myheimat.de setzt auf dieser Seite ggf. Cookies, um Ihren Besuch noch angenehmer zu gestalten. Mit der Nutzung der AMP-Seite stimmen Sie der Verwendung von notwendigen und funktionalen Cookies gemäß unserer Richtlinie zu. Sie befinden sich auf einer sogenannten AMP-Seite von myheimat.de, die für Mobilgeräte optimiert ist und möglicherweise nicht von unseren Servern, sondern direkt aus dem Zwischenspeicher von Drittanbietern, wie z.B. Google ausgeliefert wird. Bei Aufrufen aus dem Zwischenspeicher von Drittanbietern haben wir keinen Einfluss auf die Datenverarbeitung durch diese.

Weitere Informationen

Austausch der Gesinnung (eine fiktive Geschichte)

Austausch der Gesinnung

„Entschuldigen Sie bitte, Gesinnungsstelle – bin ich hier richtig?“
„Buchstabe A-K oder L-Z? – A-K ist hier, L-Z müssen Sie auf Zimmer 228!“, meinte der Sachbearbeiter, ohne von seinen Gesinnungsakten aufzusehen.
„Nein, nein, A-K, dann bin ich schon richtig hier. Ich bin gekommen und würde gerne meine Gesinnung austauschen.“
„Gleich austauschen oder zunächst nur mal bisschen auffrischen?“, meinte der Sachbearbeiter. „Wie war sie denn bisher, Ihre Gesinnung? Konservativ oder eher liberal - Schwarz, Rot oder vielleicht sogar Braun?“
„Nein, nein, wo denken Sie hin! Meine Gesinnung war bisher ganz normal konservativ. Schwarz eben. Aber jetzt ist sie schon recht abgewetzt und eng geworden. Vielleicht sollte man es zunächst nur mal mit auffrischen versuchen, wenn das geht.“
„Wo, in welchem Bereich ist sie Ihnen denn zu eng geworden?“ fragte der Sachbearbeiter nach.
„Nun“, erklärte er, „eher allgemein, überall, in allen Bereichen, wenn sie verstehen, was ich meine. Sehen Sie, früher, als ich mich für meine Gesinnung entschied, da war alles noch klar und farbecht. Aber heutzutage kann man ja nicht mal mehr seine eigenen Gesinnungsgenossen an der Farbe erkennen. Und das färbt ab, sage ich Ihnen. Die Ursprüngliche Gesinnungsfarbe ist nun im Laufe der Zeit schon ganz schön verblasst.“
Der Sachbearbeiter nickt verstehend mit dem Kopf. „Lassen Sie sie für ne Woche hier.“
„Gerne – und Sie glauben, sie bekommen sie wieder hin?“
„Keine Sorge, Sie werden sehen, sie wird wieder wie neu!“

Nach einer Woche kommt der Kunde erneut in die Gesinnungsstelle.
„Nun, wie sieht’s aus, ist meine Gesinnung, schon aufgefrischt?“
„Sie hängt noch immer draußen zum Lüften“, meinte der Sachbearbeiter. „Da war vielleicht ein Mief drin!“
„Kann ich sie sehen?“, fragte der Kunde.
„Warten sie einen Moment, ich hole sie herein. Hier bitte sehr. Wie ich bereits sagte, sie ist wieder wie neu.“
Der Kunde betrachtete sie eine ganze Weile, drehte und wog sie in der Hand, hielt sie ins Licht – dann meinte er plötzlich:
„Versteh’ ich jetzt nicht. Meine Gesinnung sah vor der Auffrischung wesentlich besser aus als jetzt. Und sie passte mir auch besser. Die hier ist mir ja beinahe noch enger!“
„Nun ja, wir haben sie erst komplett entfärben müssen, um sie dann wieder neu einzufärben. Dabei mussten wir feststellen, dass es diese intensive Farbe, mit der Ihre Gesinnung ursprünglich eingefärbt wurde, gar nicht mehr gibt. Die neue Farbe ist so was von verwässert, kann ich Ihnen sagen. Aber ich finde sie trotzdem interessant, fällt ein bestimmtes Licht drauf, dann schillert sie in allen möglichen anderen Farben.“
„Und da kann man gar nichts machen?“ will der Kunde wissen.
„Mit der Farbe kaum – aber das mit der Weite könnten wir noch korrigieren. Lassen Sie sie nochmals ein paar Tage hier und wir werden sie etwas dehnen.“
„Gut“ meint der Kunde, „wann kann ich wiederkom¬men?“
„In drei, vier Tagen etwa, rufen Sie aber vorher an.“

