"Bildung neu denken und gestalten"
Der demografische Wandel und eine rasante technologische Entwicklung sind keine Schlagwörter für die Welt von morgen. Schon heute haben sie Auswirkungen auf die Arbeitswelt und vor allem auf die Kompetenzen, über die Arbeitnehmer verfügen sollten. Das richtige Wissen zur richtigen Zeit vorzuhalten, wird für Unternehmen zur unabdingbaren Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg. "Just in time" lautet auch hier das Gebot der Stunde. Sie suchen deshalb nach einer sinnvollen Verknüpfung von Arbeit und Lernen.
Unsere bayerische Bildungspolitik steht deshalb vor großen Herausforderungen. In der vergangenen Legislaturperiode wurden bereits wichtige Bildungsreformen angestoßen, die es heißt, nun weiter zu entwickeln. Die vbw - Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. - hat darum in zwei bildungspolitischen Positionspapieren Forderungen für mehr Qualität in der Bildung formuliert.
Manfred Stöckl, Vorstandsmitglied der Kreissparkasse Augsburg und Johannes Ostermeier, Schulamtsdirektor, Staatliches Schulamt Augsburg - Land freuten sich als Leiter des Arbeitskreises Schule/Wirtschaft mit Michael Lindemann einen kompetenten Referenten und Mitarbeiter, der zugleich auch noch Projektleiter ist, begrüßen zu können. Sein Referat stellte Michael Lindemann, von Beruf Diplompädagoge, unter das Thema "Bildung neu denken und gestalten". Zahlreiche Lehrkräfte aus allen Schularten fanden sich zu einem interessanten Nachmittag im Landratsamt Augsburg ein.
"Unsere Bildungspolitk befindet sich im Wandel" stellte der Referent fest. Seit der Veröffentlichung der PISA-Ergebnisse im Jahre 2001 ist auch in der bayerischen Bildungspolitik einiges in Bewegung geraten. Bildung sei ein Thema mit höchster Priorität geworden, stellte Lindemann fest und weiter: "Erfreulich ist, dass nicht nur über Bildung geredet, sondern auch gehandelt wird". Hier stichwortartig einige Beispiele dafür: Durch die Einführung des Bildungs- und Erziehungsplans für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung wird zum ersten Male der Bildungsauftrag im Vorschulbereich in den Fokus gerückt und in die pädagogische Praxis überführt. Mit der Einführung rhythmisierter Ganztagesschulen in Bayern wird insgesamt die Bildungsqualität erhöht. Rhythmisierte Ganztagesschulen sind darüber hinaus entscheidend für mehr Bildungsgerechtigkeit und im Hauptschulbereich der Weg für die dringend notwendige Steigerung der Ausbildungsfähigkeit der Schüler. Mit MODUS 21 (= Modell Unternehmen Schule im 21. Jahrhundert) wurde den Schulen mehr eigenverantwortliches Handeln eingeräumt. Insgesamt 60 positiv bewertete Maßnahmen des Modellprojekts der Stiftung Bildungspakt Bayern wurden vom Kultusministerium für alle Schulene freigegeben. Die Einführung der FOS 13 ermöglicht besonders befähigten Absolventen der Fachoberschule, in einem Jahr die fachgebundene oderauch die allgemeine Hochschulreife zu erlangen. Hiermit geschieht ein wichtiger Beitrag, mehr Schüler und Schülerinnen zur Hochschulstudienberechtigung zu führen. Michael Lindemann: "Mit diesen Maßnahmen sind in den letzten Jahren zentrale bildungspolitische Forderungen der vbw aufgegriffen und umgesetzt worden. Mit der Studienreihe "Bildung neu denken" , dem Jahresgutachten 2007 und mit zahlreichen Best-Practice-Modellen haben die bayerischen Arbeitgeberverbände wesentliche Impulse für eine zukunftsorientierte bayerische Bildungspolitik geliefert. Angesichts des rasanten gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Wandels müssen die Bildungsreformen unbedingt weitergeführt und noch stärker in die Fläche getragen werden".
