.
Ina Seidel
Ähnliches gilt auch für die Schriftstellerin und Lyrikerin Ina Seidel. 1939, zu Hitlers 50. Geburtstag, schrieb Seidel das Gedicht „Lichtdom“. Darin heißt es:
„In Gold und Scharlach, feierlich mit Schweigen,
ziehn die Standarten vor dem Führer auf.
Wer will das Haupt nicht überwältigt neigen?“
In München Bogenhausen gibt es nach wie vor nicht nur eine nach Agnes Miegel benannte Straße, sondern seit 1984 auch den Ina-Seidel-Bogen. Nach beiden Dichterinnen sind Straßen und Wege in über drei Dutzend weiteren Städten und Orten Deutschlands benannt. Seidel unterzeichnete wie Miegel 1933 nicht nur das Gelöbnis treuester Gefolgschaft für Hitler, zahlreiche ihrer Artikel und Gedichte während der NS-Diktatur zeugen von aufrichtigem „Führerglauben“ und sind voll von glühenden Huldigungen an Hitler.
Im Kontrast zu derartigen Karrierewegen wären jedoch zuerst die Opfer der NS-Diktatur zu bedenken. Diese hätten es aufgrund ihrer Lebenswege und ihrer Vernichtung in den NS-Konzentrationslagern jedenfalls explizit verdient, mit Straßennamen kommunal geehrt zu werden.
Die digitale Kunstinitiative Memory Gaps ::: Erinnerungslücken geht in Kürze in das sechste Jahr ihres Bestehens. Als Initiative digitaler Erinnerungskultur setzt sie sich zur Aufgabe, nicht nur an einzelne, sondern an sämtliche NS-Opfergruppen zu erinnern. Einige Kommunen und Gedenkprojekte haben sich dieser Aufforderung bereits angeschlossen.