Ein paar Tage später ruft der Kunde erneut in der Gesinnungsstelle an und erkundigt sich, ob er denn jetzt seine Gesinnung endlich abholen könne.
Der Sachbearbeiter bittet ihn, einen Moment zu warten, er müsse ihn mit dem Sachverständigen verbinden. Es knackte ein paar Mal in der Leitung, dann war der Sachverständige am Apparat.
„Guten Tag, der Sachbearbeiter Ihrer Gesinnung hat mich eben bereits informiert um welchen Fall es sich handelt. Leider muss ich Ihnen sagen, dass sich nach eingehender Prüfung herausgestellt hat, dass sich Ihre Gesinnung praktisch für überhaupt nichts mehr eignet. Sie ist nicht mehr zeitgemäß und lässt sich kaum mehr korrigieren.“
„Wie bitte, wie soll ich das verstehen?“ ruft der Kunde erbost ins Telefon.
„Nun, ich kann Ihnen hierzu auch nichts Näheres sagen“, meint der Sachverständige, „ich berichte nur das Ergebnis des Gutachtens eines Kollegen, der den Fall bearbeitet hat.“
„Kann ich diesen Kollegen mal sprechen?“ fragt der Kunde nach.
„Nein, leider, der ist im Moment nicht da“, so der Sachverständige.
„Was soll ich dann also machen?“ will der Kunde wissen.
„Austauschen. Komplett austauschen!“
„Und, wie lange dauert das wieder?“ fragt der Kunde.
„Nun“, meint der Sachverständige weiter, „kommt darauf an – aber so mit zwei bis drei Monaten müssen Sie schon rechnen.“
„So lange?“ fragt der Kunde erstaunt, „Aber, ich kann doch unmöglich so lange ohne Gesinnung herumlaufen, waren die vergangen zwei Wochen schon schwer genug für mich. Kann man denn da überhaupt nichts machen?“
„Ich denke nein, normal nicht. Sprechen Sie nochmals mit dem Sachbearbeiter, ich gebe das Gespräch wieder an ihn zurück, einen Moment bitte...“
Erneut meldet sich nach der Sachbearbeiter am anderen Ende der Leitung:
„Ich bin schon unterrichtet, wir werden sie ganz austauschen müssen, Ihre Gesinnung.“
„Nun gut, von mir aus“, gibt sich der Kunde geschlagen, „aber die Bearbeitungszeit, kann man denn da überhaupt nichts machen? Auch nicht mit ein paar Euro - für Ihre Kaffeekasse sozusagen?“ fügt er ganz leise hinzu. „Ich werde mich bestimmt nicht kleinlich zeigen!“
„Schön“, entschließt sich der Sachbearbeiter plötzlich, „kommen Sie übermorgen vorbei!“

Zwei Tage später erscheint der Kunde erneut in der Gesinnungsstelle.
„Und“, fragt er den Sachbearbeiter, „wie sieht’s nun aus mit meiner Gesinnung. Ist sie nun endlich fertig?“ Augenzwinkernd schiebt er ihm dabei einen Umschlag über den Schreibtisch.
„Aber selbstverständlich der Herr“, meint dieser, „ich habe sie schon hergerichtet, hier – soll ich sie einpacken?“
„Moment“, meint der Kunde, „ich möchte sie erst einmal sehen.“
„Aber bitte sehr, hier.“
„Was soll das denn heißen?“, schreit er den Sachbearbeiter plötzlich an. Das ist eine bodenlose Frechheit! Ich möchte, dass Sie sofort den Geschäftsführer holen!“
Der Geschäftsführer kam und nachdem ihm der Sachbearbeiter etwas zuflüsterte und dabei einen kurzen Blick in den Umschlag tun ließ, wendete der sich an den Kunden: „Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“
„Hören sie“, trug dieser ihm ganz entrüstet vor, „es ist eine Unverschämtheit. Nachdem ich hier meine Gesin¬nung erst zur Auffrischung abgegeben habe, man aber nichts mehr machen konnte, weil sie schon recht veraltert schien, habe ich mich schweren Herzens zu einen kompletten Austausch entschlossen. Heute sollte ich sie abholen können und man hat mir versprochen, sie würde wieder neuwertig sein. Aber was hingegen habe ich bekommen? Hier sehen Sie – einen riesigen Stapel abgedroschener Phrasen, Geplapper und völlig veralteter Ansichten! Was soll ich damit?“
„Zeigen Sie bitte“, meinte der Geschäftsführer. Er betrachtete sie eine ganze Weile, sagte: „Sie haben vollkommen Recht!“ und legte sie wortlos auf einen alten, bereits vergilbten Stapel anderer Gesinnungen.
Dann gab er Anweisung, man möge ihm die Gesinnung mit der Nummer 743/02 bringen.
Als der Sachbearbeiter mit dem Genannten zurückkam, händigte sie ihm der Geschäftsführer mit den Worten aus: „Bitte sehen Sie sich die an, wie gefällt Ihnen die?“
Der Kunde drehte und wendete sie in seinen Fingern, ein Schmunzeln zog sich über sein Gesicht als er meinte: „Ja, das ist ja etwas ganz anderes! Die gefällt mir schon besser und die passt mir auch! Die nehme ich!“
Die Gesinnung wurde eingepackt und der Kunde ging freudestrahlend aus der Gesinnungsstelle.

Als er weg war, meinte der Sachbearbeiter:
„Aber Herr Geschäftsführer, das nenne ich einen Volltreffer. Bin gespannt, welche Gesinnung Sie ihm da angedreht haben.“
„Nun, “ meinte der Geschäftsführer, „seine eigene natürlich. Die, die er ursprünglich hier abgegeben hatte!“
„Aber Herr Geschäftsführer...“, meinte da der Sachbearbeiter, „finden Sie nicht...“
„Ach was“, erwidert dieser, nimmt den Umschlag mit dem Geld vom Schreibtisch und wedelt damit dicht vor des Sachbearbeiters Nase herum.
„Bei einer derart korrupten Einstellung und diesen Bestechungsversuchen...?

Da tut es doch auch die alte Gesinnung noch!“

Weitere Beiträge zu den Themen

ErzählungGeschichteGedanken

Kommentare

Beteiligen Sie sich!

Es gibt noch keine Kommentare. Um zu kommentieren, öffnen Sie den Artikel auf unserer Webseite.

Zur Webseite