Um kurzfristig aktuelle bildungspolitische Herausforderungen meistern zu können und mittelfristig die Bildungspolitik in die Breite zu erhöhen, empfieht die vbw den politischen Entscheidungsträgern einen zehn Punkte umfassenden Maßnahmenkatalog in der kommenden Legislaturperiode 2008 bis 2013 in Angriff zu nehmen: 1. Das Angebot an Krippenplätzen soll für Kinder bis zum vollendeten dritten Lebensjahr massiv ausgebaut werden. Für mindestens ein Drittel der Kinder unter drei Jahren sollen Krippenplätze vorgehalten werden. 2. Ab dem vollendeten vierten Lebensjahr soll eine Kindergartenpflicht greifen. 3. Alle vorschulischen Einrichtungen sind ganztägig vorzuhalten und legen einen deutlichen Schwerpunkt auf Bildung und Erziehung. Aufgrund der stärkeren Ausgestaltung als Bildungseinrichtung sind Kindergärten beitragsfrei anzubieten. 4. Die Einschulung zum Schulhalbjahr wird ermöglicht und jahrgangsgemischte Eingangsstufen (Klasse 1 und 2) werden flächendeckend an allen Grundschulen eingeführt. 5. Die Aussagekraft der Übertrittsempfehlung muss in der vierten Klasse mit neuen Testverfahren erhöht werden. Darüber hinaus sind die aufnehmende Schule und die Eltern intensiver bei der Entscheidung mit einzubeziehen. 6. Es muss mehr und besser qualifiziertes pädagogisches Personal eingestellt werden. 7. Lehrpläne in allen Schularten müssen erneut auf den Prüfstand, um die Stofffülle deutlich zu reduzieren, damit mehr Zeit für das Anwenden, Vertiefen, Vernetzen und Problemlösen bleibt. 8. Die rhythmisierte Ganztagesschule soll zunächst als Angebotsschule von der Grundschule bis zur gymnasialen Oberstufe etabliert werden. Langfristig ist die flächendeckende Einführung anzustreben. 9. Die Schulen erhalten flächendeckend Autonomie in Prozessentscheidungen, sowie orientiert an verbindlichen Bildungsstandards, in der Definition von Lehrinhalten. Dienstherrenfähigkeit und Personalverantwortung werden in den einzelnen Schulen verankert. Die Schulautonomie umfasst dabei auch das Budget und die Verantwortlichkeit für eine leistungs- und belastungsbezogene Bezahlung des Bildungspersonals. 10. Das Bildungspersonal muss leistungs- und belastungsorientiert bezahlt werden. Hierdurch werden Anreize geschaffen und die Motivation erhöht. Bei unzureichender Leistung müssen Sanktionsmöglichkeiten greifen.
Nach Beendigung seines höchst interessanten Referates stellte sich der kompetente Referent den zahlreichen Fragen des bis dahin aufmerksam lauschenden Publikums. Eine rege Diskussion rundete einen gelungenen Nachmittag ab.
Liebe Rosmarie,
gleich zu Beginn Deines Berichtes habe ich Probleme: Man bekommt heute nicht nur als Lehrer, sondern allgemein das Gefühl, dass Schule gar nicht mehr existieren könne, wenn sie nicht auf rein wirtschaftlich Ziele ausgerichtet ist. Allenthalben bilden sich „Arbeitkreise Schule und Wirtschaft“, die den Schulen / den Lehrplänen genau vorgeben, was für Lerninhalte sie zu haben haben. Durch die „Einführung des Bildungs- und Erziehungsplans für Kinder ... bis zur Einschulung“ wird garantiert, dass auch unseren Kleinsten schon die Kindheit geraubt wird und diese nahtlos in die Leistungsgesellschaft eingegliedert werden.
Wo da Platz für das zitierte „eigenverantwortliche Handeln“ der Schulen bleiben soll, frage mich wohl nicht nur ich.
Zu begrüßen sind natürlich „FOS 13“-Projekte für jene, die noch nicht mit 10 Jahren ihren Bildungsweg finden. Aber auch hier wird sofort eingelenkt, dass die „Arbeitgeberverbände wesentliche Impulse für eine zukunftsorientierte bayerische Bildungspolitik“ gegeben hätten.
Gibt es denn Bildung um der Bildung willen, als humanistisches Gut, als ethischer Wert an sich nicht mehr, sondern nur noch im Kontext mit Industrie und Wirtschaft?
Der Zehn-Punkt-Plan zeigt es zudem deutlich:
Dessen Prinzip lautet: Kinder nach der Geburt sofort den Eltern wegnehmen und in die „Obhut des Staates“ übergeben. Alle totalitären Staaten haben uns dies vorgemacht – selten überzeugend! Dabei verblassen positive Ansätze wie mehr Eigenverantwortung für die Schulen. Diese wird sich wohl dahingehend orientieren:
Die Schule, die der Industrie die brauchbarsten Arbeitnehmer liefert, wird Prämien einheimsen, nicht die Schule, die die beste (Allgemein-) Bildung vermittelt.
Mit eisigem Frösteln wäre ich aus dieser Veranstaltung herausgegangen, nicht mit dem Gefühl, einer „gelungenen“ Veranstaltung beigewohnt zu haben. Merken wir es wirklich nicht mehr, in welche Richtung schon unsere Kleinsten manipuliert werden ...?