Nach oben, Richtung Sonne!
Landsberg. „Richtung Sonne“ – mit dieser Theatercollage bereitete die 12. Klasse der Freien Waldorfschule Landsberg den Zuschauern im jeweils fast vollbesetzten Saal der Waldorfschule drei beindruckende und nachdenklich machende Abende. Grundlage war „Roberto Zucco“, das Werk des französischen Schriftstellers Bernard-Marie Koltès und die Frage, was Menschen zu Gewaltverbrechern macht. Unter der Regie von Lukas König wurden zudem Szenen aus Brechts Mutter Courage, Shakespeares Hamlet und selbst Geschriebenes eingebaut.
Der italienische Gewaltverbrecher Roberto Zucco ermordet seine Eltern und ein Kind, vergewaltigt ein Mädchen, das sich in ihn verliebt und ihn sucht. Das Mädchen wird nach der Vergewaltigung durch Zucco vom eigenen Bruder an einen Zuhälter verkauft. Die Collage zeigt facettenreich verschiedene Frauenrollen auf: die gelangweilte Reiche, die Vergewaltigte, die unbefleckt und rein zu bleibende Schwester im goldenen Käfig, die Frau in der patriarchalischen Gesellschaft, wie in Hamlet und Ophelia.
Warum gibt es Frauen, die angezogen werden von der vermeintlichen Macht von Männern, die vergewaltigen, demütigen oder sogar morden? Was trägt die Familie, was die Gesellschaft dazu bei? Beklemmende Aktualität auf der Landsberger Bühne bei den selbst geschriebenen Szenen über junge Menschen im Banne Al Kaidas und vergleichbarer Organisationen und über Lehrer und Eltern, die diesem Phänomen machtlos gegenüber stehen.
Szenen aus Brechts „Mutter Courage“ aus dem 30-jährigen Krieg zeigen: Damals wie heute verlieren Mütter ihre Kinder an den Krieg, nichts hat sich verändert. Was bringt Menschen dazu, zu morden und zu vergewaltigen, freiwillig in einen Krieg zu ziehen? Sie sind doch ganz normale Menschen, behütet aufgewachsen in einem freiheitlichen System und trotzdem zieht es sie in den Kampf nach Syrien oder in den Irak.
Auch Roberto Zucco, der im wahren Leben Roberto Succo hieß und von 1962 bis zu seinem Freitod 1988 in Italien lebte und zum Gewaltverbrecher wurde, hatte gute Seiten: „Ich bin ein ganz normaler Junge“, sagt er einem alten Mann, der sich im U-Bahnhof verirrt hat. Der Zuschauer erwartet, dass Zucco diesen Mann ermordet, doch er hilft dem Alten, den richtigen Weg zu finden. Später jedoch erschießt er an gleicher Stelle den Sohn einer Frau unter den Blicken von Schaulustigen, die nicht eingreifen – auch diese Szenerie ist im Alltag oft bittere Realität. Trotz des Mordes: Die Mutter des Jungen fühlt sich zu dem schönen Roberto hingezogen, folgt ihm sogar. „Ich habe keine Feinde, und ich greife nicht an. Ich zerquetsche die anderen Tiere nicht aus Bosheit, sondern weil ich sie nicht gesehen habe, und weil ich auf sie getreten bin“, sagt Zucco. Am Ende geht er über den Dachfirst des Gefängnisses in den Tod, in seinem Sinne „Richtung Sonne“. Die letzte Szene, wie die Menge, der Mob, den Toten gemeinschaftlich trägt und hoch hält, ihn verehrt und zu etwas Höherem erhebt, obwohl er ein Mörder und Psychopath war – dieses Motiv ist auch bei fanatischen Kriegern zu finden. Im Heiligen Krieg den Märtyrertod zu sterben gilt als das höchste Glück. Aber beide Seiten müssen mitspielen, es muss einen Märtyrer geben und einen Mob, der ihn verehrt. So bedingen sich die Dinge gegenseitig.
Schwere Kost für die Zuschauer, die nicht für alles eine Erklärung finden. Doch die Collage hilft, manche Dinge einzuordnen, um vielleicht Lösungen zu finden, wie sie die ganz in Grün auftretende Freiheitsstatue fordert: Wir müssen unsere Freiheit und unsere Werte verteidigen! Anderes hingegen bleibt unbegreiflich und doch ist es Teil unseres Daseins.
Die Szenen, das Bühnenbild und die überwiegend selbst komponierte und dargebotene Musik, zeigen eine tiefgründige Auseinandersetzung junger Menschen mit menschlichen Charakteren am Abgrund. Beeindruckend!
Von Dagmar Kübler und Sibylle Reiter