Weihnachten und Advent in zehn Versen - ein Versuch!
„Vor Weihnachten kommt der Advent.“
Wunderbar! Diese Daktylen! „Weíh-nach-ten“: betont - unbetont - unbetont. Ein mustergültiger Daktylus! Der bringt Bewegung und Freude in das beschauliche Fest. Und vor dem Fest kommt – bekanntlich - der Advent. Aber – was reimt sich auf Advent? Ein Lichtlein brennt? Zu abgeschmackt. Wie wär’s mit: kennt – pennt – rennt – flennt? Nein, ich hab’s! „Event“ – dieses aus dem Neudeutschen nicht mehr wegzudenkende, vielsagende Wort. Also:
Super! Die Daktylen geleiten den Advent – ganz stimmig hin zum Event. Na, dann kann es ja weitergehen mit unserer Weihnachtslyrik.
„Vor Weihnachten kommt im Advent,
Die Vorfreude auf das Event."
So. Und was ist typisch für den Advent? Welche Stimmungen, welche Gefühle, welche Düfte? Kurzes Brain-Storming: Lebkuchen, Zimt, Tannenzweige, Kerzen, Kränze, warme Stube, Schneegestöber, Glühwein ... Mal sehen, was reinpasst, ins Gedicht:
„Der Glühwein, er dampft in der Küche,
Verbreitet im Haus seine Düfte."
Gut. Der Daktylus ist gerettet. Der Reim? Na, etwas unrein: Küche – Düfte. Aber was soll’s? Glühwein, Duft, Küche – alles ist da, was die Stimmung hebt. Also, weiter. Wer feiert denn überhaupt das gnadenreiche Fest? Klar, alle sind dabei, also:
„Vater und Mutter und Katze und Kind:
Voll festlicher Freude sie alle schon sind.“
Ein schönes Bild, ein schöner Reim, so friedlich. Aber irgendwas stimmt nicht. Hm. Ich lese noch mal genau. Ich hab’s! Vier! Es sind vier Betonungen. Das geht auf keinen Fall – vorher waren es ja nur drei. Was tun? Schnelle Idee: Einer muss weg, die Katze muss weg! Also:
„Für Vater, für Mutter, fürs Kind
Die festliche Freude beginnt.“
Gut. Alles stimmig. Doch wo sind die drei so gemütlich vereint?
Klar, das muss rein:
„Die Scheite der Buche, sie glimmen.
Am warmen Kamin singen Stimmen.“
So. Offenes Feuer. Gesang. Wärme. Alles da. Nur das Fest fehlt. Lassen wir es doch herein!
„Geschlossen die Augen, ganz nah:
Da rauscht es - das Christkind ist da!“
So, und jetzt das Ganze noch einmal, als ganzes Gedicht:
„Vor Weihnachten kommt im Advent,
Die Vorfreude auf das Event.
Der Glühwein, er dampft in der Küche,
Verbreitet im Haus seine Düfte.
Für Vater, für Mutter, fürs Kind
Die festliche Freude beginnt.
Die Scheite der Buche, sie glimmen.
Am warmen Kamin singen Stimmen.
Geschlossen die Augen, ganz nah,
Da rauscht es - das Christkind ist da!“
Fertig: Gedicht mit einer Strophe.
Zehn Verse: Überschaubare Länge.
Äußere Form: Passt.
Reim: Passt.
Rhythmus: Perfekt.
Und doch will mir nicht wohl werden bei dem Gedicht:
Keine Stimmung. Keine Freude. Warum nur? So langsam wird mir klar:
Ein Gedicht ist mehr als eine Ansammlung von Versen, ist mehr als die Kombination von schönen Worten, von Vers, Reim, Rhythmus, Takt, Hebungen und Senkungen.
Ein Gedicht ist die Sprache des Herzens.
Weihnachten ist es auch.
Beides verträgt sich nicht.
Es ist zu viel Sprache des Herzens.
Feiern wir also das Familienfest ohne viel Worte, ohne Gedicht - aber mit viel Liebe. Einfach so. Im Kreise unserer Liebsten. Mit dem Wissen, dass mit der Geburt Christi wieder das Licht in unser Leben tritt - und als äußers Zeichen die Tage wieder länger werden. Und den Baum - der ist ja ganz vergessen - lassen wir auch aufleuchten!
So wird das Fest zwar reimlos, aber schöner werden als jedes Gedicht. Wir haben es doch in der Hand! Und wenn eine Schneebar vor der Türe steht, na, der Stimmung tut's keinen Abbruch!
Ja, lieber Dieter, san m'r still -
so Gott will!
Doch i hoff, es werd ned z'viel
mit still!
Denn a Vers, a scheene Zeil,
vertragt Krtik no alleweil.
Und weil des all's so wunderschee war,
gang' i jetzt no an mei Schneebar,
wenn d'r Schnee a wengerl mehr war;
weil dem aber ned so is,
sag' i, ohne Bar, halt Tschüß!